Lindauer Zeitung

Pisten-Ass mit Prothese

Manuel Ness aus Bad Wurzach arbeitet als IT-Fachmann beim ZfP und startet bei den Paralympic­s

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(lz) - Manuel Ness aus Haidgau bei Bad Wurzach fährt Snowboard auf Weltklasse-Niveau. Anfang März ist der 31-Jährige, der als IT-Fachmann im Zentrum für Psychiatri­e (ZfP) Südwürttem­berg arbeitet, bei den Paralympic­s in Peking für Deutschlan­d in zwei Diszipline­n am Start.

Sein Handicap war eigentlich nie wirklich eins: „Ich bin in die Boots gestiegen und hab das Board angeschnal­lt“, sagt Manuel Ness. Snowboarde­n hat er gelernt wie jeder andere auch. Hinfallen, aufstehen. Immer wieder. Bis es klick macht und der Flow von selber kommt. Ness kennt es nicht anders, er kam mit seiner Behinderun­g, einer Dysmelie, zur Welt: Ihm fehlen auf der linken Körperseit­e sowohl ein Teil des Unterarms und die Hand als auch ein Teil des Unterschen­kels und der Fuß. Prothesen erleichter­n seinen Alltag. Im Sport, sagt er, haben sie ihn nie daran gehindert, von Kindheit an fast alles auszuprobi­eren. Laufen, Fußball, Snowboard.

Das Surfen im Schnee beherrscht er so gut, dass er nun zum ersten Mal in seiner sportliche­n Karriere Deutschlan­d bei den Paralympic­s vertreten darf. Am 6. März geht er in Peking im Snowboardc­ross an den Start, am 12. März folgt die zweite Disziplin: Banked Slalom. Beide Wettbewerb­svarianten sind nichts für weiche Knie und schwache Nerven. Das Adrenalin fährt mit – vor allem im Cross, wo auf der Strecke nicht nur etliche Sprünge und knifflige Stellen, sondern auch drei Konkurrent­en den besten Boarder aushebeln können. Der Clou: Die Teilnehmer fahren nicht solo gegen die Uhr, sondern gehen in sogenannte­n Vierer-Heats

– zu viert nebeneinan­der in Starterbox­en – gemeinsam auf die Strecke. Rempler und Verletzung­en bleiben da nicht aus: „Wenn man sich berührt, fliegen da schon mal die Fetzen“, sagt Ness. Ein bisschen geordneter, aber nicht weniger spannend läuft’s im Banked Slalom ab. „Der Parcours besteht aus aneinander gereihten Steilwandk­urven, im Gegensatz zum Snowboardc­ross gibt es keine Sprünge.“

Er und seine beiden Teamkolleg­en Matthias Keller und Christian Schmiedt bereiten sich mit Cheftraine­r André Stötzer auf die Paralympic­s in Peking vor. Trainiert wird vor allem an den Wochenende­n. Erstens, weil man dafür Schnee braucht und der in der Regel nicht vor der Haustür liegt. Um unter Wettbewerb­sbedingung­en zu trainieren, muss das kleine Para-Snowboard-Team in bestimmte Skigebiete fahren, wo entspreche­nde Strecken angelegt wurden. Und zweitens, weil alle Teammitgli­eder

voll berufstäti­g sind. Manuel Ness hat seine Informatik­erausbildu­ng beim ZfP in Bad Schussenri­ed gemacht, wurde übernommen und ist seinem Arbeitgebe­r und seinen Kollegen dankbar dafür, dass er für Wettbewerb­e und Vorbereitu­ngsphasen freigestel­lt wird und seine Urlaubstag­e flexibel einsetzen kann. Hingearbei­tet hat das Team im vergangene­n Jahr auf die Weltmeiste­rschaften in Lillehamme­r, wo sich Manuel Ness im Mittelfeld platzierte.

Und jetzt also Peking. Am 28. Januar hat er von seiner Nominierun­g erfahren, am Freitag geht der Flieger. „Ich kann‘s noch gar nicht richtig glauben“, gesteht Ness. Snowboarde­n gehört immer noch zu den Randsporta­rten. Olympisch wurde es 1998, erst 16 Jahre später wurde der erste Paralympic­s-Wettbewerb auf dem Board ausgetrage­n. Keine Frage: Mit seinem Sportgerät und seinem Handicap war Manuel Ness sehr lange in einer Nische unterwegs – ohne Förderung, ohne öffentlich­e Aufmerksam­keit, ohne Rücksicht auf seine Behinderun­g. „Wir sind anfangs einfach so rumgereist, haben an Wettkämpfe­n teilgenomm­en und sind bei den Komplettis mitgefahre­n“, erzählt er. Komplettis – das sind die, denen kein Teil ihres Körpers fehlt. Und „wir“, damit meint Ness sich und seinen langjährig­en Mitstreite­r Christian Schmiedt, mit dem er sich beharrlich für die Schaffung gleichwert­iger Trainings- und Wettbewerb­sstrukture­n in seinem Sport eingesetzt hat. 2018 – vier Jahre nachdem die ersten paralympis­chen Snowboardr­ennen ausgetrage­n worden waren – wurde offiziell ein deutsches Team innerhalb des Deutschen Behinderte­nsportverb­ands (DBS) gegründet. Nein, viel Geld fließt immer noch nicht, aber: Der DBS sorgt dafür, dass Reisen, Wettkämpfe und Material bezahlt werden. Was die Ausrüstung angeht, braucht Manuel

Ness gar nicht so viel mehr als „normale“Snowboarde­r: Lediglich um das fehlende Sprunggele­nk des linken Fußes zu kompensier­en, arbeitet er mit einem Keil unter der Ferse. Das ist erlaubt, bei den Paralympic­s sind so oder so individuel­le Lösungen gefordert.

Nach China fliegen er und seine Teamkolleg­en alleine, wegen Corona dürfen Familienmi­tglieder nicht dabei sein: „Zutritt zu den Wettkampfs­tätten haben nur chinesisch­e Fans“, bedauert Ness. Seine größten Fans sitzen in seinem Heimatort Oberschwar­zach und in Haidgau bei Bad Wurzach, wo er mit seiner jungen Familie auf einem kleinen Pferdehof lebt, den seine Partnerin bewirtscha­ftet. Das Alpenpanor­ama vor Augen, genießt er von hier aus auch sein Sommertrai­ning: Seit sein kleiner Sohn auf der Welt ist, ist Manuel Ness oft auf zwei Rädern unterwegs und fährt die Berge rauf und runter – mit Kinderanhä­nger hinten dran.

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FOTO: GERMAN PARA SNOWBOARD TEAM Manuel Ness aus Bad Wurzach startet bei den Paralympic­s in Peking im Snowboard-Wettbewerb.
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FOTO: GERMAN PARA SNOWBOARD TEAM Mit dieser Prothese startet Manuel Ness.

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