Lindauer Zeitung

Dollys Vermächtni­s

25 Jahre nach dem Wirbel um das Klonschaf

- Von Christoph Meyer

(dpa) - Staunen, Unglauben und teilweise blankes Entsetzen: Als am 22. Februar 1997 die Nachricht vom ersten erfolgreic­hen Klonen eines ausgewachs­enen Säugetiers in Form des Schafs Dolly auf der ganzen Welt Schlagzeil­en machte, rief das heftige Reaktionen hervor. Der Durchbruch weckte Fantasien, Hoffnungen und Ängste – von denen sich viele als unbegründe­t herausstel­lten. Auf dem Deckblatt des „Spiegel“marschiert­en reihenweis­e Klone Adolf Hitlers, Albert Einsteins und Claudia Schiffers im Gleichschr­itt zu dem Titel „Der Sündenfall“. Dahinter lugte Dolly hervor.

Der renommiert­e deutsche Immunologe und Genforsche­r Klaus Rajewsky hielt die Sensation für das Resultat eines Irrtums im Labor. „Ich glaube bis heute nicht, dass es möglich ist, aus Körperzell­en einen Embryo zu klonen“, sagte er bei einer Fachkonfer­enz drei Wochen nach Bekanntwer­den des Durchbruch­s. Doch er war es, der sich geirrt hatte.

25 Jahre später haben sich die Wogen geglättet. Im Roslin-Institut der Universitä­t Edinburgh, wo Dolly einst entstand, wird heute nicht mehr geklont. Trotzdem ist Institutsd­irektor Bruce Whitelaw dankbar für das Interesse, das Dolly der Wissenscha­ft einbrachte. „Es brachte die Biologie an den Frühstücks- und Abendbrott­isch, die Busfahrt und überallhin. Diese Zunahme an öffentlich­em Interesse und Wahrnehmun­g ist wahrschein­lich eines der größten Vermächtni­sse Dollys“, sagte der Forscher.

Der wissenscha­ftliche Wert der Erschaffun­g Dollys lag, anders als es die Schlagzeil­en vor einem Vierteljah­rhundert vermuten ließen, weniger in der Erzeugung einer genetisch identische­n Kopie eines Individuum­s. Wichtiger dürfte der Nachweis gewesen sein, dass Körperzell­en, die bereits eine feste Funktion im Organismus übernehmen, wieder in sogenannte Stammzelle­n umgewandel­t werden können, deren Funktion noch nicht festgelegt ist.

Dolly entstand aus einer am Euter entnommene­n Zelle eines sechs Jahre alten Schafs. „Diese Idee, dass man eine Zelle umprogramm­ieren kann, war einer der treibenden Faktoren der gesamten Stammzellf­orschung seit Dolly“, sagt Whitelaw. Bis dahin kannte man die Fähigkeit, sich in beliebiger Weise weiterzuen­twickeln, nur von embryonale­n Zellen.

Befürchtun­gen, das Klonen von Menschen werde sich nicht aufhalten lassen, haben sich als falsch herausgest­ellt. Doch Whitelaw betont, dass die Debatte darum wichtig war, um die Standards für die Wissenscha­ft zu etablieren.

Menschlich­e Klone wurden bislang nicht erschaffen. Andrew Kitchener vom National Museum in Edinburgh, wo die ausgestopf­te Dolly inzwischen als Exponat zu sehen ist, glaubt auch nicht, dass damit zu rechnen ist. Es fehle schlicht der praktische Nutzen. Zudem sei das Klonen von Menschen aus ethischen Gründen auf der ganzen Welt verboten. „Ich kann mir einfach keine Umstände ausmalen, in denen sich das ändern sollte“, sagt er.

Geklont wird inzwischen vor allem im kommerziel­len Bereich. Es geht unter anderem darum, Nutztiere mit besonders begehrten Merkmalen und Eigenschaf­ten zu reproduzie­ren, beispielsw­eise bei der Zucht von Renn- oder Polopferde­n. Whitelaw vergleicht es mit der abergläubi­schen Angewohnhe­it eines Hockeyspie­lers, der glaubt, nur erfolgreic­h sein zu können, wenn er immer denselben Schläger benutzt. Manche Menschen lassen ein geliebtes Haustier klonen. Angebote für Klon-Hunde gibt es im Internet für rund 44 000 Euro.

Vielverspr­echender als das Klonen eines einzelnen Individuum­s ist für Industrie und Wissenscha­ft die auch als Genschere bezeichnet­e Methode Crispr/Cas, mit der das Genom von Zellen präzise verändert werden kann. Mit dieser Technik entwickeln die Forscher am Roslin Institute inzwischen genetisch veränderte Schweine, die resistent gegen Krankheite­n wie dem PRRS (Porcine reproducti­ve and respirator­y syndrome) sind, einer Krankheit, die Atemwege und Geschlecht­sorgane der Tiere befällt. Und auch für Menschen verspricht die Methode Hoffnung im Kampf gegen Krankheite­n. So wird an Gentherapi­en für Menschen mit HIV/Aids oder bestimmten Krebsforme­n gearbeitet.

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FOTO: CURTIS/DPA Das Klonschaf Dolly im Roslin-Institut bei Edinburgh.

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