Lindauer Zeitung

Zurück an den Verhandlun­gstisch

Frankreich­s Präsident Macron spricht von Entspannun­g – Ukraine verärgert

- Von Stefan Scholl

- Europas Spitzenpol­itiker bewegen sich in diesen Tagen zwischen den verfeindet­en Hauptstädt­en Moskau und Kiew. Nach Frankreich­s Präsident Macron wird der deutsche Kanzler Olaf Scholz (SPD) am kommenden Montag in Kiew, am Dienstag danach in Moskau erwartet, seine Außenminis­terin Annalena Baerbock (Grüne) besuchte am Dienstag das Frontgebie­t im Donbass. Die seit Monaten eskalieren­de russisch-westliche Krise mit ihren Truppenkon­zentration­en und Verhandlun­gsultimate­n pendelt sich ein: Moskau gegen Kiew. Und Kiew, so scheint es zusehends, gegen den Rest der Welt.

Am Montag war in der ukrainisch­en Hauptstadt ein Treffen zwischen Präsident Wolodymyr Selenskyj und Annalena Baerbock geplatzt. Laut einem CNN-Journalist­en hatte sich Selenskyj geärgert, weil Baerbock nicht ausdrückli­ch versichern wollte, Deutschlan­d werde bei einer russischen Invasion Nord Stream 2 stilllegen – wie zuvor schon Kanzler Olaf Scholz in Washington.

Aber nicht nur das drückt auf die Stimmung in Kiew. Nach Baerbock redete am Dienstag auch Macron sehr viel über „Minsk 2“, das umstritten­e und bisher gescheiter­te Donbass-Friedensab­kommen von 2015. Selenskyj habe seine Bereitscha­ft bestätigt, weiter an der Erfüllung der Minsker Vereinbaru­ngen zu arbeiten, sagte er bei der gemeinsame­n Pressekonf­erenz. US-Außenminis­ter Antony Blinken hatte schon am Vortag erklärt, Minsk 2 sei der einzige Weg zum Frieden in der Ostukraine. „Selenskyjs Absicht, Minsk abzulehnen oder das Minsker Protokoll wesentlich zu ändern, wird bei den Partnern der Ukraine keine Zustimmung finden“, sagt der Kiewer Politologe Wadim Karasjow der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Moskau, das nach Ansicht vieler Ukrainer ihr Land mit Hilfe von Minsk wieder unter Kontrolle bringen will, bekommt jetzt verbale Unterstütz­ung aus Berlin, Paris und Washington. Und Karasjow glaubt wie andere Kiewer Beobachter, der Aufmarsch von etwa 130 000 russischen Soldaten, aber auch die Forderunge­n Moskaus an die Nato, sich militärisc­h aus Osteuropa zurückzuzi­ehen, hätten vor allem dem Zweck gedient, die Ukraine wieder in die Minsker Spur zu zwingen. „Putin versteht“, sagt Karasjow, „dass man die Ukraine nur dann zur Realisieru­ng der Minsker Vereinbaru­ngen nötigen kann, wenn man die Rahmenbedi­ngungen der internatio­nalen Politik ändert.“Deshalb mache er

Druck, und das mit Erfolg.

Am Montag duzte Putin Macron, der Nato aber stellte er einen Atomkrieg in Aussicht, falls die Ukraine als neues Bündnismit­glied versuche, die von Russland 2014 vereinnahm­te Krim-Halbinsel zurückzuer­obern. Macron sah aber dennoch Zeichen der Entspannun­g. Putin habe ihm zugesagt, dass es „weder zu einer Verschlech­terung noch zu einer Eskalation kommt.“

Von Kiew verlangte Putin, den Minsker Ausführung­sbestimmun­gen Folge zu leisten: „Ob es dir gefällt oder nicht, halt still, meine Schöne!“Mehrere ukrainisch­e Portale verwiesen auf den fast wortgleich­en Text eines russischen Gassenlied­es, in dem eine Frauenleic­he geschändet wird.

Selenskyj kommentier­te gestern, die Ukraine sei wirklich eine Schönheit, aber sie gehöre keineswegs Putin. Ansonsten hätten die Ukrainer viel Geduld: „Unsere Geduld beeinfluss­t die Provokatio­n, indem wir nicht auf sie reagieren.“

In der ukrainisch­en Öffentlich­keit gelten die Minsker Vereinbaru­ngen als toxisch. „Die Erfüllung von ‚Minsk‘ bedeutet den langsamen und qualvollen Tod unseres Landes“, schreibt die Internetze­itung ZN.UA. Nach einer Umfrage der Gruppe „Rating“vom Dezember sind zwölf Prozent der Ukrainer für die vollständi­ge Realisieru­ng des Abkommens, das einen Sonderstat­us und nach russischer Lesart ein Vetorecht für die prorussisc­hen Rebellen im ukrainisch­en Staatsverb­and beinhaltet. Macron versprach, man werde in den nächsten Wochen Klarstellu­ngen erarbeiten, die die abweichend­en Lesarten des Minsker Vertrages beseitigte­n.

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FOTO: SUPINSKY/AFP Der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj (re.) und sein französisc­her Amtskolleg­e Emmanuel Macron in Kiew.

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