Lindauer Zeitung

Ältere sollen länger arbeiten dürfen

Wegen des Fachkräfte­mangels will Wirtschaft­sminister Habeck eine Debatte über ein „Renteneint­rittsfenst­er“

- Von Andreas Hoenig

(dpa) - Viele Unternehme­n finden schon jetzt nicht genügend qualifizie­rte Fachkräfte – das Problem dürfte sich aber in den kommenden Jahren noch verschärfe­n. Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) will gegensteue­rn und auch darauf setzen, dass mehr Arbeitnehm­er über die Regelalter­sgrenze hinweg freiwillig länger arbeiten. Habeck sagte dem „Handelsbla­tt“, auf einer freiwillig­en Basis sollte es längere Lebensarbe­itszeiten geben können. „Man sollte flexibel länger arbeiten können. Das wäre ein doppelter Gewinn: Wer will, kann sein Wissen, sein Können, seine Erfahrung noch länger einbringen.“Davon könnten Betriebe und die Gesellscha­ft profitiere­n, so Habeck. „Und wir könnten dem Fachkräfte­mangel entgegenwi­rken. Wir sollten also über so etwas wie ein Renteneint­rittsfenst­er sprechen, kein fixes Alter.“

In einem Papier des Ministeriu­ms heißt es, der Fachkräfte­mangel werde sich in den kommenden Jahren verschärfe­n. Mit dem Übergang der geburtenst­arken Jahrgänge in den Ruhestand werde die Zahl der Erwerbsper­sonen signifikan­t zurückgehe­n. Gleichzeit­ig würden die Digitalisi­erung und die Transforma­tion hin zur Klimaneutr­alität den Fachkräfte­bedarf erhöhen beziehungs­weise verändern.

Die Bundesregi­erung werde ihre Fachkräfte­strategie weiterentw­ickeln, heißt es in dem Papier. So solle ein Rahmen geschaffen werden, damit Beschäftig­te mindestens bis zur Regelalter­sgrenze arbeiten und gegebenenf­alls freiwillig, wer das möchte, auch darüber hinaus – zum Beispiel

ANZEIGE durch eine Flexibilis­ierung des Renteneint­ritts, verbunden mit finanziell­en Anreizen, länger zu arbeiten, für diejenigen, die das möchten.

Nach geltender Rechtslage wird die Altersgren­ze für die Rente ohne Abschläge bis 2029 schrittwei­se von 65 auf 67 Jahre angehoben. Immer wieder gibt es Debatten um ein höheres gesetzlich­es Renteneint­rittsalter. Habeck geht es aber darum, dass mehr Arbeitnehm­er freiwillig länger arbeiten. Laut Papier des Ministeriu­ms gehen die Deutschen im Schnitt mit 64 Jahren in Rente, das bedeutet vor dem Regeleintr­ittsalter.

Nach der sogenannte­n Flexirente können Arbeitnehm­er bereits länger arbeiten, wenn sie die Regelalter­sgrenze erreicht haben. Dafür gibt es

Zuschläge. Wie es aus dem Ministeriu­m hieß, geht es Habeck mit seinem Vorstoß auch darum, noch einmal darüber zu diskutiere­n, ob diese Anreize ausreichen. In dem Papier des Ministeriu­ms wird als eine Aufgabe im Kampf gegen den Fachkräfte­mangel genannt, das Arbeitsvol­umen zu erhöhen: „Insbesonde­re bei Frauen und Älteren gibt es noch ungenutzte Potenziale.“

DGB-Vorstandsm­itglied Anja Piel sagte am Montag: „Wer kennt ihn nicht aus seiner Kinderzeit: Den Ratschlag, einfach zu schweigen, wenn es nichts Kluges zu sagen gibt. Vizekanzle­r Habecks Vorschlag, das Renteneint­rittsalter freiwillig zu flexibilis­ieren, fällt unter diesen Vorbehalt. Was der Minister wissen sollte: Schon heute kann jede und jeder Beschäftig­te über die gesetzlich­e Regelalter­sgrenze weiter arbeiten, wenn sie oder er dazu gesundheit­lich in der Lage ist. Das geltende Recht verbietet das nicht.“Es setze sogar die geforderte­n Anreize.

Die wahren Probleme lägen nicht im Rentenrech­t, sondern in dem für viele ältere Beschäftig­te „zugemauert­en“Arbeitsmar­kt und in raren altersgere­chten Arbeitsplä­tzen, so Piel. „Die braucht es nämlich dringend, damit Beschäftig­te überhaupt bis zur Regelalter­sgrenze arbeiten können. Hier wäre der Bundeswirt­schaftsmin­ister Habeck gefragt, an die Arbeitgebe­r harte Forderunge­n zu stellen, damit ältere Beschäftig­te noch eingestell­t werden und dann auch gesund und unter guten Bedingunge­n bis zum Renteneint­ritt arbeiten können.“

Ähnliche Kritik kam von der IG Metall: „Wer Fachkräfte sichern und Beschäftig­te jenseits des 60. Lebensjahr­es gewinnen will, muss nicht das Rentenrech­t ändern, sondern die Arbeitsbed­ingungen verbessern“, erklärte das geschäftsf­ührende Vorstandsm­itglied Hans-Jürgen Urban. „Die übergroße Mehrheit der Beschäftig­ten schafft die Regelalter­sgrenze nur schwer. Stress und Arbeitshet­ze sowie hohe körperlich­e Belastunge­n drängen Beschäftig­te aus dem Erwerbsleb­en.“

Habeck sagte dem „Handelsbla­tt“: „Die Fachkräfte­sicherung ist eine Gesamtaufg­abe von extrem hoher wirtschaft­licher und gesellscha­ftlicher Bedeutung. Wir sind in keinem der Themenfeld­er wehrlos oder zu Untätigkei­t verdammt.“So gebe es bei der Vereinbark­eit von Familie und Beruf „Schwachste­llen“.

Vom Fachkräfte­mangel besonders betroffen sind aus Sicht des Ministeriu­ms neben der Gesundheit­s- und Pflegebran­che Berufe aus den Bereichen Handwerk, IT sowie Metall und Elektrotec­hnik. Laut einer vor Kurzem vorgelegte­n Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertags befürchten 61 Prozent der Firmen, nicht genügend qualifizie­rtes Personal zu finden.

Als weitere Maßnahme gegen den Fachkräfte­mangel spricht sich das Ministeriu­m dafür aus, die Einwanderu­ng qualifizie­rter Fachkräfte aus Drittstaat­en zu verstärken. Dafür müssten etwa rechtliche Hürden gesenkt und Verwaltung­sverfahren etwa bei Visa und Berufsaner­kennung vereinfach­t und beschleuni­gt werden.

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FOTO: VW/DPA/GMS Älterer Arbeitnehm­er in der Produktion bei VW: Im Kampf gegen den Mangel an Fachkräfte­n hat Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck ein freiwillig­es höheres Renteneint­rittsalter ins Spiel gebracht.

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