Geisenberger und ihr goldener Weg
Rodlerin schließt mit ihrem fünften Olympiasieg zu Rekordhalterin Pechstein auf – Anna Berreiter holt Silber
(SID/dpa) - Natalie Geisenberger blieb auf ihrer Rekordjagd noch ganz cool, dann brach alles aus ihr heraus: Auf Knien feierte die „Rodel-Mama“ihre fünfte olympische Goldmedaille, mit der deutschen Fahne trocknete sie ihre Freudentränen. Selbst Weggefährte Felix Loch – am Sonntag noch trauriger Vierter – weinte vor Glück. Mit all ihrer Erfahrung hatte Geisenberger den tückischen Eiskanal von Yanqing gemeistert und gemeinsam mit Silber-Gewinnerin Anna Berreiter einen deutschen Doppelsieg eingefahren. Nun nimmt sie sogar die Olympia-Bestmarke von Claudia Pechstein ins Visier.
„Es war irgendwo immer das Ziel, hier noch mal um eine Medaille zu fahren“, sagte Geisenberger, die im Mai 2020 erstmals Mutter geworden war, in der ARD: „Aber dass es wieder zu Gold reicht, ist Wahnsinn. Ich habe keine Worte, ohne meine Familie hätte ich es nicht geschafft.“
Debütantin Berreiter rundete mit Rang zwei das starke deutsche Ergebnis ab: „Es ist einfach nur überwältigend, dass ich jetzt die Silberne in den Händen halten darf. Ich kann es noch nicht realisieren.“Der zweite Platz fühle sich „wie Gold an“. Schon in Pyeongchang 2018 und Sotschi
2014 hatte das deutsche Team einen Doppelsieg mit Geisenberger an der Spitze bejubelt. Nach Johannes Ludwigs Triumph bei den Männern feierten die erfolgsverwöhnten deutschen Rodler bereits das zweite Gold in China.
Ein Dreifachtriumph wurde nur durch einen Sturz verhindert: Julia Taubitz war am Vortag mit ihrem Schlitten gekippt, die Weltmeisterin kämpfte sich immerhin noch um einige Ränge auf Platz sieben vor. „Alle sagen zu mir: in vier Jahren gibt es die nächste Chance“, sagte sie. „Das stimmt, aber es sind vier verdammte Jahre.“Bronze ging an die russiche Athletin Tatjana Iwanowa.
Mit ihrem fünften Coup, 2014 und 2018 gewann sie auch im Team, schloss Geisenberger nach Goldmedaillen zu Pechstein auf. Siegt die deutsche Staffel im Teamwettbewerb am Donnerstag, würde die 34-Jährige die Eisschnellläuferin nach Olympiasiegen sogar hinter sich lassen und zur erfolgreichsten deutschen Winter-Olympionikin aufsteigen. Wichtig sei ihr das nicht, sagte Geisenberger. „Vielleicht irgendwann mal. Aber jeder geht ja seinen eigenen Weg, jeder hat unterschiedliche Chancen. Claudia ist das achte Mal bei Olympischen Spielen, das werde ich definitiv nicht erreichen. Mein Weg war super, so wie er war. Mehr hätte ich nicht erreichen können.“
Viel bedeutender: Nach der Geburt ihres Sohnes Leo hat sie es zurück in die Weltspitze geschafft. Ihr Mann Markus verfolgte das Rennen mit dem Sohnemann in der Heimat in Miesbach. „Ich habe gestern ein Bild von Leo bekommen, wie er vor dem Fernseher sitzt. Aber vielleicht haben ihn heute seine Autos mehr interessiert, ich weiß es nicht. Das ist das Schöne: Er hätte sich genauso auf mich gefreut, wenn ich keine Medaille hätte“, sagte Geisenberger, die eine Kette mit dem Hand- und Fußabdruck ihres Sohnes als Anhänger stets bei sich trug.
Bemerkenswert ehrlich hatte die „Rodel-Königin“(O-Ton Bundestrainer Norbert Loch) auch im Vorfeld die Vergabe der Spiele an Peking kritisiert und sogar offen über einen Verzicht nachgedacht. Zu schockierend waren die Ereignisse eines dreiwöchigen Aufenthalts in China beim Saisonauftakt. Trotz negativer Tests mussten die Sportler in Isolation bleiben, bekamen kein vernünftiges Essen und durften die Zimmer nur zum Training verlassen. Bei einer stundenlangen Busfahrt durften die Athleten nicht auf die Toilette, stattdessen wurde ein Kanister gereicht. Die Teilnahme an einem weiteren Weltcup in China schloss Geisenberger kategorisch aus. Während der Spiele war ihr Tonfall milder geworden, sie sprach davon, dankbar zu sein, trotz der Pandemie in China sein zu können.
Die Bedingungen stimmten dieses Mal, nur der Respekt vor der Kurve 13 sorgte weiter für Unbehagen. Hier war am Vortag Taubitz gestürzt, Geisenberger hatte im Weltcup im November sowie im vorletzten Training das gleiche Schicksal ereilt. Am Dienstag sei sie „genauso nervös wie am Montag“gewesen, „ich habe wieder kaum gegessen, es waren zwei wahnsinnig harte Tage“, sagte Geisenberger und schaute auf die Goldmedaille: „Aber das hier ist der Lohn.“