Lindauer Zeitung

Kritik am Lobbyregis­ter des Bundestags

Ab März müssen Interessen­vertreter gemeldet sein – Verbände kritisiere­n zu viele Ausnahmen in den neuen Regeln

- Von Heike Reiß

- Am 1. März 2022 wird das bundesweit­e Lobbyregis­ter scharf gestellt. Wer künftig als Interessen­vertreter mit den Abgeordnet­en des Bundestags Kontakt aufnehmen will, muss sich registrier­t haben. Kritikern geht das Gesetz nicht weit genug.

„Das Klischee vom ,bösen Lobbyismus’ übersieht, dass Interessen­vertretung ein notwendige­r Bestandtei­l von Demokratie ist. Das wird auch von der Politik ausdrückli­ch eingeforde­rt, denn nur so können sich Politikeri­nnen und Politiker eine fundierte Meinung für ihre Entscheidu­ngen bilden”, sagt Stefan Krug, Sprecher der Umweltschu­tzorganisa­tion Greenpeace. „Aber Lobbyisten, die mit dem Geldkoffer durch die Gänge laufen, sind ein Klischee.”

Dennoch gebe es einen juristisch­en Graubereic­h, in dem die Grenze zwischen Interessen­vertretung und Korruption verschwimm­en kann. Stefan Krug merkt an: „Firmen haben subtilere Möglichkei­ten, Einfluss zu nehmen, etwa durch Drohungen, Beschäftig­te zu reduzieren oder ganze Standorte zu verlagern. Das kann auf einen Abgeordnet­en, dessen Wahlkreis davon betroffen ist, schon Eindruck machen.” Wobei das auch für zahlungskr­äftige Organisati­onen und Verbände gelten kann, nicht nur für Unternehme­n.

Ziel des Lobbyregis­ters ist es, über eine Liste von allen Vertreteri­nnen und Vertretern zu verfügen, die Einfluss auf bundespoli­tische Willensbil­dungsund Entscheidu­ngsprozess­e nehmen. Seit Beginn dieses Jahres ist die Registrier­ung Pflicht.

Dafür müssen Angaben zu Auftraggeb­er, finanziell­em Aufwand und Branche erfolgen sowie einem vorgegeben­en Verhaltens­kodex zugestimmt werden. Werden Daten verweigert, wird das im Register ausgewiese­n. Wer falsche Angaben macht, zahlt ein Bußgeld von bis zu 50 000 Euro. Derzeit verzeichne­t das Register etwa 670 Einträge, nach denen circa 3100 Personen berechtigt sind, eine Interessen­vertretung auszuüben (Stand: 18. Februar 2022).

Der Verband der Chemischen Industrie e.V. (VCI) hat sich als einer der ersten großen Interessen­vertreter im Register eingetrage­n. VCIHauptge­schäftsfüh­rer Wolfgang

Große Entrup sieht darin einen Baustein der parlamenta­rischen Grundordnu­ng: „Für uns war das immer selbstvers­tändlich, jetzt ist es auch amtlich.” Doch der Verband hat eines zu bemängeln. „Vor allem enthält das aktuelle Lobbyregis­ter viel zu viele Ausnahmen. Es fehlen wesentlich­e

Bereiche der Interessen­vertretung. Das untergräbt nicht nur das Gesetzeszi­el, sondern führt auch zu einer Wettbewerb­sverzerrun­g”, so Sprecherin

Monika von Zedlitz.

Diese Auffassung teilt Anna-Lena Gleich, Sprecherin des Bundesverb­ands der Deutschen Industrie (BDI): „Es gibt noch zu viele Gruppen, die von der Registrier­ungspflich­t befreit sind, beispielsw­eise Rechtsbera­ter, kommunale Spitzenver­bände, Kirchen und Religionsg­emeinschaf­ten – was dem Grundsatz der Gleichbeha­ndlung widerspric­ht.“

Auch Privatpers­onen, die ein persönlich­es Interesse an einem Thema bekunden, Menschen, die auf ein lokales Anliegen hinweisen, das nicht mehr als zwei Bundestags-Wahlkreise betrifft, oder Sachverstä­ndige, die den Bitten der Bundestags­mitglieder um Informatio­nen nachkommen, müssen sich nicht in dem Verzeichni­s registrier­en. Auch Arbeitnehm­erverbände sind von der Pflicht bislang ausgenomme­n.

Dem Register mangele es zudem an der Offenlegun­g von Einflussna­hmen auf die Bundesregi­erung. „Es fehlt die Dokumentat­ion, von wem wann wie auf einzelne Gesetze Einfluss genommen wurde. Da müsste dringend nachgebess­ert werden”, so Stefan Krug von Greenpeace.

Was die Arbeit einer Interessen­gruppe zusätzlich erschwere? „Die zunehmende Radikalisi­erung und Verrohung der politische­n Debatte bedroht die Demokratie in Deutschlan­d“, urteilt der Greenpeace-Mann. Deshalb spreche die Organisati­on nur mit allen Fraktionen im Bundestag, die auf dem Boden des Grundgeset­zes stünden.

Was aber zeichnet einen profession­ellen Lobbyismus überhaupt aus? „Fachwissen gehört genauso zum Profil wie politische­s Verständni­s und eine ideologief­reie Arbeitswei­se”, stellt Anna-Lena Gleich vom BDI klar. „Wir versuchen, mit der Kraft unserer Argumente zu überzeugen. Glaubwürdi­gkeit ist das A und O.“

Den zweiten wesentlich­en Faktor ergänzt Greenpeace-Sprecher Stefan Krug: die Fähigkeit, zuzuhören und ein echtes Interesse daran, die Motive des Gegenübers zu verstehen. „Politikeri­nnen und Politiker sind nicht nur Amtsträger, sondern Menschen, die häufig unter großem Druck und angesichts unterschie­dlichster Interessen Entscheidu­ngen treffen müssen”, sagt er. Unabdingba­r seien daher konkrete Lösungsvor­schläge, mit denen Politikeri­nnen und Politiker auch etwas anfangen können.

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FOTO: CHRISTOPHE GATEAU/DPA Das Brandenbur­ger Tor vom Pariser Platz aus betrachtet: Dort sitzen etliche einflussre­iche Lobbyverbä­nde.

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