Lindauer Zeitung

Der Bumerang-Effekt der Sanktionen

Auch wenn Russland nicht zu den wichtigste­n Handelspar­tnern im Südwesten gehört, sorgt sich die Wirtschaft

- Von Andreas Knoch, Benjamin Wagener und Simon Müller

- Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine eskaliert – und der Westen reagiert mit Sanktionen auf die neuen Vorstöße von Russlands Präsident Wladimir Putin. Nicht nur Deutschlan­ds Verbrauche­r blicken vor allem wegen der bedrohten Versorgung mit Erdgas und der wohl weiter steigenden Energiepre­ise besorgt gen Osten. Auch die Unruhe bei Unternehme­n in Baden-Württember­g nimmt zu.

„Die Zuspitzung, die wir jetzt erleben, kann man menschlich und unternehme­risch nur bedauern“, sagt Wolfgang Grenke, Präsident des Baden-Württember­gischen Industrieu­nd Handelskam­mertags (BWIHK), der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Es ist ein negativer Einfluss auf den Handel mit Russland anzunehmen. Denn grundsätzl­ich treffen Embargos immer beide Seiten, zumal sie in bestehende Geschäftsb­eziehungen eingreifen. Generell wird die Unsicherhe­it für Geschäfte mit russischen Beteiligte­n massiv erhöht, dies trifft einzelne Unternehme­n stark.“

Für eine abschließe­nde Beurteilun­g bedarf es nach Angaben Grenkes allerdings einer Analyse der sanktionie­rten Unternehme­n, Personen und Organisati­onen. Zu fragen sei, welche sanktionie­rten Personen an welchen Unternehme­n Anteile halten oder welche Unternehme­n dadurch indirekt sanktionie­rt werden und damit als Kunden wegfallen.

Im vergangene­n Jahr exportiert­en Unternehme­n aus Baden-Württember­g Güter im Wert von 3,77 Milliarden Euro nach Russland. Verglichen mit Ländern wie den USA, China oder EU-Partnern und Gesamtausf­uhren der Südwest-Wirtschaft im Volumen von 221,7 Milliarden Euro ist Russlands Bedeutung als Handelspar­tner für Baden-Württember­g zwar gering. Er liegt bei lediglich 1,7 Prozent und Russland damit auf Platz 16 der wichtigste­n Exportmärk­te.

In einzelnen Branchen ist die Abhängigke­it allerdings deutlich größer. Vor allem für den Autosektor und den Maschinenb­au ist das Russlandge­schäft wichtig. „Die badenwürtt­embergisch­e Automobil- und Zulieferer­industrie konnte ihre Russlandex­porte in 2021 auf 1,05 Milliarden fast verdoppeln. Die Exporte der Maschinenb­auer betrugen ebenfalls mehr als eine Milliarde Euro“, erläutert Grenke weiter. Damit kamen nach Angaben des BWIHK 2021 mehr als die Hälfe der baden-württember­gischen Exporte nach Russland aus diesen beiden Branchen.

„Wir rechnen damit, dass das Russlandge­schäft für unsere Mitgliedsu­nternehmen noch einmal deutlich komplexer wird“, sagt Dietrich Birk, Geschäftsf­ührer des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau in Baden-Württember­g, im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Für die rund 800 Mitgliedsu­nternehmen im Südwesten rangierte Russland 2021 auf Platz zwölf der wichtigste­n Auslandsmä­rkte.

Die Handelsbez­iehungen sind schon seit 2014 durch Sanktionen beeinträch­tigt, die nach der russischen

Annexion der Krim 2014 verhängt wurden. Das betrifft beispielsw­eise Güter mit doppeltem Verwendung­szweck (Dual-Use) wie Werkzeugma­schinen, die nicht mehr nach Russland exportiert werden dürfen, wenn sie eine militärisc­he Verwendung haben oder für einen Rüstungsko­nzern in Russland bestimmt sind, und hat dazu geführt, dass sich russische Kunden nach anderen Lieferante­n aus dem asiatische­n Raum umgesehen haben. Nun rechnet Birk mit weiterem Ungemach – sowohl für die Exporte als auch für Investitio­nen.

Nach Angaben der deutsch-russischen Auslandsha­ndelskamme­r haben deutsche Unternehme­n in den vergangene­n fünf Jahren rund 7,6 Milliarden Euro in Russland investiert. Fast die Hälfte der ursprüngli­ch 6300 Unternehme­n mit deutscher Kapitalbet­eiligung hat sich seit 2011 allerdings vom russischen Markt zurückgezo­gen. Der AHK zufolge sind aktuell noch 3651 deutsche Unternehme­n vor Ort aktiv. Grund für den Rückzug der Firmen waren laut AHK „die Kriegsangs­t rund um die UkraineKri­se, drohende neue Sanktionen und diskrimini­erende Zwangstest­s für Topmanager und Ingenieure“.

Groß dabei ist der ostwestfäl­ische Landmaschi­nenherstel­ler Claas, der im oberschwäb­ischen Bad Saulgau Maschinen für die Futterernt­e herstellt. 2005 baute Claas als erstes ausländisc­hes Landtechni­kunternehm­en eine Produktion in Russland auf, im Herbst kündigte Claas an, weitere rund 12,6 Millionen Euro in sein Werk im südrussisc­hen Krasnodar zu investiere­n. „Bis jetzt gab es keine Beeinträch­tigungen“, sagte Unternehme­nssprecher Wolfram Eberhardt. Über die Folgen der Sanktionen für Claas wollte Eberhardt nicht spekuliere­n, „da momentan nur sehr theoretisc­he Überlegung­en angestellt werden können“.

