Erlebnisse zwischen Himmel und Meer
Boris Herrmann schildert seine 80 Tage beim härtesten Segelrennen der Welt
- Man solle, sagte Wolf Schneider, der legendäre Leiter der Hamburger Journalistenschule, bei einer guten Geschichte mit einem Erdbeben beginnen und dann langsam steigern. Nun hatte Andreas Wolfers, Nachfolger Schneiders an der Journalistenschule und Geo- und Stern-erprobter Reporter, bei seiner Arbeit als Co-Autor für das Abenteuerbuch „Allein zwischen Himmel und Meer“(C. Bertelsmann, 24 Euro) des deutschen Seglers Boris Herrmann gerade kein Erdbeben parat. Also startete er den Prolog zu diesem Buch mit einer Szene, die sich am letzten Tag dieser Non-Stop-Einhand-Regatta namens Vendée Globe rund um die Welt abgespielt hat: als Boris Herrmann mit seiner „Seaexplorer–Yachtclub di Monaco“nach einer letzten Halse in den Golf von Biscaya eingebogen war und wenige Meilen vor dem Zieleinlauf in Les Sables-d’Olonne ein Fischerboot rammte. Herrmann lag da, nach 82 Tagen und 24 000 Seemeilen allein und ohne Pause auf hohe See, auf Rang drei von 33 Konkurrenten. Wie er es schaffte, trotz massivster Beschädigung seiner IMOCA-Rennyacht, das Ziel immerhin noch als Fünfter zu erreichen, dazu muss man die 295 Seiten schon zu Ende lesen. Aber es lohnt sich.
Bis zur Vendee Globe Regatta 2020/21 kannten nur nautisch interessierte Insider den Namen des Rennens und vielleicht sogar den des gebürtigen Oldenburgers Boris Herrmann. Segeln ist in Deutschland eher Inbegriff relativ preisintensiven Urlaubsvergnügens. Die sportive Szene bleibt oft eher unter sich. In Frankreich ist das anders: Da fiebert die ganze Nation bei der Tour de France à la Voile mit. Bei den großen Regatten weltweit sind Segelprofis der Grand Nation die gefragtesten Skipper. Und natürlich wurde auch das verrückteste, gefährlichste, abenteuerlichste Rennen um die Welt, die Vendée Globe, in Frankreich erfunden. Boris Herrmann war bei der neunten Ausgabe 2020/21 der erste Deutsche, der bei dieser Regatta an den Start ging.
In diesem Buch, das Herrmann mit der professionellen Hilfe von Wolfers geschrieben hat, wird nicht nur von A nach B und dann weiter nach C gesegelt. Es sind, bei aller Liebe zur Chronologie sowohl die Geschichte des Profiseglers als auch die der Vendée geschickt eingebaut, quasi zur Erholung für den Leser zwischen dem Sturm vor den Cap Verden und den Flautenlöchern der Kalmenzonen. Man lernt viel über die Strapazen dieses Extremsports, aber auch über Boris Herrmann, der schon als Baby aufs familieneigene Boot verfrachtet wurde („Das Schiff war meine Wiege“) und sein ganzes Leben lang den Schiffsplanken verbunden blieb.
Die Vendée Globe wird 116 Tage lang mit einer täglichen einstündigen Livesendung auf YouTube der Welt nahegebracht. Andi Robertson ist der legendäre Moderator der englischsprachigen Version. Und es war ihm ganz offensichtlich immer ein Vergnügen, sich per Live-Schaltung mit Boris Herrmann auf der Seaexplorer zu unterhalten. Denn dieser Typ sei, „so absolutly cool, calm and collected“. Boris Herrmann freute sich ohnehin über jede Ansprache
„von draußen in der Welt“, egal ob auf Deutsch, Englisch oder Französisch, und bestückte seinerseits YouTube mit kleinen Sequenzen übers Seglerleben in der Einsamkeit, die in den Weiten des Südpolarmeeres besonders aufs Gemüt schlägt. So hatte der deutsche Segler Boris Herrmann plötzlich eine riesige Fangruppe hinter sich, und je länger das Rennen dauerte, je dramatischer die Spannung auf dem Weg vom Kap der Guten Hoffnung über das gefürchtete Kap Hoorn bis zum Ziel in der Biskaya wuchs, desto mehr wuchs auch das Interesse der deutschen Medien am Schicksal der Seaexplorer.
All das ist, neben dem Alltag des Einhandseglerlebens, auch Teil des Buches. Es dient zur Garnierung der zentralen Ereignisse während dieser 83 Tage und 24 000 Seemeilen (44 500 Kilometer). Da war der erste schwere Sturm auf dem Weg nach Süden mit den Totalschäden; da war der verzweifelte Versuch des Topfavoriten Alex Thompson, die Risse im Rumpf seiner Yacht zu verleimen; da waren die schrecklichen Stunden, als die Rennleitung mitteilte, Konkurrent Kevin Escoffier habe seine Yacht im Südmeer verloren und Boris Herrmann und zwei weitere Segler mit der Suche nach dessen Rettungsinsel beauftragte (bei heftigen Wind und meterhohen Wellen). Escoffier wurde gerettet. Und da war die unfassbar große Selbstüberwindung, als Boris Herrmann allein auf hoher See auf den 30 Meter hohen Mast klettern musste, um das verklemmte Fallschloss eines großen Vorsegels zu lösen – Boris Herrmann leidet an Höhenangst. Und als die Seaexplorer Kap Hoorn gerundet hat, würde man sich am liebsten selber eine Zigarre anzünden, wie es üblich ist unter den Seglern. Oder, wie Boris Herrmann es zum Ritual gemacht hat, einen Schluck aus dem Whiskyfläschchen nehmen.
„Allein zwischen Himmel und Meer“ist eines jener Bücher, bei denen man sich spätestens nach der Hälfte zwingt, immer langsamer zu lesen, damit sich das Vergnügen an der Spannung noch etwas hinauszögern lässt.