Nicht vogelwild, aber verunsichert
Der FC Bayern erlebt die erste Minikrise der Ära Nagelsmann – Müller positiv getestet
- Die Hoffnungsträger des FC Bayern, sie laufen. Sie machen Hoffnung – mehr aber auch nicht. Am Montag konnte Kapitän Manuel Neuer erstmals nach seiner Operation am Knie wieder ein 20-minütiges Lauftraining auf dem Trainingsgelände absolvieren. Doch das Comeback des 35-jährigen Torhüters dürfte sich noch bis Anfang April hinziehen. Bei Leon Goretzka, seit knapp drei Monaten dauergeplagt von anhaltenden Patellasehnenproblemen, ist selbst die Rückkehr ins Teamtraining ungewiss. Aber auch der Mittelfeldspieler joggt seine Runden. Zwar in Turnschuhen, aber immerhin. Kleine Schritte.
Für das Achtelfinalrückspiel der Champions League gegen RB Salzburg werden auch Alphonso Davies (Herzmuskelentzündung) und der frisch verletzte Corentin Tolisso (Muskelfaserriss; rund drei bis vier Wochen Pause) nicht infrage kommen. Dennoch ist der gesamte Verein momentan auf dieses Datum fixiert. Salzburg überstehen und dann im Viertelfinale mit dem bestmöglichen Kader einen von Europas Granden fordern, um das wahre Saisonziel
Henkelpott ins Visier zu nehmen. So das Ziel, so die Theorie.
Die Realität hieß am Sonntag: erst mal Greuther Fürth überstehen. Das schafften die Bayern nach einem Krampf- und Kampfsieg gegen den Tabellenletzten. Teils völlig verunsicherte Münchner quälten sich zu einem erst zum Ende hin standesgemäßen 4:1-Erfolg, der erst nach einer desolaten ersten Hälfte (0:1) fixiert wurde. Der vermeintliche Aufbaugegner taugte nicht dafür, den Bayern zu ermöglichen, ihre Minikrise wegzuschießen. Das erste Tief der Ära Julian Nagelsmann schien sich nach zwei nicht gewonnenen Spielen (2:4 in Bochum und 1:1 in Salzburg) hintereinander sogar zu verschärfen.
„Die erste Halbzeit war nicht vogelwild, man hat aber gesehen, dass wir ein bisschen verunsichert sind“, sagte der 34-jährige Chefcoach, freute sich aber über den Spiel- und Sinneswandel seiner Profis nach der Pause. „Die ersten 20 Minuten der zweiten Halbzeit waren sehr gut.“Das „aber“, so Nagelsmann: „Wir waren dann zu offensiv, weil wir das Dritte und Vierte machen wollen.“Am Ende war es wieder einmal die kickende Lebensversicherung in Person von Toptorjäger Robert Lewandowski, der mit seinen Saisontreffern
27 und 28 für die drei Punkte des Tabellenführers sorgte. Der Pole kritisierte, man habe „viel zu langsam gespielt und die falschen Entscheidungen getroffen“. Erneut musste Nagelsmann in der Pause das System umstellen. Von Viererkette auf Dreierkette, wie schon in Bochum. Den Bayern fehlen aktuell Sicherheit, Spielwitz und Tempo.
Und das zur Unzeit. Die wichtigsten Wochen des Jahres beginnen nach dem Gastspiel am kommenden Samstag bei Eintracht Frankfurt (18.30 Uhr) spätestens am 5. März mit dem Heimspiel gegen die spielstarken Leverkusener, die allerdings ergebnistechnisch auch als Wundertütenteam daherkommen. Man habe bis zum Salzburg-Rückspiel nun zwei Wochen „mit normalem Training, um zu arbeiten und um viele Sachen zu verbessern, damit wir das höchste Niveau erreichen“, mahnte Lewandowski. Zwei nicht-englische Wochen, da man ja bereits in der zweiten Runde aus dem DFB-Pokal ausgeschieden ist.
Die Aussage des Vizekapitäns erscheint umso erstaunlicher, da der andere Vizekapitän eben jene hohe Spieltaktung im Namen der Mannschaft kürzlich herbeigesehnt hatte. „Wir warten schon auf den Moment, dass unser gewohnter Rhythmus mit den englischen Wochen wieder loslegt“, sagte Thomas Müller vor einer Woche und fügte hinzu: „Jetzt wird es wieder dicht gedrängt. Ich habe das gerne, wenn viele Termine sind.“Seit Montag allerdings hat Müller fürs Erste gar keine Termine. Notgedrungen: Er hat sich – zum zweiten Mal nach 2021 – mit dem Coronavirus infiziert, wurde laut FC Bayern positiv getestet. Es gehe ihm gut, er befinde sich in häuslicher Isolation.
„Never complain über einen Sieg“, hatte Julian Nagelsmann nach dem Fürth-Spiel gesagt: Niemals über einen Sieg beschweren. Die drei Punkte seien „bedeutend für uns. Tabellarisch, punktemäßig und auch psychologisch. Manchmal sind die Punkte wichtiger als die Art und Weise“, ergänzte er. Womöglich war der 4:1-Arbeitssieg ein Warnschuss zur rechten Zeit. Auf die Frage nach der zwingend erforderlichen Leistungssteigerung bis zum SalzburgRückspiel meinte Nagelsmann: „Ich weiß es nicht. Ich bin kein Hellseher.“Aber Optimist. „Bis dahin werden wir bessere Leistungen zeigen. Wir sind ganz guter Dinge, dass wir weiterkommen.“Ungewohnt defensive Töne von Nagelsmann. Die Minikrise hat doch Spuren hinterlassen.