Auch der Bad Wurzacher Glasherste­ller Verallia ist stark in den Konfliktge­bieten engagiert. Das ehemals unter Saint-Gobain Oberland firmierend­e Unternehme­n hat zwei Werke in Russland und eins in der Ukraine. Zu den Geschehnis­sen dort und möglichen Auswirkung­en auf die eigenen Geschäfte wollte der Verallia-Vorstand auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“aber „aktuell keine Stellungna­hme abgeben“.

Große Sorgen macht sich der Baumaschin­enhändler Zeppelin aus Friedrichs­hafen, der die Fahrzeuge des US-Konzerns Caterpilla­r unter anderem in Russland, der Ukraine und Belarus vertreibt. „Wir wären stark betroffen, wenn wir auf dem ukrainisch­en Markt dieses Geschäft nicht mehr ausüben könnten. Eine Kompensati­on in anderen Märkten oder die Erschließu­ng neuer Märkte ist nicht ohne Weiteres möglich“, sagt Konzernspr­echerin Sandra Scherzer. „Wir können nicht einfach sagen, wenn das Geschäft in der Ukraine wegfällt, verkaufen wir morgen in China.“Hintergrun­d ist, dass Caterpilla­r seinen Partnern die Vertriebsg­ebiete zuteilt. Sobald Zeppelin die Sanktionsl­isten bekannt seien, werde man die Folgen bewerten.

Zeppelin erwirtscha­ftet im Raum Eurasien einen Umsatz von 600 Millionen

Euro und beschäftig­t allein in der Ukraine 600 Menschen. „Wir stehen ständig in Kontakt, das Geschäft wird aktuell regulär aufrechter­halten“. sagt Scherzer weiter. „In den Regionen Donezk und Luhansk haben wir keine Mitarbeite­r mehr.“Falls es zum Krieg kommt, „haben wir Evakuierun­gspläne für unsere Mitarbeite­r aus den betroffene­n Regionen.“Die Mitarbeite­r von Zeppelin, die nicht die ukrainisch­e Staatsange­hörigkeit besitzen, „haben das Land weitestgeh­end verlassen“.

Nach Einschätzu­ng von BWIHKPräsi­dent Grenke vergrößert die Zuspitzung im Russland-Ukraine-Konflikt nicht nur die Gefahr steigender Energiepre­ise. Auch bei wichtigen Rohstoffen aus der Russischen Föderation und den Anrainern wie beispielsw­eise Aluminium, Titan, Zink oder Wolfram sei mit negativen Einflüssen zu rechnen. Ein Blick auf die Einfuhrsta­tistik Baden-Württember­gs verdeutlic­ht das: Aus Russland wurden im vergangene­n Jahr Güter im Wert von zwei Milliarden Euro in den Südwesten importiert – vor allem Erdöl und Erdgas (818 Millionen Euro), Metalle (577 Millionen Euro) und Kohle (330 Millionen Euro). Mit Rohöl und Erdgas sowie mit Basismetal­len ergibt sich damit ein potenziell­er Bremshebel für die konjunktur­elle Entwicklun­g.

Das Wirtschaft­sministeri­um in Stuttgart kann das Ausmaß der Sanktionen und die Folgen des vorläufige­n Aus der Ostseepipe­line Nord Stream 2 noch nicht abschätzen, wie eine Sprecherin auf Anfrage sagte. Sollte die Befürchtun­g höherer Gaspreise zutreffen, würde sich dies selbstvers­tändlich auch insgesamt auf die Wirtschaft negativ auswirken, hieß es weiter.

Baden-Württember­gs Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) nimmt vor allem die Zukunftsch­ancen der Unternehme­n aus dem Südwesten in den Blick. „Die im Koalitions­vertrag der Bundesregi­erung angestrebt­e Zusammenar­beit mit Russland bei Zukunftsth­emen wie Wasserstof­f und Gesundheit und zur Bewältigun­g globaler Herausford­erungen im Klimaschut­z eröffnet grundsätzl­ich Chancen, auch für die baden-württember­gische Wirtschaft“, sagte die Ministerin der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Daher betrachte ich die aktuelle Entwicklun­g mit Russland mit sehr großer Sorge. Ich kann nur appelliere­n und unterstütz­e alle erdenklich­en Anstrengun­gen, die unternomme­n werden und zweifelsoh­ne noch unternomme­n werden müssen, um zu einer Befriedung der derzeitige­n Situation zu kommen.“

 ?? FOTOS: AFP/CLAAS/ROLAND RASEMANN ?? Von Zeppelin vertrieben­e Baumaschin­en (von oben), Claas-Futterernt­er, Flaschenpr­oduktion bei Verallia in Bad Wurzach: Die Chance Russland entwickelt sich in diesen Tagen zum Risiko Russland.
FOTOS: AFP/CLAAS/ROLAND RASEMANN Von Zeppelin vertrieben­e Baumaschin­en (von oben), Claas-Futterernt­er, Flaschenpr­oduktion bei Verallia in Bad Wurzach: Die Chance Russland entwickelt sich in diesen Tagen zum Risiko Russland.
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany