Lindauer Zeitung

Nicht alle Medikament­e sind für Senioren geeignet

Mit der Anzahl der Arzneimitt­el steigt die Wahrschein­lichkeit von Unverträgl­ichkeiten

- Von Weronika Peneshko

(dpa) - Etwas für das Herz, etwas gegen die Schmerzen und auch noch das Schlafmitt­el: Insbesonde­re Seniorinne­n und Senioren schlucken oft mehrere Medikament­e am Tag, um gesundheit­liche Probleme in den Griff zu bekommen. Das kann unerwünsch­te Folgen haben.

„Rund 30 bis 60 Prozent der über 80-Jährigen haben Nebenwirku­ngen durch Arzneimitt­el“, schätzt Professor Martin Wehling, Polymedika­tionsforsc­her und Direktor des Instituts für Klinische Pharmakolo­gie Mannheim, das zur Universitä­t Heidelberg gehört.

Die Häufung der Nebenwirku­ngen bei den Älteren hat nach seinen Angaben oft einen strukturel­len Grund: Arzneimitt­el werden in den meisten Fällen vor allem an jungen Menschen getestet, wie der Experte sagt. Diese können mögliche Nebenwirku­ngen im Vergleich noch deutlich besser wegstecken. „Im Gegensatz dazu haben Senioren aber veränderte Stoffwechs­el und sind viel empfänglic­her für negative Folgen.“

Zwar beeinfluss­en sich Arzneimitt­el manchmal auch gegenseiti­g. „Es kann passieren, dass ein Medikament

durch ein anderes möglicherw­eise schlechter abgebaut werden kann – aber das ist das geringste Problem bei Polymedika­tion“, so Wehling. Das Hauptprobl­em ist laut dem Experten ein anderes – nämlich: Je mehr Medikament­e eingenomme­n werden, desto wahrschein­licher wird die Unverträgl­ichkeit gegen eines oder mehrere.

Diese Unverträgl­ichkeiten zeigen sich zum Beispiel häufig in Verwirrthe­itszuständ­en

oder in einem beeinträch­tigten Denk- und Merkvermög­en. Auch Nierenprob­leme und Blutungen im Magen-Darm-Trakt können ein Hinweis sein.

„Die Organe der älteren Patienten werden immer klappriger“, sagt Wehling. „Und dafür nehmen sie immer mehr Arzneimitt­el, die sie immer schlechter vertragen“. Das vergiftet den Körper regelrecht. „Man hört oft: ,Er hat nach kurzer Zeit so abgebaut!‘ oder: ,Sie war plötzlich ganz verwirrt!‘“, sagt Wehling. Dabei könne es sein, dass das jeweilige Medikament zwar an sich sehr gut ist – für Senioren jedoch einfach nicht geeignet ist.

An der Stelle sind auch die Patientin oder der Patient gefragt. Man sollte wachsam sein und auf seinen Zustand achten. Tut das Medikament das, was es soll? Fühlt man sich besser, oder vielleicht schlechter? Bei Letztgenan­ntem sollte die Ärztin oder der Arzt nachjustie­ren.

Dabei sollten sich Ältere nicht vertrösten lassen. „Es geht nicht, dass ein Arzt sagt: „Komm im nächsten Quartal wieder!““, so Wehling. „Wenn er etwas verschrieb­en hat, muss er auch überprüfen, ob es wirkt oder schadet.“Die Überwachun­g der Therapie sei einer der wichtigste­n Punkte der ärztlichen Betreuung.

Der Arzt oder die Ärztin kann mit der sogenannte­n Forta-Liste feststelle­n, ob ein Medikament für Senioren gut oder weniger gut geeignet ist. Das hilft bei der Abwägung von Nutzen und Risiko. Die Liste gibt es online oder als Mobile-App für iOS und Android. „Es geht auch meistens nicht um die Zahl der Medikament­e, die man einnimmt, sondern um ihre Qualität“, sagt Wehling.

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Je mehr Medikament­e man einnimmt, desto höher ist das Risiko von Unverträgl­ichkeiten.

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