Der Präsident im Homeoffice
Frank-Walter Steinmeier tritt für eine zweite Amtszeit an – Die erste war von der Pandemie geprägt
- Seine Ankündigung, für eine zweite Amtszeit zur Verfügung zu stehen, kam unerwartet früh. Aber dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier weitermachen wollte, überraschte niemanden. Vielleicht ging es dem 66-Jährigen im Mai vergangenen Jahres darum, einen Pflock einzuschlagen, um zu verhindern, dass sein Amt, das ranghöchste in der Bundesrepublik, Teil des zu erwartenden Postengeschachers nach der Bundestagswahl wird. Wenn das Steinmeiers Strategie war, dann war er damit erfolgreich. Seine Wiederwahl am 13. Februar gilt trotz der drei Gegenkandidaten als sicher.
Steinmeier selbst begründete seine Motivation, sich noch einmal zur Wahl zu stellen, vor allem mit den Folgen der Corona-Pandemie. Die Pandemie habe „Leid und Trauer“gebracht und „viel, viel Frust und Bitterkeit“, sagte er. „Wir haben uns wundgerieben im Streit um den richtigen Weg. Ich möchte helfen, diese Wunden zu heilen.“Die Sorge um den gesellschaftlichen Zusammenhalt, das ist ein Thema, das den Bundespräsidenten seit Jahren umtreibt. Schon in seiner Antrittsrede am 12. Februar 2017 sagte er, er nehme all diejenigen sehr ernst, die sich fragten, was der Kitt sei, „der unsere Gesellschaft zusammenhält“. Zu diesem Zeitpunkt kannten die Deutschen das Wort „Corona“im Bestfall als lateinische Übersetzung für Krone.
Als SPD-Außenminister ist Steinmeier um die Welt gejettet, um Krisenherde auf diplomatischem Wege zu entschärfen und um die Position der Bundesregierung im Ausland zu vertreten. Als Bundespräsident hatte er zwar andere Aufgaben, doch auf Achse war er dennoch, zumindest bis Corona kam. 20 Länder besuchte Steinmeier im Jahr 2019 – von Äthiopien bis Usbekistan, im Jahr darauf waren es noch sechs. Immerhin: Zu Beginn des Jahres konnte er in Israel und Polen bei Gedenkfeiern zur Erinnerung an den Holocaust dabei sein. Die Befreiung des Konzentrationsund Vernichtungslager Auschwitz jährte sich zum 75. Mal. Die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus wachzuhalten, ist Steinmeier ein Anliegen. Ebenso wie das Eintreten gegen jede Form von Antisemitismus. Dass sich „Antisemitismus, antisemitischer Hass und
Hetze in Deutschland wieder offen zeigen“, schmerze ihn und mache ihn zornig, sagte Steinmeier im August vergangenen Jahres.
Der Nordrhein-Westfale, geboren in einfachen Verhältnissen, ist kein Bundespräsident, der nur Diplomatendeutsch beherrscht. Das zeigte sich vor allem in den vergangenen Wochen, als landauf, landab die Zahl der Demonstranten gegen die Corona-Verordnungen und eine mögliche Impfpflicht zugenommen hat. „Wenn sogenannte Spaziergänger von einer ,Corona-Diktatur‘ schwurbeln, dann steckt darin nicht nur Verachtung für staatliche Institutionen. Sondern das beleidigt uns alle!“, sagte Steinmeier und rief dazu auf, den radikalen Kräften nicht das Feld zu überlassen. Auch seine Geduld mit Impfgegnern scheint etwas erschöpft. „Was muss eigentlich noch geschehen, um die Zögernden zu überzeugen?“, fragte er im November. Gleichwohl versucht er, mit Impfskeptikern im Austausch
zu bleiben, wie im Januar im Schloss Bellevue und digitalen Zuschaltungen.
