Zurück an den Verhandlungstisch
Frankreichs Präsident Macron spricht von Entspannung – Ukraine verärgert
- Europas Spitzenpolitiker bewegen sich in diesen Tagen zwischen den verfeindeten Hauptstädten Moskau und Kiew. Nach Frankreichs Präsident Macron wird der deutsche Kanzler Olaf Scholz (SPD) am kommenden Montag in Kiew, am Dienstag danach in Moskau erwartet, seine Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) besuchte am Dienstag das Frontgebiet im Donbass. Die seit Monaten eskalierende russisch-westliche Krise mit ihren Truppenkonzentrationen und Verhandlungsultimaten pendelt sich ein: Moskau gegen Kiew. Und Kiew, so scheint es zusehends, gegen den Rest der Welt.
Am Montag war in der ukrainischen Hauptstadt ein Treffen zwischen Präsident Wolodymyr Selenskyj und Annalena Baerbock geplatzt. Laut einem CNN-Journalisten hatte sich Selenskyj geärgert, weil Baerbock nicht ausdrücklich versichern wollte, Deutschland werde bei einer russischen Invasion Nord Stream 2 stilllegen – wie zuvor schon Kanzler Olaf Scholz in Washington.
Aber nicht nur das drückt auf die Stimmung in Kiew. Nach Baerbock redete am Dienstag auch Macron sehr viel über „Minsk 2“, das umstrittene und bisher gescheiterte Donbass-Friedensabkommen von 2015. Selenskyj habe seine Bereitschaft bestätigt, weiter an der Erfüllung der Minsker Vereinbarungen zu arbeiten, sagte er bei der gemeinsamen Pressekonferenz. US-Außenminister Antony Blinken hatte schon am Vortag erklärt, Minsk 2 sei der einzige Weg zum Frieden in der Ostukraine. „Selenskyjs Absicht, Minsk abzulehnen oder das Minsker Protokoll wesentlich zu ändern, wird bei den Partnern der Ukraine keine Zustimmung finden“, sagt der Kiewer Politologe Wadim Karasjow der „Schwäbischen Zeitung“.
Moskau, das nach Ansicht vieler Ukrainer ihr Land mit Hilfe von Minsk wieder unter Kontrolle bringen will, bekommt jetzt verbale Unterstützung aus Berlin, Paris und Washington. Und Karasjow glaubt wie andere Kiewer Beobachter, der Aufmarsch von etwa 130 000 russischen Soldaten, aber auch die Forderungen Moskaus an die Nato, sich militärisch aus Osteuropa zurückzuziehen, hätten vor allem dem Zweck gedient, die Ukraine wieder in die Minsker Spur zu zwingen. „Putin versteht“, sagt Karasjow, „dass man die Ukraine nur dann zur Realisierung der Minsker Vereinbarungen nötigen kann, wenn man die Rahmenbedingungen der internationalen Politik ändert.“Deshalb mache er
Druck, und das mit Erfolg.
Am Montag duzte Putin Macron, der Nato aber stellte er einen Atomkrieg in Aussicht, falls die Ukraine als neues Bündnismitglied versuche, die von Russland 2014 vereinnahmte Krim-Halbinsel zurückzuerobern. Macron sah aber dennoch Zeichen der Entspannung. Putin habe ihm zugesagt, dass es „weder zu einer Verschlechterung noch zu einer Eskalation kommt.“
Von Kiew verlangte Putin, den Minsker Ausführungsbestimmungen Folge zu leisten: „Ob es dir gefällt oder nicht, halt still, meine Schöne!“Mehrere ukrainische Portale verwiesen auf den fast wortgleichen Text eines russischen Gassenliedes, in dem eine Frauenleiche geschändet wird.
Selenskyj kommentierte gestern, die Ukraine sei wirklich eine Schönheit, aber sie gehöre keineswegs Putin. Ansonsten hätten die Ukrainer viel Geduld: „Unsere Geduld beeinflusst die Provokation, indem wir nicht auf sie reagieren.“
In der ukrainischen Öffentlichkeit gelten die Minsker Vereinbarungen als toxisch. „Die Erfüllung von ‚Minsk‘ bedeutet den langsamen und qualvollen Tod unseres Landes“, schreibt die Internetzeitung ZN.UA. Nach einer Umfrage der Gruppe „Rating“vom Dezember sind zwölf Prozent der Ukrainer für die vollständige Realisierung des Abkommens, das einen Sonderstatus und nach russischer Lesart ein Vetorecht für die prorussischen Rebellen im ukrainischen Staatsverband beinhaltet. Macron versprach, man werde in den nächsten Wochen Klarstellungen erarbeiten, die die abweichenden Lesarten des Minsker Vertrages beseitigten.