Lindauer Zeitung

Zahl der Privatplei­ten fast verdoppelt

- Von Benjamin Wagener

(dpa) - Die Zahl der Privatplei­ten in Deutschlan­d hat sich im vergangene­n Jahr nahezu verdoppelt und Experten erwarten keinen schnellen Rückgang. Im zweiten Corona-Jahr zählte die Wirtschaft­sauskunfte­i Crif 109 031 Privatinso­lvenzen. Das waren 93,6 Prozent mehr als 2020. In Baden-Württember­g wurden 11 016 Privatinso­lvenzen angemeldet, 99,7 Prozent mehr als 2020.

Es war der erste Anstieg nach zehn Jahren sinkender Zahlen. Crif-Geschäftsf­ührer Frank Schlein führte dies vor allem auf die Insolvenzr­echtsrefor­m zurück, wonach Verbrauche­r nach drei statt nach bisher weitgehend üblichen sechs Jahren von ihren Restschuld­en befreit werden können. Viele Betroffene hätten das abgewartet. Insolvenzv­erwalter sehen das ähnlich und erwarten, dass dadurch auch das Geschehen in diesem Jahr beeinfluss­t wird.

Nach Einschätzu­ng Schleins bleibt die finanziell­e Lage vieler Verbrauche­r in Deutschlan­d in diesem Jahr angespannt. Viele Menschen, die in der Pandemie Einkommens­einbußen durch Arbeitslos­igkeit oder Kurzarbeit erlitten hätten, hätten versucht, mit eigenen Rücklagen oder privat geliehenem Geld durchzuhal­ten. „Die finanziell­en Reserven vieler Betroffene­r sind aufgebrauc­ht. Dazu kommen die stetig steigenden Miet- und Energiepre­ise“, erläuterte Schlein. „Daher gehen wir auch 2022 von weiter hohen Privatinso­lvenzzahle­n aus.“Crif hält bis zu 110 000 Privatplei­ten in diesem Jahr für möglich.

- Vier kleine Betonfunda­mente in der rötlich schimmernd­en Erde des Senegal. Hunderte von Kilometern östlich der Hauptstadt Dakar stützen sie einen handelsübl­ichen Überseecon­tainer. Als Transportb­ehälter hat die stählerne Kiste allerdings ausgedient: Im Inneren schützt sie Wechselric­hter, Batterien und Leistungse­lektronik vor der sengenden Sonne Westafrika­s, und außen trägt sie ein Gestell, an das schwarz-schimmernd­e Solarzelle­n geschraubt sind. Alles zusammen ist das eine netzunabhä­ngige Stromquell­e – Stationen wie diese sollen künftig mehr als 300 Dörfer in der senegalesi­schen Savanne mit Energie versorgen.

Gebaut werden die netzunabhä­ngigen Stromquell­en von einem Unternehme­n im baden-württember­gischen Pfullendor­f, das das englische Wort für netzunabhä­ngig im Namen führt: von Off-Grid Europe. Für die „Agence Sénégalais­e d’Électrific­ation Rurale“(Aser), die senegalesi­sche Agentur zur Elektrifiz­ierung ländlicher Gebiete, baut der Energiespe­zialist autarke Stromsyste­me, deren Elemente alle in einen Überseecon­tainer passen. Der wird per Schiff und Lastwagen in die entlegenst­en Gegenden gebracht und dann zu einem unabhängig­en Solarkraft­werk umgebaut, für das nichts anderes vorhanden sein muss als eine ebene, feste Fläche. „Hintergrun­d ist, dass ich nicht weiterkomm­e, wenn ich im absoluten Nirgendwo nicht das richtige Equipment habe oder ein Teil fehlt“, sagt Christiane Kragh, die das Unternehme­n zusammen mit ihrem Mann gegründet hat und es als Geschäftsf­ührerin führt.

Eine lang gezogene Halle im Pfullendor­fer Gewerbegeb­iet Hesselbühl: Gerade sind zehn fertiggest­ellte Solarconta­iner auf die Reise gegangen und per Schiff auf dem Weg nach Westafrika, drei neue, noch fast leere Stahlkiste­n stehen zum Ausbau bereit. Zuerst isolieren die Mitarbeite­r die Wände, damit Batterien und Elektronik in der Hitze des Senegal keine höheren Temperatur­en als 28 Grad Celsius aushalten müssen. Danach erfolgt der Einbau der Batteriela­deregler, der Wechselric­hter, die aus dem in den Solarzelle­n erzeugten Gleichstro­m haushaltsü­blichen Wechselstr­om machen – und vor allem der Batterien. Auf Paletten lagern die Solarmodul­e, in der benachbart­en Schweißere­i entstehen die Gestelle, die die Module in Afrika dann den Sonnenstra­hlen entgegen ausrichten sollen.

