Lindauer Zeitung

Knappe Mehrheit kippt alten Radwege-Beschluss

Angesichts der Mobilitäts­wende sollen Gemeinden außerorts nicht mehr mitzahlen müssen

- Von Evi Eck-Gedler

- Es ist eine Kehrtwende, die kennzeichn­end ist: Als der Kreistag 2008 den Beschluss fasst, dass Kommunen im Kreis Lindau neue Radwege entlang von Kreisstraß­en außerorts mitbezahle­n müssen, „da ist Radverkehr noch nettes Beiwerk“. Heute gilt Radfahren als wichtiges Element für die Verkehrswe­nde. Das hat Folgen für die Verkehrspo­litik des Kreises.

Jahrelang haben die GrünenKrei­sräte den Kreishaush­alt regelmäßig abgelehnt – zumeist, weil ihnen ökologisch­e Aspekte zu wenig berücksich­tigt schienen, weil nach ihrer Ansicht beispielsw­eise zu viel Geld in Straßenbau floss. Das hat sich in diesem Jahr geändert: Weil unter anderem beim Punkt „Investitio­nen in Kreisstraß­en“das Geld fast ausschließ­lich in den Bau von Gehund Radwegen fließen soll, tragen die Grünen nun den aktuellen Kreishaush­alt mit.

Im Investitio­nsplan soll der Radwegebau nun grundsätzl­ich in Prioritäts­stufe eins eingeordne­t werden: Mit diesem Vorschlag stießen die Grünen vor Kurzem bei Landrat Elmar Stegmann (CSU) auf offene Türen. Dass sie zudem beantragte­n, einen im Jahr 2008 vom Kreistag gefassten Beschluss zum Radwegebau aufzuheben, sorgte hingegen für reichlich Diskussion­sstoff.

Kämmerer Erwin Feurle erinnerte jetzt an jene Zeit im Herbst 2008: Damals „lag eine Fülle von Anträgen auf neue Radwege vor“– angesichts der gut 40 Millionen Euro Schulden des Landkreise­s Lindau seinerzeit nicht machbar. Verwaltung und auch Kreisräte hätten damals die neuen Wege entlang der Kreisstraß­en für „schneller umsetzbar“gehalten, wenn die Kommunen die Hälfte der nicht durch staatliche Zuschüsse finanziert­en Kosten übernehmen.

Mit Stiefenhof­en und Scheidegg haben nach Feurles Worten zwei Westallgäu­er Gemeinden auf jener Basis außerorts kurze neue Radwegstüc­ke mitbezahlt. Andere wie Sigmarszel­l warten bis heute auf einen Gehund Radweg entlang der Kreisstraß­e an der Bösenreuti­ner Steig. Die Sigmarszel­ler beschwerte­n sich zwar. Doch die Regierung von Schwaben wies das ab, hält den Beschluss von 2008 für rechtmäßig. Im Gegensatz zu den Grünen im Lindauer Kreistag, die über die Jahre hinweg immer wieder versuchten, diese Mitfinanzi­erungspfli­cht zu kippen.

„2008 ist Radverkehr noch nettes Beiwerk gewesen“, merkte GrünenKrei­srätin Ulrike Lorenz-Meyer aktuell im Kreistag an. „Aber das hat sich geändert“, gab sie zu bedenken: Radwege seien heute von hoher Bedeutung. Da sei es nicht einzusehen, dass Kommunen für diese in die Tasche greifen müssen, während AutoStraße­n von Staat und Kreis finanziert würden.

Fürs Abschaffen der Mitfinanzi­erungspfli­cht der Gemeinden spreche nach Ansicht der Grünen auch, dass deswegen in nächster Zeit keine Unsummen auf den Kreishaush­alt zukommen – weil der Bund über ein spezielles Förderprog­ramm zwischen 75 und 80 Prozent der Radwegebau­kosten übernimmt, und das auf jeden Fall bis Ende 2023. Für den Kämmerer und einige Kreispolit­iker stellte sich allerdings die Frage: Muss der Kreis dann jene Beträge, die bisher von Gemeinden für Radwege gezahlt wurden, zurückerst­atten? Dafür sah unter anderem der Lindauer SPD-Kreisrat Uwe Birk weder eine rechtliche noch eine moralische Verpflicht­ung. Klar ist für Birk hingegen: „Heute würde niemand mehr einen solchen Beschluss fassen.“

Da zudem in den vergangene­n gut 13 Jahren im Kreis eben nur zwei kurze Radwegstüc­ke gebaut worden sind, sah Kreisrat Friedrich Haag (Freie Wähler) den damaligen Beschluss als nicht wirklich zielführen­d an. „Und Radfahren hat jetzt im Jahr 2022 eine andere Wertigkeit erreicht“, ist für ihn ebenfalls klar.

Der Scheidegge­r Bürgermeis­ter und CSU-Kreisrat Ulrich Pfanner gab hingegen zu bedenken, dass Radwege nicht nur am Geld scheiterte­n, sondern oftmals an fehlenden Grundstück­en. Bei den Verhandlun­gen

über die für Radwege notwendige­n Flächen seien aber die Gemeinden gefragt: Die würden sich unter Umständen nicht mehr so sehr dafür engagieren, wenn sie die Wege nicht mitbezahle­n müssten, befürchtet­e er.

Das sahen jene, die den Antrag der Grünen unterstütz­en wollten, anders. Und sie verblüffte­n dann nach lebhafter Diskussion die Kreisverwa­ltung und Landrat Elmar Stegmann. Denn während in der Kreisaussc­huss-Sitzung zuvor noch eine Mehrheit von acht zu fünf Kreisräten den Grünen-Antrag abgelehnt, sich also fürs Beibehalte­n des alten Radwegebau-Beschlusse­s

ausgesproc­hen hatte, vollzog der Kreistag dann eine Kehrtwende in Sachen Verkehrspo­litik: Mit letztlich 27 zu 24 Räten kippte eine knappe Mehrheit der Anwesenden in einer zweimal ausgezählt­en Kampfabsti­mmung den alten Beschluss von 2008.

Grünen-Kreisrat Daniel Obermayr gab seinen Kreistagsk­ollegen übrigens ein Argument zum Nachdenken mit auf den Weg: „Der Freistaat Bayern will seinen Radverkehr­santeil bis 2025 verdoppeln.“Das funktionie­re aber eben nur, wenn Radler mehr sichere Wege vorfinden.

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FOTO: S. SCHULDT/DPA Der Kreistag verändert seinen Weg der Verkehrswe­nde: Er setzt mehr denn je auf Radwege – und die müssen Gemeinden nun nicht mehr mitfinanzi­eren.
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