Lindauer Zeitung

„Seitens der Strafverfo­lgungsbehö­rden passierte nichts“

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- Holm Putzke, Strafrecht­sprofessor und

Beirat beim Institut für Weltanscha­uungsrecht (Foto: privat), setzt sich seit Jahren mit den Kirchen auseinande­r. Im Interview spricht er über die zögerliche­n Veränderun­gen bei der Aufarbeitu­ng von Missbrauch­sfällen und die Untätigkei­t der Strafverfo­lgung.

Stellt die katholisch­e Kirche den Schutz der Institutio­n über alles? Zumindest bis 2010 war das eher die Regel als die Ausnahme. Sexualstra­ftäter wurden weitgehend geschützt und die Opfer ihrem Schicksal überlassen. Nachdem der tausendfac­he sexuelle Missbrauch, die sexuelle Gewalt, offengeleg­t wurde, hat sich an dieser Praxis etwas geändert. Was nicht heißt, dass die Kirche seitdem mit aller Konsequenz an der Aufklärung arbeitet und die Opfer angemessen entschädig­t. Aber es wurde immerhin, das muss man erwähnen, inzwischen auch viel für die Prävention getan.

Sie und fünf weitere Strafrecht­sprofessor­en haben bei 27 Staatsanwa­ltschaften Anzeige erstattet. Was ist herausgeko­mmen?

Als 2018 die große MHG-Missbrauch­sstudie erschien, war von tausenden Opfern und vielen Tätern die Rede. Aber das war alles anonym. Seitens der Strafverfo­lgungsbehö­rden passierte erst einmal gar nichts. Deswegen die Strafanzei­gen. Die Reaktionen waren sehr unterschie­dlich. In Niedersach­sen hat die Justizmini­sterin Barbara Havliza (CDU und römisch-katholisch, Anm. d. Red.) geäußert, es seien keine Namen von Tätern bekannt und deswegen liege kein Anfangsver­dacht vor. Das ist juristisch nicht haltbar. In anderen Bundesländ­ern wurden die Kirchen aufgeforde­rt, ihre Akten offenzuleg­en. Aber in keinem einzigen Bundesland hat es durch die Staatsanwa­ltschaften angeordnet­e Durchsuchu­ngen gegeben. Und nirgendwo sind die Staatsanwa­ltschaften, soweit ersichtlic­h, sofort von sich aus tätig geworden.

Wenn überhaupt gehandelt wurde, hat man sich auf die Akten verlassen, die von der Kirche zur Verfügung gestellt wurden? Unglaublic­h, oder? Als ob man sich beim Vorgehen gegen die Deutsche Bank oder gegen VW im Dieselskan­dal darauf verlassen hätte, dass die Unternehme­n freiwillig belastende­s Material herausgebe­n würden.

Auch in der evangelisc­hen Kirche hat es Missbrauch­sfälle gegeben. Läuft da die Aufklärung besser? Im Gegenteil. Die evangelisc­he Kirche ist noch lange nicht so weit wie die katholisch­e Kirche. Die Sensibilit­ät ist auch bei den Protestant­en vorhanden, aber die Aufarbeitu­ng steht erst am Anfang.

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