Der Bumerang-Effekt der Sanktionen
Auch wenn Russland nicht zu den wichtigsten Handelspartnern im Südwesten gehört, sorgt sich die Wirtschaft
- Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine eskaliert – und der Westen reagiert mit Sanktionen auf die neuen Vorstöße von Russlands Präsident Wladimir Putin. Nicht nur Deutschlands Verbraucher blicken vor allem wegen der bedrohten Versorgung mit Erdgas und der wohl weiter steigenden Energiepreise besorgt gen Osten. Auch die Unruhe bei Unternehmen in Baden-Württemberg nimmt zu.
„Die Zuspitzung, die wir jetzt erleben, kann man menschlich und unternehmerisch nur bedauern“, sagt Wolfgang Grenke, Präsident des Baden-Württembergischen Industrieund Handelskammertags (BWIHK), der „Schwäbischen Zeitung“. „Es ist ein negativer Einfluss auf den Handel mit Russland anzunehmen. Denn grundsätzlich treffen Embargos immer beide Seiten, zumal sie in bestehende Geschäftsbeziehungen eingreifen. Generell wird die Unsicherheit für Geschäfte mit russischen Beteiligten massiv erhöht, dies trifft einzelne Unternehmen stark.“
Für eine abschließende Beurteilung bedarf es nach Angaben Grenkes allerdings einer Analyse der sanktionierten Unternehmen, Personen und Organisationen. Zu fragen sei, welche sanktionierten Personen an welchen Unternehmen Anteile halten oder welche Unternehmen dadurch indirekt sanktioniert werden und damit als Kunden wegfallen.
Im vergangenen Jahr exportierten Unternehmen aus Baden-Württemberg Güter im Wert von 3,77 Milliarden Euro nach Russland. Verglichen mit Ländern wie den USA, China oder EU-Partnern und Gesamtausfuhren der Südwest-Wirtschaft im Volumen von 221,7 Milliarden Euro ist Russlands Bedeutung als Handelspartner für Baden-Württemberg zwar gering. Er liegt bei lediglich 1,7 Prozent und Russland damit auf Platz 16 der wichtigsten Exportmärkte.
In einzelnen Branchen ist die Abhängigkeit allerdings deutlich größer. Vor allem für den Autosektor und den Maschinenbau ist das Russlandgeschäft wichtig. „Die badenwürttembergische Automobil- und Zuliefererindustrie konnte ihre Russlandexporte in 2021 auf 1,05 Milliarden fast verdoppeln. Die Exporte der Maschinenbauer betrugen ebenfalls mehr als eine Milliarde Euro“, erläutert Grenke weiter. Damit kamen nach Angaben des BWIHK 2021 mehr als die Hälfe der baden-württembergischen Exporte nach Russland aus diesen beiden Branchen.
„Wir rechnen damit, dass das Russlandgeschäft für unsere Mitgliedsunternehmen noch einmal deutlich komplexer wird“, sagt Dietrich Birk, Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau in Baden-Württemberg, im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Für die rund 800 Mitgliedsunternehmen im Südwesten rangierte Russland 2021 auf Platz zwölf der wichtigsten Auslandsmärkte.
Die Handelsbeziehungen sind schon seit 2014 durch Sanktionen beeinträchtigt, die nach der russischen
Annexion der Krim 2014 verhängt wurden. Das betrifft beispielsweise Güter mit doppeltem Verwendungszweck (Dual-Use) wie Werkzeugmaschinen, die nicht mehr nach Russland exportiert werden dürfen, wenn sie eine militärische Verwendung haben oder für einen Rüstungskonzern in Russland bestimmt sind, und hat dazu geführt, dass sich russische Kunden nach anderen Lieferanten aus dem asiatischen Raum umgesehen haben. Nun rechnet Birk mit weiterem Ungemach – sowohl für die Exporte als auch für Investitionen.
Nach Angaben der deutsch-russischen Auslandshandelskammer haben deutsche Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren rund 7,6 Milliarden Euro in Russland investiert. Fast die Hälfte der ursprünglich 6300 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung hat sich seit 2011 allerdings vom russischen Markt zurückgezogen. Der AHK zufolge sind aktuell noch 3651 deutsche Unternehmen vor Ort aktiv. Grund für den Rückzug der Firmen waren laut AHK „die Kriegsangst rund um die UkraineKrise, drohende neue Sanktionen und diskriminierende Zwangstests für Topmanager und Ingenieure“.
