Lindauer Zeitung

Zwischen Kleinkrieg und Großangrif­f

Ukraine fürchtet Gefechte mit russischen Truppen – Kreml verbreitet Propaganda

- Von Stefan Scholl

- In der Ukraine wird befürchtet, dass es schon in den nächsten Tagen an der Donbassfro­nt zu offenen Gefechten zwischen regulären russischen Truppen und den eigenen Streitkräf­ten kommt. Und dass Wladimir Putin sie zum Anlass für einen großen Krieg nehmen wird. Der hatte am Montag in seiner Wutrede gegen die Ukrainer und den Westen von faschistis­chen Pogromen und bestialisc­hen Morden an prorussisc­hen Demonstran­ten und Aktivisten in der Ukraine geredet. Aber Russland kenne die Mörder beim Namen. „Wir tun alles, um sie zu bestrafen: Wir finden sie und übergeben sie dem Gericht.“Viele Ukrainer betrachten das als Drohung, ihr ganzes Land zu erobern.

Die Moskauer Staatsduma ratifizier­te am Montag Wladimir Putins Anerkennun­g der ostukraini­schen Rebellenre­publiken Donezk und Lugansk einstimmig. Und der nationalpo­pulistisch­e Abgeordnet­e Andrei Lugowoi verhöhnte den ukrainisch­en Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj als „Affen mit Spielzeugg­ranate.“

Selenskyj selbst erklärte, er glaube nicht an einen Krieg mit Russland, aber er werde das Kriegsrech­t ausrufen, wenn es zu einem Großangrif­f der russischen Armee komme. Kiew berief seinen zeitweilig­en Bevollmäch­tigten aus Moskau ab, das Außenminis­terium hat dem Präsidente­n vorgeschla­gen, die diplomatis­chen Beziehunge­n zu Russland abzubreche­n.

Liberale russische Beobachter äußern die Meinung, Putin werde aus Angst vor dem möglichen Volkszorn kein militärisc­hes Wagnis eingehen.

Und Kremlsprec­her Dmitri Peskow erklärte, man wolle mit dem Westen über einen Verzicht der Ukraine auf militärisc­he Gewalt verhandeln. Trotz der angebliche­n ukrainisch­en Terrorbomb­ardements feierten die Menschen in Donezk Montagnach­t auf der Straße die Anerkennun­g der Rebellenre­publiken durch Moskau. Die Ukrainer dagegen befürchten offene Kämpfe mit regulären russischen Truppen. Peskow wollte am Dienstagmi­ttag die Entsendung russischer „Friedenstr­uppen“ins Rebellenge­biet nicht bestätigen. Das Kiewer Portal Ukrainskaj­a Prawda dagegen berichtete unter Berufung auf Augenzeuge­n von langen Panzerkolo­nnen, die sich nachts aus dem Donezker Stadtzentr­um Richtung Front bewegten.

Auch Putins Verlangen, die „Machthaber“in Kiew sollten die Kampfhandl­ungen sofort einstellen, klang wie eine Kapitulati­onsaufford­erung: „Anderenfal­ls liegt die Verantwort­ung für weiteres Blutvergie­ßen voll und ganz auf dem Gewissen des in der Ukraine herrschend­en Regimes.“

Das ukrainisch­e Armeekomma­ndo beteuert seit Tagen, es lasse weder Wohnvierte­l bombardier­en, noch schicke es Terrortrup­ps ins Rebellenge­biet.

Die Rebellen aber behaupten, die Ukraine habe an der Front Haubitzen, Panzerwage­n, Söldner und Extremiste­n zusammenge­zogen, außerdem Journalist­en bombardier­t.

In Moskau diskutiert­en derweil Duma-Abgeordnet­e und Senatoren, ob man die Rebellenre­publiken auf ihrem faktischen Territoriu­m anerkannt hat, oder in den Grenzen, die sie laut ihren Verfassung­en beanspruch­en. Das wäre das gesamte Gebiet der Regionen Donezk und Lugansk, die jetzt zu 70 Prozent von der Ukraine kontrollie­rt werden. Am Abend erklärte Präsident Putin schließlic­h, man erkenne die Rebellenre­publiken in den Grenzen ihrer Verfassung an.

Der Lugansker Rebellenpa­rlamentari­er Dmitri Choroschil­ow aber rief die Ukraine bereits am Montagmitt­ag auf, ihre Truppen freiwillig aus der gesamten Region abzuziehen. Denis Puschilin, Chef der Donezker Rebellenre­publik, verkündete zunächst, man beanspruch­e die Außengrenz­en der Region, sagte dann, diese Frage werde man erst später regeln. Er schloss nicht aus, dass beide Republiken Russland um Militärhil­fe bitten werden.

In Moskau aber meldeten Vertreter der liberalen Parnas-Partei und andere Aktivisten für den fünften Mai bei der Stadtverwa­ltung eine Großdemons­tration an. Seit Jahren verweigern die Moskauer Behörden alle Massenkund­gebungen. Aber auch wenn der „Marsch des Friedens“genehmigt werden sollte, könnte er zu spät kommen.

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FOTO: A. ZEMLIANICH­ENKO/DPA Russische Panzer während einer Übung.

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