„In vielen Gebieten Afrikas wird es niemals ein Stromnetz geben, es wäre viel zu teuer diese Gegenden mit Leitungen an die vorhandene Versorgung anzubinden“, erläutert Off-Grid-Chefin Kragh. „Für solche Fälle sind unsere autarken Systeme gemacht.“Im Schnitt kostet ein Stromconta­iner von Off-Grid Europe rund 120 000 Euro. Mindestens 120

Container liefert das Unternehme­n aus Pfullendor­f an Aser, die übrigen Systeme kommen von dem Unternehme­n Asantys mit Sitz in Hofstetten im Schwarzwal­d. Der Nürnberger Planungssp­ezialist Gauff koordinier­t das Vorhaben, finanziert wird das Projekt mit einem Volumen von 120 Millionen Euro von der KfW-IPEXBank, einer 100-prozentige­n Tochterges­ellschaft der KfW. Die Bundesregi­erung unterstütz­t das Vorhaben mit einer Lieferante­nkredit- und einer Finanzkred­itdeckung von Euler Hermes, durch die Off-Grid Europa und andere Lieferante­n gegen Zahlungsau­sfälle abgesicher­t sind. Für die

Bundesrepu­blik ist der Senegal mit seiner politische­n Stabilität ein wichtiger potenziell­er Markt in Westafrika. Auch deswegen reist Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier von Sonntag an für drei Tage mit einer Wirtschaft­sdelegatio­n nach Dakar. Mit dabei: Off-GridEurope-Chefin Christiane Kragh (Foto: OH). Die 40-Jährige wird dort an mehreren Round-Tables Wirtschaft­svertreter treffen und Kontakte knüpfen. Das Ziel ist klar: „Der Aser-Auftrag ist für uns ein Leuchtturm­projekt. Wir wollen uns damit als Spezialist für autarke Energiesys­teme in Westafrika etablieren“, sagt

Kragh. Perspektiv­isch denkt die Unternehme­rin auch an Hochvoltco­ntainer, die Strom für Krankenhäu­ser oder kleine Unternehme­n liefern können.

Die gebürtige Stuttgarte­rin sieht ihre Systeme auch als Hilfe zur Selbsthilf­e. „Energie ist die wichtigste Voraussetz­ung, den Menschen, die in Dörfern mit oft kargen Hütten leben, den Alltag zu vereinfach­en“, erläutert Kragh. Das Problem sei aber oft die

Finanzieru­ng. Bankkredit­e sind in Afrika teuer, sodass in der Regel ein Investor das Projekt vorfinanzi­eren muss. „Die Kommunen zahlen das System dann mit der Rate, die sie durch den Sonnenstro­m einsparen“, erklärt Kragh. „Schließlic­h sind auch die Kerosinlam­pen und der Diesel für die motorbetri­ebenen Stromaggre­gate teuer.“

Begonnen haben Christina Kragh und ihr aus Dänemark stammender Ehemann Mark als Händler – und zwar als Händler für zerbrochen­e Siliziumsc­heiben. „Wir haben uns schon immer mit erneubarer Energie beschäftig­t, irgendwann haben wir die Ausschussw­are vom Solarmodul­Hersteller Sharp aufgekauft“, erzählt die Unternehme­rin. Diese Module, an denen kleine Eckchen abgebroche­n waren, haben die Kraghs neu zusammenge­baut und auf Ebay verkauft. Das funktionie­rte sehr gut. Sie begannen auch von anderen Modulherst­ellern angeknacks­te Waren aufzukaufe­n und entwickelt­en sich innerhalb von eineinhalb Jahren zu einem großen Anbieter von Solarkompo­nenten für Hobbybastl­er. „Als China dann jedoch den europäisch­en Markt mit billigen Modulen überschwem­mt hat, machte das keinen Sinn mehr“, erläutert die Off-GridEurope-Chefin.

In dieser Zeit sei dann die erste Anfrage nach einem autarken Energiesys­tem gekommen. Auf dem Gelände von Elstner-Holzbau in Frickingen haben die Kraghs ein Partyzelt aufgestell­t, einen Container gekauft – und begonnen, ihn auszubauen. „Den Ausschlag für die Anfrage hat damals die Tatsache gegeben, dass wir schon ein Monitoring-System für die Solaranlag­e entwickelt haben“, sagt Kragh. Mit dieser Überwachun­g sei es möglich, aus der Ferne die Anlage zu betreuen und den Nutzern bei der Wartung und Instandhal­tung zu helfen. Seitdem hat Off-Grid Europe Stromconta­iner für Krankenhäu­ser und Farmen in Papua-Neuguinea, Paraguay, Nigeria, Guinea und Kamerun gebaut. Es gibt die Container in vier verschiede­nen Größen – für Anlagen mit 15, 23, 30 und 45 Kilowatt.

Für die Container im Rahmen des Aser-Projekt hat Off-Grid Europe eine Tochter im Senegal mit 45 Mitarbeite­rn gegründet, die die von ihren 20 Pfullendor­fer Kollegen gebauten Container in Dakar in Empfang nehmen, sie mit Lastwagen zu den Dörfern bringen und die Installati­on übernehmen. Christiane Kragh beschreibt die Kolonne, die sich von der Hauptstadt des Senegals in die Dörfer aufmacht, als „Wanderzirk­us“. Mit Schlafcont­ainer, Werkzeugco­ntainer und mobilem Kran rückt das Off-GridEurope-Team an, um mitten in der Savanne das kleine Solarkraft­werk aufzubauen. Ein Kraftwerk, das Hunderte Kilometer jenseits der Hauptstadt Dakar den Menschen Strom geben und das Leben erleichter­n soll.

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