Groß dabei ist der ostwestfälische Landmaschinenhersteller Claas, der im oberschwäbischen Bad Saulgau Maschinen für die Futterernte herstellt. 2005 baute Claas als erstes ausländisches Landtechnikunternehmen eine Produktion in Russland auf, im Herbst kündigte Claas an, weitere rund 12,6 Millionen Euro in sein Werk im südrussischen Krasnodar zu investieren. „Bis jetzt gab es keine Beeinträchtigungen“, sagte Unternehmenssprecher Wolfram Eberhardt. Über die Folgen der Sanktionen für Claas wollte Eberhardt nicht spekulieren, „da momentan nur sehr theoretische Überlegungen angestellt werden können“.
Auch der Bad Wurzacher Glashersteller Verallia ist stark in den Konfliktgebieten engagiert. Das ehemals unter Saint-Gobain Oberland firmierende Unternehmen hat zwei Werke in Russland und eins in der Ukraine. Zu den Geschehnissen dort und möglichen Auswirkungen auf die eigenen Geschäfte wollte der Verallia-Vorstand auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“aber „aktuell keine Stellungnahme abgeben“.
Große Sorgen macht sich der Baumaschinenhändler Zeppelin aus Friedrichshafen, der die Fahrzeuge des US-Konzerns Caterpillar unter anderem in Russland, der Ukraine und Belarus vertreibt. „Wir wären stark betroffen, wenn wir auf dem ukrainischen Markt dieses Geschäft nicht mehr ausüben könnten. Eine Kompensation in anderen Märkten oder die Erschließung neuer Märkte ist nicht ohne Weiteres möglich“, sagt Konzernsprecherin Sandra Scherzer. „Wir können nicht einfach sagen, wenn das Geschäft in der Ukraine wegfällt, verkaufen wir morgen in China.“Hintergrund ist, dass Caterpillar seinen Partnern die Vertriebsgebiete zuteilt. Sobald Zeppelin die Sanktionslisten bekannt seien, werde man die Folgen bewerten.
Zeppelin erwirtschaftet im Raum Eurasien einen Umsatz von 600 Millionen
Euro und beschäftigt allein in der Ukraine 600 Menschen. „Wir stehen ständig in Kontakt, das Geschäft wird aktuell regulär aufrechterhalten“. sagt Scherzer weiter. „In den Regionen Donezk und Luhansk haben wir keine Mitarbeiter mehr.“Falls es zum Krieg kommt, „haben wir Evakuierungspläne für unsere Mitarbeiter aus den betroffenen Regionen.“Die Mitarbeiter von Zeppelin, die nicht die ukrainische Staatsangehörigkeit besitzen, „haben das Land weitestgehend verlassen“.
Nach Einschätzung von BWIHKPräsident Grenke vergrößert die Zuspitzung im Russland-Ukraine-Konflikt nicht nur die Gefahr steigender Energiepreise. Auch bei wichtigen Rohstoffen aus der Russischen Föderation und den Anrainern wie beispielsweise Aluminium, Titan, Zink oder Wolfram sei mit negativen Einflüssen zu rechnen. Ein Blick auf die Einfuhrstatistik Baden-Württembergs verdeutlicht das: Aus Russland wurden im vergangenen Jahr Güter im Wert von zwei Milliarden Euro in den Südwesten importiert – vor allem Erdöl und Erdgas (818 Millionen Euro), Metalle (577 Millionen Euro) und Kohle (330 Millionen Euro). Mit Rohöl und Erdgas sowie mit Basismetallen ergibt sich damit ein potenzieller Bremshebel für die konjunkturelle Entwicklung.
Das Wirtschaftsministerium in Stuttgart kann das Ausmaß der Sanktionen und die Folgen des vorläufigen Aus der Ostseepipeline Nord Stream 2 noch nicht abschätzen, wie eine Sprecherin auf Anfrage sagte. Sollte die Befürchtung höherer Gaspreise zutreffen, würde sich dies selbstverständlich auch insgesamt auf die Wirtschaft negativ auswirken, hieß es weiter.
Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) nimmt vor allem die Zukunftschancen der Unternehmen aus dem Südwesten in den Blick. „Die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung angestrebte Zusammenarbeit mit Russland bei Zukunftsthemen wie Wasserstoff und Gesundheit und zur Bewältigung globaler Herausforderungen im Klimaschutz eröffnet grundsätzlich Chancen, auch für die baden-württembergische Wirtschaft“, sagte die Ministerin der „Schwäbischen Zeitung“. „Daher betrachte ich die aktuelle Entwicklung mit Russland mit sehr großer Sorge. Ich kann nur appellieren und unterstütze alle erdenklichen Anstrengungen, die unternommen werden und zweifelsohne noch unternommen werden müssen, um zu einer Befriedung der derzeitigen Situation zu kommen.“