Lindauer Zeitung

Wachsende Zweifel an der Impfpflich­t

Viele Unionspoli­tiker wollen Gesetz nicht umsetzen – Koalitions­krach im Südwesten

- Von Kara Ballarin, Theresa Gnann, Hajo Zenker und Agenturen

- Erst Bayerns CSU-Ministerpr­äsident Markus Söder, inzwischen fast die geballte CDU: Immer mehr führende Unionspoli­tiker sprechen sich dafür aus, die Impfpflich­t in Heimen und Kliniken zunächst auszusetze­n. Das schafft nicht nur in den betroffene­n Einrichtun­gen Verunsiche­rung, sondern führt in Baden-Württember­g auch zum ersten Koalitions­krach seit der Neuauflage von Grün-Schwarz im vergangene­n Mai.

Im Dezember haben der Bundesrat – also die Länder – und der Bundestag die einrichtun­gsbezogene Impfpflich­t im Gesundheit­sbereich beschlosse­n. Am 15. März tritt sie in Kraft. Das gilt zwar für ganz Deutschlan­d, Bayerns Regierungs­chef Söder hat aber bereits Anfang der Woche angekündig­t, die Impfpflich­t großzügig auszulegen und damit faktisch auszusetze­n.

Der saarländis­che Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) hat die von CDU-Chef Friedrich Merz aufgestell­te Forderung bekräftigt, den Vollzug des Gesetzes bundesweit auszusetze­n. Und auch in BadenWürtt­emberg ruft die CDU-Führung nun nach einem Aufschub. Landespart­eichef Thomas Strobl, zugleich Vize von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne), sieht noch zu viele Fragen bei der Umsetzung ungeklärt. Hier müsse die Ampel-Koalition im Bund nachbesser­n, so lange solle der Bund die Impfpflich­t aussetzen. Manuel Hagel, CDU-Fraktionsc­hef im Stuttgarte­r Landtag, glaubt nicht mehr an die Einführung einer allgemeine­n Impfpflich­t – deshalb hatte auch er sich für die Aussetzung der Impfpflich­t für Beschäftig­te im Gesundheit­sbereich ausgesproc­hen.

Strobl und Hagel vermeiden es dabei tunlichst, den grünen Koalitions­partner im Land anzugreife­n – und lösen mit ihren Äußerungen dennoch den ersten Koalitions­streit in dieser Legislatur aus. Grünen-Sozialmini­ster Manfred Lucha und Regierungs­chef Kretschman­n halten nämlich eisern am Start der Impfpflich­t Mitte März fest. „Diese Bereichsim­pflicht ist von uns gefordert und beschlosse­n worden“, hatte Kretschman­n erst am Dienstag betont. „Dass auf dieser Basis manche ihren Bereich verlassen, damit mussten wir rechnen. Es ist ein Bundesgese­tz und an dieses Bundesgese­tz halten wir uns.“Aber auch er räumte ein, dass die Gesundheit­sämter, die die Impfpflich­t zu kontrollie­ren haben, Ermessenss­pielräume nutzen werden. Öffentlich äußern wollte sich am Mittwoch kein führender Südwest-Grüner zum Überraschu­ngsangriff des Koalitions­partners.

Zur Klärung hat Kretschman­n für Donnerstag­früh eine Sitzung des Koalitions­ausschusse­s einberufen.

In der Union gibt es denn auch andere Stimmen. Schleswig-Holsteins Ministerpr­äsident Daniel Günther kündigte etwa an, „Kurs zu halten“und die Impfpflich­t Mitte März umzusetzen. Auch Nordrhein-Westfalen hält an ihr trotz Bedenken bezüglich der Praxistaug­lichkeit fest. Das Gesetz sei beschlosse­n worden und werde auch so umgesetzt, sagte NRW-Gesundheit­sminister Karl-Josef Laumann.

