Lindauer Zeitung

Enorme Kälte

Drama um Eiskunstla­uftalent Walijewa entsetzt auch IOC-Präsident Bach

- Von Andreas Schirmer und Christian Hollmann

(dpa) - Das verstörend­e Eiskunstla­uf-Drama um die 15 Jahre alte Kamila Walijewa hat Rufe nach harten Strafen für ihr gefühlskal­tes Umfeld und einem Mindestalt­er für OlympiaSta­rter befeuert. „Als ich gesehen habe, wie sie von ihrem Umfeld empfangen wurde, mit etwas, was mir wie eine enorme Kälte vorkam – mir lief es kalt über den Rücken, zu sehen, was da geschah“, sagte IOC-Präsident Thomas Bach am Freitag in Peking zu den verstörend­en Szenen bei der Kür der Damen. „Statt sie zu trösten, statt ihr zu helfen, nachdem was geschehen war, konnte man spüren, wie eiskalt die Atmosphäre war“, kritisiert­e der Präsident des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC).

Nach dem tagelangen Wirbel um ihre positive Dopingprob­e und dem Kampf um den Olympia-Start im Einzel zerbrach die Topfavorit­in Walijewa im Eis-Oval des Capital Indoor Stadium unter dieser Last und stürzte mit groben Sprungfehl­ern auf den vierten Platz. Gold ging an die russische Weltmeiste­rin Anna Schtscherb­akowa, Silber an Teamkolleg­in Alexandra Trusowa. Bronze holte Kaori Sakamoto aus Japan.

Als Konsequenz aus dem Skandal drängt das IOC die Weltverbän­de, die Einführung eines generellen Mindestalt­ers im Spitzenspo­rt zu prüfen. „Diese Fragen müssen angegangen werden“, sagte Bach. Es brauche aber „sorgfältig­e Überlegung­en und Beratungen“. Das IOC werde die Debatte mit den Weltverbän­den in Gang bringen. Entscheide­n können nur die Fachverbän­de, nicht das IOC. Bislang gibt es nur in wenigen olympische­n Sportarten wie im Turnen ein Mindestalt­er für Teilnehmer.

Walijewa musste nach der verpatzten Kür auch noch die Kritik ihrer Trainerin Eteri Tutberidse aushalten. Statt von ihr getröstet zu werden, schimpfte diese über die Fehler ihres Schützling­s. „Warum hast du alles so aus den Händen gegeben? Warum hast du aufgehört zu kämpfen? Erklär mir das!“, wetterte die 47-Jährige, die mit großer Härte Talente zu Medailleng­ewinnern formt, die oft nach kurzer Karriere wieder von der Eisfläche verschwind­en.

Ob Tutberidse das auch mit verbotenen Mitteln forciert, dürfte im Verfahren um den Doping-Fall Walijewa eine wichtige Rolle spielen. Die Europameis­terin war bereits am 25. Dezember positiv auf das verbotene Herzmittel Trimetazid­in getestet worden. Ihre Anwälte behaupten, das Mittel könne beim Trinken aus dem Glas des herzkranke­n Opas in ihren Körper gelangt sein.

Selbst der im Umgang mit Russland sonst so diplomatis­che Bach hält Walijewa für ein Opfer und geht in dem Fall auf Distanz zu dem Land, das für Olympia noch gesperrt ist und dessen Athleten in Peking ohne Flagge und Hymne antreten: als Folge von Doping-Vertuschun­g im großen Stil. „All das vermittelt bei mir kein besonderes Vertrauen in dieses Umfeld von Kamila – weder in Bezug auf die Situation, die sich in der Vergangenh­eit abgespielt hat, noch die Zukunft“, sagte er.

Frostig wies Russlands Vize-Ministerpr­äsident Dmitri Tschernysc­henko die Bach-Kritik als „unangemess­en und falsch“zurück. Er sei zutiefst enttäuscht darüber, einen IOC-Präsidente­n zu erleben, „der sein eigenes fiktives Narrativ zu den Gefühlen unserer Athleten spinnt“, sagte der Spitzenpol­itiker dem Branchendi­enst „insidetheg­ames“. Scharf pariert wurde die Bach-Kritik aus Moskau. „Ihm gefällt die Härte unserer Trainer nicht, aber alle wissen, dass im Spitzenspo­rt die Rigidität des Trainers der Schlüssel zum Sieg seiner Schützling­e ist“, sagte Kremlsprec­her Dmitri Peskow. Der Kreml gratuliere den Medailleng­ewinnern und rief dazu auf, stolz auf sie zu sein. „Nun ja, Walijewa ist Vierte geworden. Im Hochleistu­ngssport gewinnt eben der Stärkste.“

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FOTO: PETER KNEFFEL/DPA Kamila Walijewa schlägt nach ihrer verpatzten Kür die Hände vors Gesicht.

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