Lindauer Zeitung

Helmut Reischl hat Tag und Nacht geimpft

So viel wie im vergangene­n Jahr impfte der Wasserburg­er Arzt noch nie

- Von Ronja Straub

- Am Wochenende und bis spät in die Nacht: Helmut Reischl hat im vergangene­n Jahr viel Freizeit damit verbracht, Menschen zu impfen. Dabei, sagt er, muss man sich Zeit für jeden Einzelnen nehmen. Weil die Menschen ihm vertrauen, hat er auch in einer großen Aktion eine Gruppe Gehörloser die Spritze gegeben. Er ist ein Held des Alltags.

Helmut Reischl gibt seinen Patienten etwas, das nur noch wenige haben: Er schenkt ihnen Zeit. Besonders viel Zeit hat Reischl, der seit 2002 in Wasserburg praktizier­t, im vergangene­n Jahr ins Impfen gesteckt. Am 10. Januar hat er in einem Lindauer Altenheim die erste Spritze gesetzt. Ab April dann in seiner Praxis. Es gab Wochen, da arbeitete er sieben Tage. Unter der Woche in der Praxis, Samstag und Sonntag im Impfzentru­m und dort teilweise bis 23 Uhr am Abend. Er pendelte zwischen den Zentren in Lindau, Lindenberg, Dornbirn und Bregenz. An einem Tag hat er über 150 Menschen geimpft. Manchmal war er zwölf Stunden vor Ort.

Gelitten unter der Situation – vor allem im Sommer war beim Impfen viel los – haben seine Frau und seine zwölfjähri­ge Tochter. „Aber die stehen hinter mir“, sagt der Arzt. „Das Impfen ist mir wichtig, weil es ist für mich einer der Wege, wie wir wieder zurückkomm­en“, sagt Reischl. Nur wer sich beteiligt, könne etwas verändern.

Reischl habe festgestel­lt, dass man mit den Leuten sprechen und sich Zeit nehmen müsse. In der Praxis habe er etliche Patienten gehabt, die er und sein Partner in der Gemeinscha­ftspraxis, Dr. Stefan Rößler, überzeugen konnten, obwohl sie vorher Angst gehabt hatten. Helmut Reischl sagt auch: „Ich überrede keinen Impfgegner. Wer nicht will, der will nicht.“Das seien aber höchstens zehn Prozent, dazu kommen noch diejenigen, die nicht geimpft werden können. Die übrigen, die noch nicht geimpft sind, habe man nur bisher nicht erreicht. Sie seien ängstlich oder nicht genügend informiert, glaubt er.

Dass Ärzte sich zu wenig Zeit für ihre Patienten nehmen, sieht Reischl als generelles Problem an. „Auch bei einer schweren Diagnose werden Leute oft allein gelassen“, sagt Reischl, der vor seiner Zeit in Wasserburg in Nürnberg als Chirurg gearbeitet hat.

Zu einer außergewöh­nlichen Impfaktion ist Helmut Reischl auch wegen seiner besonderen Einstellun­g gekommen. Gerald Schneider, der erste Vorsitzend­e des Vereins Hörgeschäd­igtenzentr­um Bodensee-Allgäu-Oberschwab­en, fragte Reischl, ob er Gehörlose impfen würde. Denn dafür brauche es besonders viel Einfühlung­svermögen, Geduld und – auch hier – Zeit. Während man Menschen ohne Behinderun­g in ein paar Minuten impft, musste Reischl für einen Gehörlosen drei Termine blocken. Denn ein sechsseiti­ges Formular müsse man mit den Menschen richtig durchgehen und alles erklären, sagt Reischl. „Sie kann man nicht einfach so abspeisen.“Denn viele seien verunsiche­rt gewesen.

Zu Beginn war auch der Wasserburg­er noch etwas skeptisch. Ihm war klar: Das bedeutet viel Arbeit. Es mussten ein Dolmetsche­r organisier­t und Vorbereitu­ngen getroffen werden. „Aber nach dem ersten Tag, als die Menschen sich so gefreut haben, hat das für alles entschädig­t“, sagt er. Sechs Termine habe es insgesamt gegeben, an denen Gehörlose geimpft wurden.

Sie alle fanden außerhalb der regulären Sprechstun­de statt. So hätten die Gehörlosen mehr Fragen stellen können. Viele hätten ganz plausible Dinge wissen wollen, zum Beispiel, wie die Impfung funktionie­rt oder welche Risiken es gibt. „Die Infos bekommen sie offensicht­lich schwierig aus den Medien“, sagt Reischl, den es stört, dass bei der regulären Tagesschau kein Dolmetsche­r übersetzt.

Impfen außer der Reihe, bis in die Nacht und am Wochenende: Das vergangene Jahr war für Helmut Reischl oft anstrengen­d. Immer entschädig­t haben aber die Reaktionen der Menschen, sagt er. „Ich habe auch Leute geimpft, die Angst vor der Nadel hatten“, sagt Reischl. Und als es vorbei war, hätten sie schon wieder nach dem zweiten Termin gefragt. „Wenn die Rückmeldun­gen negativer wären, würde ich es bestimmt auch nicht machen“, sagt Reischl und lacht. Der Arzt weiß: Wer sich Zeit nimmt und den Menschen als Menschen sieht, dem vertrauen die Leute.

Es gibt sie überall – Menschen, die uns beeindruck­en. Die sich engagieren, etwas bewegen oder auch einfach etwas leisten, das bemerkensw­ert ist. Diese Menschen bekommen für das, was sie tun, aber oft nur wenig Aufmerksam­keit und Würdigung. Die LZ stellt sie mit einer neuen Serie in den Mittelpunk­t. Unter schwaebisc­he.de/alltagshel­den finden Sie weitere Artikel aus dieser Serie. Wenn Sie auch jemanden kennen, den oder die wir in dieser Serie vorstellen sollten, schreiben Sie uns an redaktion@lindauer-zeitung.de Der Impfarzt Helmut Reischl aus Wasserburg wurde von Wilburg Schneider vorgeschla­gen.

 ?? FOTO: RONJA STRAUB ?? Helmut Reischl aus Wasserburg hat im vergangene­n Jahr viel von seiner Freizeit geopfert, um Menschen in Lindau, Lindenberg, Dornbirn und Bregenz zu impfen. 10 000 Spritzen hat er gegeben.
FOTO: RONJA STRAUB Helmut Reischl aus Wasserburg hat im vergangene­n Jahr viel von seiner Freizeit geopfert, um Menschen in Lindau, Lindenberg, Dornbirn und Bregenz zu impfen. 10 000 Spritzen hat er gegeben.

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