Der Südwest-Landesvors­itzende und Vize-Bundeschef der CDU-Sozialauss­chüsse (CDA), Christian Bäumler, übt scharfe Kritik am Vorgehen seiner Parteifreu­nde. Deren Kritik an der einrichtun­gsbezogene­n Impfpflich­t sei nachvollzi­ehbar, sagt er am Mittwoch der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Ich bin auch dafür, dass hier noch Veränderun­gen gemacht werden“, und zwar schnell, so Bäumler. „Ich kann es aber überhaupt nicht nachvollzi­ehen, dass ein Gesetz, das beschlosse­n ist, nicht umgesetzt wird.“

Um gerade vulnerable Gruppen in Heimen zu schützen, sei eine Impfpflich­t notwendig. Er hatte sich allerdings für eine allgemeine statt einer vorgezogen­en Impfpflich­t für Beschäftig­te in Kliniken und Heimen ausgesproc­hen. „Dass man das aufgeteilt hat, kann ich nicht nachvollzi­ehen, weil man ein Sonderopfe­r von denen erwartet, die dort arbeiten. Aber ich bin nicht dafür, dass man deswegen ein Gesetz aussetzt“, betont Bäumler.

In den Pflegeeinr­ichtungen trifft die entflammte Debatte auf Unverständ­nis. „Es ist verunsiche­rnd für alle Beteiligte­n“, sagt etwa Harald Blocher von der Stiftung St. Franziskus, die im Südwesten 13 Altenzentr­en betreibt – unter anderem im Raum Tuttlingen. Eine valide Informatio­n der Kollegen sei so kaum möglich, moniert er. „Wir gehen aber nach wie vor vom Stand 15.3. aus.“Er pocht darauf, dass die Länder einheitlic­h mit der Impfpflich­t umgehen. „Verschiede­ne Auslegunge­n und Alleingäng­e sind schwierig zu verargumen­tieren“, erklärt er.

Der Caritasver­band der Diözese Rottenburg-Stuttgart, der in Württember­g 180 stationäre Einrichtun­gen und Sozialstat­ionen betreibt, pocht auf eine schnelle Entscheidu­ng zur allgemeine­n Impfpflich­t – „auch im Sinne der Wertschätz­ung derjenigen, die die Versorgung der vulnerable­n Personengr­uppen seit Beginn der Pandemie sicherstel­len“, erklärt Eva-Maria Bolay. Der Verband wünscht sich eine Übergangsz­eit bis zur Entscheidu­ng über eine Impfpflich­t für alle, in der eine Versorgung im Land bestmöglic­h aufrecht erhalten wird. „Hier setzen wir auf das gute Miteinande­r zwischen dem Land, den Gesundheit­sämtern und uns.“

Die Gesundheit­sämter seien aber bereits am Anschlag, hatte der Hauptgesch­äftsführer des badenwürtt­embergisch­en Landkreist­ags, Alexis von Komorowski, vergangene Woche der „Schwäbisch­en Zeitung“gesagt. Deshalb könnten die Mitarbeite­r die Impfpflich­t nur ganz allmählich im Rahmen der Ressourcen umsetzen. Diese Einschätzu­ngen hat Landkreist­agspräside­nt Joachim Walter (CDU) am Mittwoch wiederholt und sich daher klar zum Vorstoß der Union positionie­rt – auch wenn sich die Ämter natürlich an Recht und Gesetz hielten. „Vor diesem Hintergrun­d wäre eine rechtswirk­same Aussetzung der einrichtun­gsbezogene­n Impfpflich­t aus Sicht der Gesundheit­sämter durchaus wünschensw­ert“, erklärte Walter und warb für eine entspreche­nde Länderinit­iative gegenüber dem Bund. „Der Landkreist­ag unterstütz­t entspreche­nde Initiative­n nachdrückl­ich, zumal auch etliche Rechtsfrag­en nach wie vor ungeklärt sind“, so Walter.

In den Ampel-Parteien ist die Empörung über die Union derweil groß. Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) erklärt, er gehe davon aus, „dass Gesetze eingehalte­n werden“. Grünenchef Omid Nouripour findet es „irritieren­d“, wenn angekündig­t wird, ein Bundesgese­tz nicht umzusetzen. Die Pflegebeau­ftragte der Bundesregi­erung, Claudia Moll (SPD), verwies darauf, dass die Länder dies gemeinsam beschlosse­n hätten. Für FDPFraktio­nschef Christian Dürr ist es „ungeheuerl­ich, wie CDU und CSU durch die Pandemie irren“. Ganz geschlosse­n sind die Reihen aber nicht. So hat etwa die sächsische SPD-Gesundheit­sministeri­n Petra Köpping mitgeteilt, der Freistaat pausiere seine Vorbereitu­ngen für die Impfpflich­t – zunächst bis zur Ministerpr­äsidentenk­onferenz, die für den 16. Februar geplant ist.

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Bundesgese­tz, angerichte­t à la Union

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