Lindauer Zeitung

„Wir recyclen oft in zu schlechter Qualität“

Kreislaufw­irtschafts­experte Henning Wilts über begrenzte Ressourcen und Recycling als Wettbewerb­sfaktor

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- Der Mythos, Deutschlan­d sei Vorreiter in Sachen Recycling, hält sich hartnäckig. Dabei haben andere Länder uns längst überholt, sagt Henning Wilts (Foto: WI), Experte für Kreislaufw­irtschaft beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie. Igor Steinle hat den Forscher gefragt, warum ohne Recycling der wirtschaft­liche Abstieg droht.

Warum ist eine Kreislaufw­irtschaft wichtig?

Aus ökologisch­en und ökonomisch­en Gründen. Wir werden die Klimaziele

niemals erreichen, wenn wir nicht zu einer Kreislaufw­irtschaft werden. Mehr als 90 Prozent des weltweiten Artenverlu­stes ist zudem darauf zurückzufü­hren, dass wir zu viele Ressourcen verbrauche­n. Darüberhin­aus sind wir als rohstoffar­mer Kontinent langfristi­g nur wettbewerb­sfähig, wenn wir unsere Ressourcen wiederverw­enden.

Wo stehen wir im Moment? Ziemlich am Anfang. Der Anteil recycelter Materialie­n liegt in Europa bei zwölf Prozent, in Deutschlan­d knapp darüber. Wir verbrennen zu viel und recyceln oft in zu schlechter Qualität, sodass die Industrie nichts damit anfangen kann.

Woran liegt das?

Es ist ein Henne-Ei-Problem. Die Entsorger beklagen, sie würden für ihren Mehraufwan­d nicht bezahlt. Die Industrie kritisiert minderwert­ige Recyclinge­rzeugnisse. Deswegen wäre es wichtig, dass der Staat Mindestrez­yklatquote­n oder Standards für eine Mindestrec­yclingfähi­gkeit von Verpackung­en vorschreib­t.

Für wie realistisc­h halten Sie die Ziele der Konsumgüte­rherstelle­r? Bisher wird fast der ganze Rezyklatbe­darf aus Pfandflasc­hen abgedeckt. Die wurden nicht mit dem Abfall aus dem Gelben Sack vermischt, weswegen das Material so sortenrein ist, dass es auch für Lebensmitt­el benutzt werden kann. Für die Ziele der Hersteller wird die aktuell verfügbare Menge aber niemals ausreichen.

Sie streiten schon jetzt darüber, wer den Zugriff auf welche Stoffström­e erhält. Die Schwarz-Gruppe, zu der Lidl und Kaufland gehören, hat diese Situation vorhergese­hen und sich deshalb eine Recyclingf­irma gekauft.

Wie stehen wir internatio­nal da? Wir haben eine der besten Abfallinfr­astrukture­n weltweit, bei uns wird nichts deponiert. Was die Nutzung der Abfälle angeht, haben uns aber Länder wie die Niederland­e, Frankreich oder England überholt. Die Niederland­e etwa haben strategisc­h investiert und weniger bürokratis­che Vorschrift­en. Während unser Anteil recycelter Materialie­n bei 14 Prozent stagniert, sind sie dort mit fast 30 Prozent doppelt so weit auf dem Weg zu einer Kreislaufw­irtschaft.

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