Zwischen Kleinkrieg und Großangriff
Ukraine fürchtet Gefechte mit russischen Truppen – Kreml verbreitet Propaganda
- In der Ukraine wird befürchtet, dass es schon in den nächsten Tagen an der Donbassfront zu offenen Gefechten zwischen regulären russischen Truppen und den eigenen Streitkräften kommt. Und dass Wladimir Putin sie zum Anlass für einen großen Krieg nehmen wird. Der hatte am Montag in seiner Wutrede gegen die Ukrainer und den Westen von faschistischen Pogromen und bestialischen Morden an prorussischen Demonstranten und Aktivisten in der Ukraine geredet. Aber Russland kenne die Mörder beim Namen. „Wir tun alles, um sie zu bestrafen: Wir finden sie und übergeben sie dem Gericht.“Viele Ukrainer betrachten das als Drohung, ihr ganzes Land zu erobern.
Die Moskauer Staatsduma ratifizierte am Montag Wladimir Putins Anerkennung der ostukrainischen Rebellenrepubliken Donezk und Lugansk einstimmig. Und der nationalpopulistische Abgeordnete Andrei Lugowoi verhöhnte den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als „Affen mit Spielzeuggranate.“
Selenskyj selbst erklärte, er glaube nicht an einen Krieg mit Russland, aber er werde das Kriegsrecht ausrufen, wenn es zu einem Großangriff der russischen Armee komme. Kiew berief seinen zeitweiligen Bevollmächtigten aus Moskau ab, das Außenministerium hat dem Präsidenten vorgeschlagen, die diplomatischen Beziehungen zu Russland abzubrechen.
Liberale russische Beobachter äußern die Meinung, Putin werde aus Angst vor dem möglichen Volkszorn kein militärisches Wagnis eingehen.
Und Kremlsprecher Dmitri Peskow erklärte, man wolle mit dem Westen über einen Verzicht der Ukraine auf militärische Gewalt verhandeln. Trotz der angeblichen ukrainischen Terrorbombardements feierten die Menschen in Donezk Montagnacht auf der Straße die Anerkennung der Rebellenrepubliken durch Moskau. Die Ukrainer dagegen befürchten offene Kämpfe mit regulären russischen Truppen. Peskow wollte am Dienstagmittag die Entsendung russischer „Friedenstruppen“ins Rebellengebiet nicht bestätigen. Das Kiewer Portal Ukrainskaja Prawda dagegen berichtete unter Berufung auf Augenzeugen von langen Panzerkolonnen, die sich nachts aus dem Donezker Stadtzentrum Richtung Front bewegten.
Auch Putins Verlangen, die „Machthaber“in Kiew sollten die Kampfhandlungen sofort einstellen, klang wie eine Kapitulationsaufforderung: „Anderenfalls liegt die Verantwortung für weiteres Blutvergießen voll und ganz auf dem Gewissen des in der Ukraine herrschenden Regimes.“
Das ukrainische Armeekommando beteuert seit Tagen, es lasse weder Wohnviertel bombardieren, noch schicke es Terrortrupps ins Rebellengebiet.
Die Rebellen aber behaupten, die Ukraine habe an der Front Haubitzen, Panzerwagen, Söldner und Extremisten zusammengezogen, außerdem Journalisten bombardiert.
In Moskau diskutierten derweil Duma-Abgeordnete und Senatoren, ob man die Rebellenrepubliken auf ihrem faktischen Territorium anerkannt hat, oder in den Grenzen, die sie laut ihren Verfassungen beanspruchen. Das wäre das gesamte Gebiet der Regionen Donezk und Lugansk, die jetzt zu 70 Prozent von der Ukraine kontrolliert werden. Am Abend erklärte Präsident Putin schließlich, man erkenne die Rebellenrepubliken in den Grenzen ihrer Verfassung an.
Der Lugansker Rebellenparlamentarier Dmitri Choroschilow aber rief die Ukraine bereits am Montagmittag auf, ihre Truppen freiwillig aus der gesamten Region abzuziehen. Denis Puschilin, Chef der Donezker Rebellenrepublik, verkündete zunächst, man beanspruche die Außengrenzen der Region, sagte dann, diese Frage werde man erst später regeln. Er schloss nicht aus, dass beide Republiken Russland um Militärhilfe bitten werden.
In Moskau aber meldeten Vertreter der liberalen Parnas-Partei und andere Aktivisten für den fünften Mai bei der Stadtverwaltung eine Großdemonstration an. Seit Jahren verweigern die Moskauer Behörden alle Massenkundgebungen. Aber auch wenn der „Marsch des Friedens“genehmigt werden sollte, könnte er zu spät kommen.