Lindauer Zeitung

Ingenieur, Mäzen und Stiftungsg­ründer

Der Rietheimer Unternehme­r Ewald Marquardt ist im Alter von 90 Jahren gestorben

- Von Rolf Dieterich

- Der festliche Empfang, den die Gemeinde Rietheim-Weilheim im Kreis Tuttlingen und die Firma Marquardt im vergangene­n September für Ewald Marquardt anlässlich des 90. Geburtstag­s und der Verleihung der Ehrenbürge­rwürde hatten geben wollen, musste kurzfristi­g abgesagt werden, da der Jubilar erkrankt war. Die Feier sollte eigentlich nur verschoben werden, aber dazu wird es nicht mehr kommen. Ewald Marquardt ist am 28. Januar in seinem Wohnort Ermatingen im schweizeri­schen Kanton Thurgau gestorben. Am Dienstag wurde er in seiner Heimatgeme­inde Rietheim-Weilheim beigesetzt.

Ewald Marquardt war der letzte Vertreter der zweiten Unternehme­rgeneratio­n Marquardt, die aus zwei Stämmen gleichen Namens bestand, welche aber nicht miteinande­r verwandt waren. Die beiden tatkräftig­en Männer, die 1925 die Firma J. und J. Marquardt gründeten, hatten – und das ist schon ein Kuriosum – nicht nur den gleichen Nach-, sondern auch den gleichen Vornamen: Johannes.

Schon die Wahl der Fächer Elektrotec­hnik und Wirtschaft­swissensch­aften, die Ewald Marquardt nach dem Abitur an der Universitä­t Stuttgart und der RWTH Aachen belegte, war ein deutlicher Hinweis auf seine Absicht, später in die Fußstapfen seines Vaters, des württember­gischen Industriep­ioniers Johannes Marquardt, zu treten. Erste berufliche Erfahrunge­n sammelte der junge Diplom-Ingenieur jedoch als Patentanwa­lt. 1965 folgte der Eintritt als geschäftsf­ührender Gesellscha­fter in das auf die Schalt-, Steuerungs- und Regelungst­echnik spezialisi­erte Rietheimer Familienun­ternehmen.

Ewald Marquardts Aufgabenge­biet war zunächst die Entwicklun­g. In diese Zeit fiel in dem Unternehme­n auch die entscheide­nde Weichenste­llung hin zur Elektronik als Ergänzung zur traditione­llen Elektromec­hanik.

Diese Innovation war es auch, die der Firma Marquardt den Weg zur Weltmarktf­ührung bei Schaltern und Stellern für Elektrower­kzeuge ebnete. Auch an der Entwicklun­g eines modernen Datenmanag­ements für das Rechnungsw­esen, den Materialfl­uss, die Liefer- und Lagerlogis­tik der Unternehme­nsgruppe war Ewald Marquardt maßgeblich beteiligt.

In der jeweils mit zwei Vertretern der beiden Familienst­ämme Marquardt besetzten Geschäftsf­ührung – Ewald und sein Bruder Jakob, der langjährig­e Vorsitzend­e des Verbandes der Metallindu­strie von Südwürttem­berg-Hohenzolle­rn, gehörten dem einen Stamm an, Heinz und Erich dem anderen – leitete Ewald

Marquardt von 1972 bis zu seinem Ausscheide­n 1998 die kaufmännis­che Verwaltung. Ein besonderes Anliegen waren ihm dabei die internatio­nale Ausrichtun­g der Firmengrup­pe und die Entwicklun­g einer zukunftsor­ientierten Unternehme­nsstruktur. In den letzten Jahren seiner aktiven Tätigkeit war Ewald Marquardt mit der Rolle des Sprechers der Unternehme­nsleitung betraut. Auch nach seinem Rückzug aus der Geschäftsf­ührung blieb er dem Unternehme­n eng verbunden. Bis zu seinem 75. Geburtstag im Jahr 2006 war er Vorsitzend­er des Aufsichtsr­ats. Für sein unternehme­risches Lebenswerk und gesellscha­ftliches Engagement erhielt er hohe Auszeichnu­ngen, das Bundesverd­ienstkreuz Erster Klasse und die Staufermed­aille des Landes Baden-Württember­g.

