Fehleinschätzung des Westens
Seit Monaten versorgten die USA die europäischen Verbündeten bis ins kleinste Detail mit ihren Geheimdienstinformationen über die russischen Aktivitäten gegen die Ukraine. Anders als beim 2003 fabrizierten Irakkrieg von George W. Bush gab es dabei nach Einschätzung der Beteiligten in Brüssel keine Lügen, sondern nüchterne Lageeinschätzungen. Die Befürchtungen und Prognosen von Militärexperten sind nun Realität geworden. Russland führt auf dem europäischen Kontinent einen Angriffskrieg.
Die zwei großen Fragen lauten: Wo und wann wird Russlands Präsident Wladimir Putin seine Aggression stoppen? Und was kann der Westen tun, damit die Situation nicht völlig eskaliert? Die USA, die EU und auch andere Nato-Mitglieder sind durch das Moskauer Verhalten einig wie schon lange nicht mehr. Die nun verhängten Sanktionen sind keine Luftnummern. Sie schaden Russland. Nur: Putin, der den Ruf eines eiskalten Strategen hatte, scheint mittlerweile zu vielem fähig, was vor Kurzem noch undenkbar war.
Die Konsequenzen dieses Krieges werden auf lange Zeit die internationalen Beziehungen prägen. Die Euphorie nach Ende des Kalten Krieges war groß, die Fehleinschätzungen vielfältig. Dass Putin nichts gegen ein brutales Vorgehen einzuwenden hat, bewies er im Fall der tschetschenischen Hauptstadt Grosny oder auch in Syrien. Vielleicht war das alles für die meisten zu weit weg. Jetzt bombt er die Ukraine zurück in seinen Machtbereich.
In den vergangenen Jahren war es hierzulande politisch nicht gewollt – da wahrscheinlich in der Bevölkerung nicht durchsetzbar –, dass signifikant mehr Geld in die Streitkräfte gesteckt wurde. Was wurde herumgeeiert, um das Zwei-Prozent-Ziel der Nato zu relativieren. Seit 2002 sollen die Nato-Staaten diese zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung bereitstellen. Die wenigsten tun das. Jetzt sehen wir, dass die vermeintliche Friedensdividende nach dem Fall der Mauer ein zu tilgender Friedenskredit war. Die Bedienung wird jetzt fällig.