Wer Steinmeier im Gespräch erlebt, spürt, dass es ihm wichtig ist zu erfahren, was andere denken. Er wirkt trotz Kronleuchter, edler Möbel und gediegener Umgebung nicht abgehoben, sondern ehrlich interessiert am Austausch. Doch auch in diesem Punkt hat die Corona-Pandemie vieles verändert, was zuvor möglich war. Der Bundespräsident musste sich – wie alle anderen im Land – neue Wege suchen, um in Kontakt zu bleiben, beispielsweise mit digitalen Bürgergesprächen. Auch er arbeitete in einer Art Homeoffice, wenngleich sein „Office“wahrscheinlich größer ist als bei vielen anderen das „Home“. Doch er zeigt Mitgefühl mit jenen, die „auf unbestimmte Zeit zum Arbeiten im Homeoffice an den Küchentisch verbannt sind“oder in Kurzarbeit auf Einkommen verzichten müssen, wie er vor Kurzem sagte.
Dass Steinmeier, der als Jurist neben dem früheren Kanzler Gerhard Schröder in der SPD aufgestiegen ist, beliebt ist, mag ein Grund sein, warum sich die Union dagegen entschieden hat, einen Gegenkandidaten aufzustellen. Nach einer aktuellen ForsaUmfrage sind 69 Prozent der Bürger mit Steinmeiers Arbeit zufrieden. Doch auch vor fünf Jahren hatten CDU und CSU Probleme, einen Kandidaten zu finden, der damals noch von der SPD mitgetragen werden musste. Nur wenig später verhinderte Steinmeier, relativ frisch im Amt, Neuwahlen. Als die Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition nach der Bundestagswahl 2017 gescheitert waren, appellierte er an Union und SPD, ein neues Bündnis einzugehen.
Welche Prominenten aus der Region bei der Bundespräsidentenwahl dabei sind, erfahren Sie auf auf www.schwäbische.de/bv
Was die Gegenkandidaten von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verbindet, ist die Aussicht, nicht gewählt zu werden. Dennoch haben sich der Ökonom Max Otte (57), der Arzt Gerhard Trabert (65) und die Astrophysikerin Stefanie Gebauer (41) als Kandidaten aufstellen lassen.
Mit seiner Nominierung durch die AfD hat es der CDU-Politiker Max Otte zu Schlagzeilen gebracht. Der Preis dafür: Die CDUSpitze entzog ihm mit sofortiger Wirkung seine Mitgliedsrechte und leitete ein Parteiausschlussverfahren gegen den 57-Jährigen ein. Bis zu diesem Tag war Otte außerhalb der Union vor allem jenen bekannt, die sich mit düsteren Wirtschaftsszenarien beschäftigen und ein gutes Namensgedächtnis haben. Der Ökonom war zwar acht Monate lang Vorsitzender der erzkonservativen Werteunion, aber dieser Zusammenschluss wird selbst innerhalb der Union nicht richtig ernst genommen. Ihm gehören knapp 4000 Mitglieder an, davon sind 85 Prozent CDUoder CSU-Mitglieder. Nach der Bundesversammlung am Sonntag will sich Otte, der früher verbeamteter Professor war und als Fondsmanager tätig ist, aus der aktiven Parteipolitik zurückziehen.
Gerhard Trabert ist weder Berufspolitiker noch Mitglied einer Partei, dennoch geht der 65-jährige Arzt und Sozialmediziner für die Linken ins Rennen. Dass er keine Chancen hat zu gewinnen, ist ihm klar: Er möchte die Kandidatur nutzen, „um auf die Armut und die soziale Ungerechtigkeit in diesem Land hinzuweisen“, schreibt er auf seiner Internetseite. In Mainz arbeitet er seit Jahrzehnten ehrenamtlich für die medizinische Versorgung von Obdachlosen und in der Flüchtlingshilfe. Dass die Armut in Deutschland politisch zu wenig wahrgenommen werde, treibt ihn um. „Ich habe den Eindruck, dass vielen Politikern die Dimension des Problems in unserer Gesellschaft nicht bewusst ist“, sagt der Professor für Sozialmedizin und Sozialpsychiatrie