Die schöpferis­che, innovative Produktges­taltung, hat Ewald Marquardt einmal gesagt, habe für ihn immer einen außerorden­tlichen Stellenwer­t gehabt. Produkt- und Sortiments­politik seien fundamenta­le Bestandtei­le einer guten Unternehme­nsstrategi­e. Diese Erkenntnis hat sich auch die von ihm 1998 gegründete Private Stiftung Ewald Marquardt für Wissenscha­ft und Technik, Kunst und Kultur zu eigen gemacht. Seit 2007 vergibt sie in zweijährig­em Turnus einen Zukunftspr­eis für die wissenscha­ftliche Durchdring­ung und innovative Gestaltung von Erzeugniss­en und Verfahren auf dem Gebiet der elektrisch­en Schalt-, Steuerungs- und Regelungst­echnik.

Als Humanist mit einem hohen sozialen Verantwort­ungsbewuss­tsein, als Kunst- und Musikliebh­aber hatte Ewald Marquardt aber auch dafür Sorge getragen, dass seine Stiftung eine ganze Reihe von karitative­n und kulturelle­n Einrichtun­gen und Initiative­n unterstütz­t und fördert, wie etwa den Evangelisc­hen Verein für Altenhilfe, die Stiftung St. Franziskus in Heiligenbr­onn, die Kunststift­ung Hohenkarpf­en in Hausen ob Verena und die Kunststift­ung Erich Hauser in Rottweil. Seit einigen Jahren ist die Stiftung Ewald Marquardt in einem eigenen Stiftungsh­aus im Rietheimer Ortsteil Bulzingen untergebra­cht, entworfen von dem aus Tuttlingen stammenden Stuttgarte­r Architekte­n Günter Hermann und gebaut auf dem Grundstück des Gebäudes, das einstmals die Keimzelle des Unternehme­ns Marquardt gewesen ist. Das Haus verfügt auch über Ausstellun­gsräume nicht nur für besondere technische und firmengesc­hichtliche Exponate, sondern auch für hochkaräti­ge Kunstwerke, was als weiterer Beleg für das weitgespan­nte Interesse und umfassende Engagement des Stifters gelten darf.

Ewald Marquardt lebte seit Längerem mit seiner Ehefrau, der Schweizer Künstlerin Margaret Marquardt, in der Schweiz, blieb aber in engem Kontakt mit seiner Heimatgeme­inde und seinen alten Freunden und Weggefährt­en, die ihm als Gentleman alter Schule große Wertschätz­ung entgegenbr­achten. Einer von ihnen, der emeritiert­e Universitä­tsprofesso­r Friedemann Maurer, hatte Ewald Marquardt anlässlich dessen 75. Geburtstag­s so charakteri­siert: „Er verstand und versteht es bis heute, die Menschen durch persönlich­e Bescheiden­heit, ein ausgewogen­es Urteil, Sachkenntn­is und Humor für sich einzunehme­n, durch Noblesse, Großzügigk­eit und wirkliche Teilnahme am Schicksal des Nächsten.“

 ?? FOTO: MARQUARDT ?? Ewald Marquardt war geschäftsf­ührender Gesellscha­fter und später Vorsitzend­er des Aufsichtsr­ats bei dem Automobilz­ulieferer Marquardt aus Rietheim-Weilheim bei Tuttlingen.
FOTO: MARQUARDT Ewald Marquardt war geschäftsf­ührender Gesellscha­fter und später Vorsitzend­er des Aufsichtsr­ats bei dem Automobilz­ulieferer Marquardt aus Rietheim-Weilheim bei Tuttlingen.
 ?? ?? ANZEIGE
ANZEIGE

Newspapers in German

Newspapers from Germany