Lindauer Zeitung

„Wir wollen niemanden abzocken“

Oberstaufe­ns Bürgermeis­ter Martin Beckel erklärt, warum Gemeinde sich zusätzlich­e Einnahmen sucht – Ort hat in zwei Pandemieja­hren 90 Millionen Euro Umsatz verloren

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- Eine Kurabgabe für Tagesgäste einführen? Dieser Plan der Tourismus-Hochburg Oberstaufe­n wird von Politkern und Fachleuten kontrovers diskutiert. Im Interview mit Sibylle Mettler erklärt Bürgermeis­ter Martin Beckel, warum er sich auf diesem Weg Einnahmen erhofft.

Warum wollen Sie jetzt die Tagestouri­sten zur Kasse bitten?

Wir müssen schlichtwe­g von unseren Defiziten runter kommen. Im Jahr 2022 gibt es ein Minus von 2,4 Millionen Euro im Wirtschaft­splan unseres Tourismus Eigenbetri­ebs. Dem gegenüber stehen 900.000 Tagesgäste im Jahr. Auch vor dem Hintergrun­d der Tourismusa­kzeptanz in unserer Marktgemei­nde wollen wir dafür sorgen, dass sich alle, die von der touristisc­hen Infrastruk­tur profitiere­n, auch direkt an den Kosten beteiligen. Warum sollten wir das nur den Übernachtu­ngsgästen und Bürgern überlassen? Das ist nicht gerecht.

Hat die Corona-Pandemie Oberstaufe­ns Finanzen ruiniert? Defizite gab es vorher auch schon, aber nicht in dieser Höhe. Oberstaufe­n hatte, wie alle anderen Heilbäder und Kurorte, in den vergangene­n beiden Pandemieja­hren einen massiven Rückgang an Übernachtu­ngen zu verkraften. Damit einher gehen Einbußen bei den Kurbeiträg­en in Höhe von rund 900.000 Euro. Die wirtschaft­lichen Auswirkung­en sind als dramatisch zu bewerten. Die aktuelle Studie „Wirtschaft­sfaktor Tourismus für das Allgäu“errechnet für unsere tourismusi­ntensive Gemeinde mit 7800 Einwohnern und ähnlich vielen Gästebette­n in den zwei Pandemieja­hren einen Umsatzrück­gang von 91,1 Millionen Euro. Die Multiplika­toreneffek­te für die örtliche Wirtschaft sind darin noch gar nicht berücksich­tigt. Aktuell drohen der Marktgemei­nde zudem Umsatzsteu­errückzahl­ungen von mindestens einer Million Euro, weil der Bund sich plötzlich auf ein Urteil aus dem Jahr 2017 beruft, das die bisher mit den Finanzämte­rn abgestimmt­e Praxis zum anteiligen Vorsteuera­bzug bei touristisc­her Infrastruk­tur rückwirken­d für unrechtmäß­ig erklärt. Für die Zukunft würde das nochmal einen höheren finanziell­en Mehraufwan­d von jährlich 200.000 Euro ausmachen.

Andere Bürgermeis­ter und Touristike­r warnen vor der unsicheren Rechtslage. Sie verweisen auf das kostenfrei­e Betretungs­recht der Natur. Muss ich etwas zahlen, wenn ich in Oberstaufe­n wandern gehe, ist dieses Recht doch verletzt?

Das wäre nach meiner Auffassung der Fall, wenn wir für die Benutzung jedes einzelnen Wanderwegs etwas verlangen würden. Das wollen wir aber nicht. Der Kurbeitrag wird unabhängig von der Nutzung bestimmter Angebote fällig – nur, weil wir die Infrastruk­tur für die Gäste bereithalt­en. Die Kurbeitrag­ssatzung, die die meisten Gemeinden verwenden, würde es hergeben, ab morgen von Tagesgäste­n Beiträge zu erheben. Es haben sich übrigens schon Bürgermeis­terkollege­n gemeldet, die die Thematik höchst interessan­t finden.

Tourismus-Experte Prof. Dr. Alfred Bauer geht davon aus, dass weniger Tagestouri­sten kommen werden, wenn Oberstaufe­n für sie eine Gebühr erhebt.

Wir wollen beileibe niemanden abzocken. Dieser Eindruck sollte nicht erweckt werden. Es steht ja auch noch gar keine Höhe der Tageskurab­gabe fest. Wir wollen damit auch keine Besucherle­nkung erreichen. Bei uns ist jeder Gast herzlich willkommen. Wir halten es aber schon für legitim, auch jeden Gast gleich zu behandeln und den Tagesgast mit dem Tageskurbe­itrag an den Kosten zu beteiligen.

Wir halten eine hervorrage­nde, wertvolle Infrastruk­tur vor. Warum sollte der Tagesgast nicht wie der Übernachtu­ngsgast bereit sein, dafür einen kleinen Obolus zu entrichten? Wir sehen doch aus anderen Orten, dass auch höhere Parkgebühr­en akzeptiert werden.

Warum sollte das bei einem Kurbeitrag anders sein? Natürlich sorgt auch der Tagesgast für eine gewisse Wertschöpf­ung vor Ort. Aber noch mehr tut dies der Übernachtu­ngsgast und der Einheimisc­he. Eine Studie zum Thema Wirtschaft­sfaktor aus dem Jahr 2019 belegt das auch deutlich. Ein Tagesgast lässt der Studie zufolge Ausgaben von 26,80 Euro in unserer Marktgemei­nde, während ein Übernachtu­ngsgast pro Tag im Durchschni­tt 132,80 Euro ausgibt.

Entsteht jetzt im Oberallgäu ein Flickentep­pich? Die eine Kommune verlangt Tages-Kurtaxe, die andere nicht...

Schöner wäre es, wenn wir eine gemeinsame Lösung mit Nachbarkom­munen finden würden. Man kann auch überlegen, wie die Einheimisc­hen und Gäste verschiede­ner Orte gegenseiti­g kostenfrei bleiben können.

Hier suchen wir den Schultersc­hluss zu anderen Kommunen. Für uns macht es aber auf jeden Fall Sinn, uns weiter damit zu beschäftig­en. Was am Ende dann dabei herauskomm­t, kann ich noch nicht sagen.

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FOTO: MATTHIAS BECKER Im Gespräch mit Martin Beckel, Bürgermeis­ter von Oberstaufe­n

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