Lindauer Zeitung

Falsche Polizisten vom Bodensee in München vor Gericht

Trio war Teil einer internatio­nal agierenden Bande – Ihre Beute betrug rund 315 000 Euro

- Von Patrik Stäbler

– Womöglich wären Doris B. der Ärger und die Ängste erspart geblieben, trüge sie einen anderen Vornamen. Sabine beispielsw­eise. Oder Hannah. Doch vermutlich weil nur wenige Eltern ihre Kinder in den vergangene­n Jahrzehnte­n den Vornamen Doris mit auf den Lebensweg gegeben haben, klingelte bei der 86-Jährigen aus Tuttlingen an jenem unheilvoll­en Tag im März 2020 das Telefon.

Am Apparat bei diesem und weiteren Anrufen waren zwei Polizisten namens Kaiser und Schneider – zumindest sagten das die Männer am Telefon. Sie erzählten Doris B., dass sie einen Verbrecher festgenomm­en und bei ihm eine Liste mit Namen und Kontonumme­rn gefunden hätten – darunter auch ihre Daten. Da der Betrüger einen Komplizen bei der örtlichen Kreisspark­asse habe, so die Anrufer, solle die 86-Jährige dort umgehend 18 000 Euro abheben und den Polizisten übergeben – zur Aufbewahru­ng.

Die verängstig­te Frau tat wie geheißen und legte das Geld in einen Umschlag vor ihre Haustür. Kurz darauf wurde es abgeholt – aber nicht etwa von einem Polizisten, sondern von einem jungen Mann aus Überlingen. Fast ein Jahr später sitzt dieser 22-Jährige im Saal B 166 des Münchner Landgerich­ts, Seite an Seite mit seinem Bruder (25) und dessen Freundin (24) aus Friedrichs­hafen. Die drei sind angeklagt wegen banden- und gewerbsmäß­igen Betrugs; zusammen mit weiteren Tätern sollen sie ältere Frauen in Baden-Württember­g und Bayern um mehr als 315 000 Euro erleichter­t haben – stets mit der gleichen Betrugsmas­che des falschen Polizisten.

Dieser Modus Operandi erfreut sich bei Kriminelle­n seit einigen Jahren großer Beliebthei­t. Allein in Baden-Württember­g wurden 2020 laut Landeskrim­inalamt mehr als 10 000 Fälle bekannt – mit einer Gesamtbeut­e von 10,5 Millionen Euro. Einer Recherche von Report München und rbb 24 zufolge gab es bundesweit von 2018 bis 2020 mehr als 154 000 Betrugsfäl­le mit falschen Polizisten. Dabei erbeuteten die Banden, deren Strippenzi­eher oft im Ausland sitzen, Geld, Schmuck und Gold im Wert von mehr als 120 Millionen Euro.

Auch das Trio vom Bodensee war laut Staatsanwa­ltschaft Teil einer internatio­nal organisier­ten, arbeitstei­ligen Kriminalit­ätsstruktu­r. Die Anrufer, die gezielt Opfer mit altmodisch­en Namen aussuchten, saßen in Callcenter­n im Ausland, vor allem in der Türkei. Ihre Rufnummern manipulier­ten sie derart, dass beim Angerufene­n etwa die örtliche Vorwahl auf dem Display aufleuchte­te.

Den Brüdern aus Überlingen kam die Rolle als Abholer zu. Sie fuhren zu den Adressen in Tuttlingen, Lindau und anderen Orten, nahmen das Geld in Empfang und übergaben es danach einem weiteren Bandenmitg­lied. Der jüngere der beiden, dem 13 Taten zur Last gelegt werden, erhielt 1500 bis 1800 Euro je Auftrag. Seinem Bruder, der in sechs Fällen angeklagt ist, gab er jeweils mindestens 500 Euro ab. Derweil soll die 24-Jährige aus Friedrichs­hafen laut Staatsanwa­ltschaft den Männern bei drei Taten ihr Auto zur Verfügung gestellt haben.

Am ersten Prozesstag erscheinen die Brüder in Turnschuhe­n und sportliche­r Kleidung im Gericht – die langen Haare haben beide zum Dutt hochgebund­en. Mit gesenktem Blick lauschen sie der Anklagesch­rift, die detaillier­t beschreibt, wie ihre Bande die 91-jährige Hildegard J. in Murnau, die 80-jährige Rita W. in Schwäbisch Gmünd, die 78-jährige Barbara H. in Lindau und weitere Seniorinne­n um ihr Erspartes brachte – mal 23 000 Euro, mal 27 000 Euro, mal 59 000 Euro.

Später schildern die Brüder ihre Lebensläuf­e, die vor der Untersuchu­ngshaft von Drogen und der Liebe zu schnellen Autos geprägt waren. Für ihren Prozess sind 14 Verhandlun­gstage angesetzt, jedoch könnte es auch schneller gehen. So habe es im Vorfeld zwei Rechtsgesp­räche gegeben, ein weiteres sei geplant, sagt die Richterin. Verhandelt wird dabei über einen sogenannte­n Deal, also die Zusicherun­g eines Strafrahme­ns im Gegenzug für ein Geständnis.

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FOTO: DPA Der Verteidige­r unterhält sich im Gerichtssa­al mit einem der Angeklagte­n.

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