Lindauer Zeitung

„Ich bin alt, aber kein Idiot“

Wie ein spanischer Rentner mit seinem Kampf gegen die Digitalisi­erung der Banken zum Held wird

- Von Ralph Schulze

- „Ich bin fast 80 Jahre alt, und es macht mich traurig zu sehen, dass die Banken ältere Menschen wie mich links liegen lassen“, sagt Carlos San Juan. Es gebe immer weniger Filialen, immer weniger Personal, immer kürzere Öffnungsze­iten. Viele Geldgeschä­fte könnten nicht mehr am Schalter, sondern nur noch mit Apps oder online erledigt werden. Doch was für jüngere Menschen ein Kinderspie­l sei, stelle immer mehr Senioren vor unüberwind­bare Probleme.

„Das ist ungerecht“, sagt der 78 Jahre alte Spanier, der gerade in seinem Land zur Galionsfig­ur einer breiten Protestbew­egung geworden ist. „Die alten Menschen sind auch Bankkunden, auch wenn wir nicht mit den neuen Technologi­en umgehen können.“Carlos San Juan begann Unterschri­ften zu sammeln, um einen personalis­ierten Umgang der Geldinstit­ute mit den Senioren zu fordern. „Und zwar ohne technologi­sche Hinderniss­e und mit mehr Menschlich­keit.“

Der Hilferuf des Rentners, ein pensionier­ter Arzt, hatte einen überwältig­enden Erfolg. Inzwischen haben weit mehr als 600 000 Menschen den Aufruf für eine angemessen­ere Behandlung der älteren Bankkunden unterzeich­net. Die Kampagne verbreitet­e sich auf der Internet-Protestpla­ttform Change und auf Twitter unter dem Schlagwort „Ich bin alt, aber kein Idiot“(SoyMayorNo­Idiota) wie ein Lauffeuer. Und sie zeigte, dass der Initiator nicht der Einzige ist, der unter der Digitalisi­erung des Bankwesens leidet.

Das Telefon des kämpferisc­hen Rentners lief die letzten Tage heiß. Bankvertre­ter und Politiker riefen an und äußerten Verständni­s für den Aufstand der Senioren. Sogar der Boss der spanischen Zentralban­k, Pablo Hernández de Cos, meldete sich telefonisc­h. Der Chef der Zentralban­k, der Aufsichtsb­ehörde der Geldinstit­ute, versprach hoch und heilig, Abhilfe zu schaffen. Er wolle mit den Banken über eine Verbesseru­ng des Service für die älteren Bürger verhandeln.

Auch Spaniens Wirtschaft­sministeri­n Nadia Calviño schaltete sich ein. Sie begrüßte den kämpferisc­hen Rentner persönlich, als dieser Anfang dieser Woche im Ministeriu­m seinen Karton mit 600 000 Unterschri­ften abgab. Und sie dankte ihm dafür, das Problem zur Sprache gebracht zu haben. „Uns ist klar geworden, dass die älteren Menschen nicht die Behandlung erfahren, die sie verdienen.“Sie hoffe, dass dies jetzt auch den Geldinstit­uten bewusst geworden sei.

Doch mit freundlich­en Worten will sich Carlos San Juan nicht zufriedeng­eben. „Wir werden nicht aufgeben.“Nun müssten greifbare Ergebnisse kommen. Zumal die Tendenz zur Schließung von Filialen, Kürzung von Schalterze­iten und Digitalisi­erung von Dienstleis­tungen weitergehe. „Früher konnte man einfach in seine Bank gehen, Geld einzahlen und abheben oder andere Dinge erledigen. Aber jetzt muss man auch für simple Geldgeschä­fte komplizier­te Technologi­en benutzen.“

Als er einmal seine Bank wegen Technikpro­blemen um Hilfe gebeten habe, sei er schroff abgefertig­t worden. „Es war entwürdige­nd, sie haben mich wie einen Idioten behandelt.“Das tue weh. Und das müsse sich ändern. „Wir wollen mit Würde behandelt werden.“Die Senioren seien gleichbere­chtigter Teil der Gesellscha­ft, zudem wachse ihre Zahl wegen des demografis­chen Wandels. In Spanien gehören mittlerwei­le zehn Millionen der 47 Millionen Einwohner zur Rentnergen­eration.

Bisher sieht es nicht danach aus, dass sich die Bankenbran­che in ihrem Digitalisi­erungs- und Rationalis­ierungsfel­dzug aufhalten lassen wolle. Mehrere Großbanken wie Caixa und BBVA kündigten an, die Belegschaf­t erneut zu verkleiner­n. Im vergangene­n Jahr seien in der Branche mehr als 10 000 Arbeitsplä­tze abgebaut worden, schätzt der Verbrauche­rverband Asufin.

Seit Ausbruch der großen Finanzkris­e im Jahr 2008 bis heute habe sich die Bankbelegs­chaft in Spanien um mehr als 100 000 Angestellt­e

auf 164 000 reduziert. Mit dem Personalab­bau geht die Schließung von Bank- und Sparkassen­filialen einher. Seit 2008 habe sich die Zahl der Geschäftss­tellen von 45 000 auf 21 000 mehr als halbiert, teilte die spanische Zentralban­k mit. Über die Hälfte der 8131 Gemeinden in Spanien habe keine einzige Bankfilial­e mehr. Am schlimmste­n ist die Situation auf den Dörfern, wo es oftmals nicht einmal mehr einen Geldautoma­ten gibt. Doch auch in den Städten werden immer mehr Bankbüros dichtgemac­ht.

Derweil melden die spanischen Großbanken, die während der vergangene­n Finanzkris­e mit Steuermill­iarden gestützt werden mussten, für das Jahr 2021 Rekordeinn­ahmen. Alleine die fünf größten Geldinstit­ute Santander, BBVA, CaixaBank, Sabadell und Bankinter verbuchten in ihren letzten Jahresbila­nzen zusammenge­rechnet nahezu 20 Milliarden Euro an Reingewinn. An Geld, um in den Kundenserv­ice zu investiere­n, mangelt es also nicht.

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FOTO: PAUL WHITE/DPA Der spanische Rentner Carlos San Juan spricht mit Journalist­en vor dem Wirtschaft­sministeri­um in Madrid, bevor er die gesammelte­n Unterschri­ften übergibt.

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