Neu im Kino
Von Rüdiger Suchsland
Wieder geht sie unter, die Welt, zumindest beinahe. Und dieses Mal noch heftiger, bombastischer, brutaler, schrecklicher. Was ist nicht alles schon passiert in Filmen von Roland Emmerich: Spätestens seit 25 Jahren, seit seinem Welterfolg mit „Independence Day“gilt der Schwabe in Hollywood als der „Master of Desaster“. Und denen, die ihn etwas weniger mögen, immer noch als „das Spielbergle aus Ludwigsburg“, an dessen Filmhochschule er einst studierte.
Dass die Erde untergeht, jedenfalls beinahe, dass eine Menschheitskatastrophe droht und nur unter unermesslichen Opfern in letzter Sekunde noch zu vermeiden ist, das ist nach Filmen wie „Godzilla“, „The Day After Tomorrow“und „2012“eigentlich irgendwie eine Selbstverständlichkeit bei diesem Regisseur. Die einzig entscheidende Frage bleibt das „Wie“.
Mal waren die Außerirdischen schuld, mal der Klimawandel, mal ein schreckliches Monster wie eben Godzilla und mal eine geheimnisvolle Prophezeiung – ein bisschen Wissenschaft ist gern dabei bei Roland Emmerich, aber auch eine gehörige Prise Esoterik und Mystery. „Dieser Planet hat fünf Extinktionen durchgemacht. Das wird die sechste“, sagt eine Figur in diesem Film, als redete sie über Emmerichs Karriere. Und jetzt der Mond.
Der Mond droht in Emmerichs neuestem Science-Fiction-Katastrophenfilm „Moonfall“auf die Erde zu stürzen. Herabfallende Mondbrocken zerschmettern bereits im Nu größere Teile, sorgen für riesige Tsunamis und andere Katastrophen. Es gibt trotzdem eine kleine Ret-tungschance, und ein Haufen verwegener Außenseiter versucht, diese zu nutzen.
Darunter sind vor allem ausgemusterte Nasa-Mitarbeiter. Nach einer Space-Shuttle-Beinahekatastrophe bekam die Astronautin Jo Fowler (Halle Berry) einen Schreibtischjob, und Brian Harper (Patrick Wilson) flog raus, worauf er auch noch Frau und Wohnung verloren hat. Zudem wird er wegen des Todes eines Kollegen von Schuldgefühlen geplagt.
Auch diesmal befolgt Roland Emmerich den Ratschlag der alten Handwerksleute und macht stur einfach weiter das, was er am besten kann: Er zerstört die Erde. Er entfaltet die große Katastrophe in allerlei kleinen Untergangsorgien mit vielen Special Effects, gleißenden Explosionen, Feuerbällen, Menschen, die entweder selbstlos über sich hinauswachsen oder wimmernd in der Ecke kauern oder gar als Egoisten mit dem Tod bestraft werden. Gewürzt wird das alles mit der Emmerich-Mischung aus Melodram und Herzschmerz und ein bisschen Heldentum aus der Mottenkiste der B-Movies der 1950er-Jahre.
So grandios tatsächlich vieles daherkommt mit den Big-Budget-Ausstattungssequenzen, die Hollywood immer noch finanziert, so ist der Gesamteindruck doch ziemlich schal. Man hat das alles einfach in den letzten 25 Jahren schon viel zu oft gesehen.
Nicht nur von diesem Regisseur, sondern von den Legionen seiner Epigonen und von den paar Leuten, die vielleicht auch einfach besser sind als er. Die richtig guten ScienceFiction-Filme sind sowieso längst keine Desaster- und Katastrophenfilme mehr, sondern viel eher poetische Zukunftsfantasien wie etwa Christopher Nolans „Interstellar“.
Das liegt auch daran, dass Emmerichs Weltbild, das schon immer etwas aus der Zeit gefallen ist, inzwischen reichlich verstaubt wirkt: Dass die Politik nur Gutes im Sinn hat, der Präsident ein sorgender Vater der Nation und Industrielle echte Visionäre sind, das glauben heute nur noch ein paar neoliberale Ideologen.
Fundierte Kritik an solchen HeileWelt-Märchen hätte es ja nicht sein müssen, aber etwas Distanz zum Gegenstand schadet Regisseuren nie. Emmerich nimmt alles zu ernst, auch die Gaga-Idee, dass der Mond innen hohl ist und auf die Erde stürzt. Angesichts ironischer Endzeitkomödien wie „Don’t Look Up“wirkt „Moonfall“nur naiv. Tolle Schauspieler wie neben Patrick Wilson und Halle Berry auch der ehrwürdige Donald Sutherland in einem wunderbaren Kurzauftritt können diese innere Leere nicht wettmachen.
Etwas Neues kommt dafür hinzu. Noch nie war ein Emmerich so voller Paranoia und Verschwörungsmythen. Bereits im Trailer heißt es raunend: „Sie versuchten es zu leugnen. Sie versuchten es zu erklären.“Im Film geht es dann weiter mit einer der plattesten aller bekannten Verschwörungstheorien: der Mondlandung. Sie hat zwar stattgefunden. Aber angeblich hat die Besatzung von Apollo 11 an diesem Tag etwas gefunden, das 50 Jahre lang versteckt gehalten wurde.
Wir haben es also mit Regierungsversagen oder Schlimmerem zu tun, mit einer groß angelegten Verschleierung der Wahrheit. Menschen, die mehr wussten, haben die Menschheit getäuscht. Manchmal kommt es einem so vor, als befände man sich nicht im Kino, sondern auf einer „Querdenker“-Demo.
Was uns sein neuer Film also unmissverständlich lehrt: Roland Emmerich ist nicht etwa ein Intellektueller, der die Stirn in Falten legt. Vielleicht ist er einfach nur ein großer Humorist. Ein selbstironischer Komödienregisseur, einer, der über sich selber am meisten lachen kann. Dann wäre „Moonfall“eine großartige Selbstparodie aller bisherigen Emmerich-Filme. Hoffentlich eine absichtliche.
Moonfall, Regie: Roland Emmerich, USA/Kanada/China/Großbritannien, 132 Minuten, FSK: ab 12. Mit Halle Berry, Patrick Wilson, John Bradley, Donald Sutherland.