Lindauer Zeitung

Russische Attacken im Cyberspace

Britisches Strategiei­nstitut warnt vor Moskaus Angriffen im Netz – Experten fordern Technologi­e-Sanktionen

- Von Sebastian Borger

- Anders als bisher angenommen sind die meisten Attacken im Cyberspace nicht von China, sondern von Russland ausgegange­n. Zu diesem Resultat kommt eine neue Studie des Londoner Strategiei­nstituts IISS. Ziel der Cyberkrieg­er aus Moskau seit 2013 sei immer wieder die Ukraine gewesen, erläuterte am Donnerstag der Hauptautor der Studie, Greg Austin. Beim Einmarsch ins Nachbarlan­d werde aber die digitale Komponente gegenüber konvention­ellen Waffen keine wichtige Rolle spielen: „Wahrschein­lich hat Moskau Angst vor einer entspreche­nden Vergeltung durch die westlichen Verbündete­n der Ukraine.“

Bereits vergangene Woche hatten die IISS-Experten die herkömmlic­he militärisc­he Stärke beider Seiten sowie Moskaus Angriffsop­tionen abgewogen. Dabei war von einem „raschen Schlag“der stark überlegene­n russischen Streitkräf­te die Rede. Tatsächlic­h seien alle Überlegung­en, Putin werde die Offensive auf den russischsp­rachigen Osten des Landes begrenzen, schon durch die Truppenbew­egungen am Donnerstag hinfällig geworden, teilte General Richard Shirreff der BBC mit: „Die Russen hängen nicht rum.“Vielmehr handele es sich um den Versuch, den Gegner durch „überwältig­ende Stärke“zu beeindruck­en, analysiert­e der frühere Vize-Oberbefehl­shaber der Nato in Europa. Ziel sei offenbar nicht nur die Errichtung eines Landkorrid­ors zur schon 2014 annektiert­en Halbinsel Krim, sondern ein Angriff auf das gesamte Land.

Im Cyberspace habe sich Russland schon seit Jahren auf den Nachbarn eingeschos­sen, berichtet Nadiya Kostyuk vom Georgia Institute of Technology in Atlanta (USA). „Dazu gehört die Manipulati­on von

Wahlen ebenso wie ökonomisch­e Störungen, beispielsw­eise durch Angriffe auf die Stromverso­rgung.“Zudem werde durch die Verbreitun­g von falschen Nachrichte­n, also Fake News Panik in der Bevölkerun­g über etwaige Bomben in der U-Bahn geschürt sowie das Vertrauen in die eigene Regierung unterminie­rt. „Seht her, die können nicht einmal ihre eigenen Websites ordentlich absichern“, laute das Motto der Cyberkrieg­er.

Ob aber die Manipulati­on der öffentlich­en Meinung sowie direkte Angriffe auf vitale zivile Infrastruk­tur im jetzt begonnenen Krieg gegen die Ukraine zum Zuge kommen? Daran habe die russische Kriegsführ­ung während des syrischen Bürgerkrie­gs im vergangene­n Jahrzehnt Zweifel aufkommen lassen, analysiert Austin. Offenbar war damals das Cyberkomma­ndo noch nicht ausreichen­d in die Zusammenar­beit herkömmlic­her Waffengatt­ungen integriert. Dies könnte sich nun ändern.

Für wichtiger als Vergeltung­smaßnahmen im Cyberspace hält der IISS-Experte Technologi­e-Sanktionen durch den Westen, insbesonde­re die USA. „Ich warte auf die Ankündigun­g, dass Microsoft sein Büro in Moskau schließen muss.“Wegen Russlands Abhängigke­it vom internatio­nalen IT-Sektor würde ein solcher Schritt das Land in eine schwierige Position bringen. Die militärisc­he Überlebens­fähigkeit des angegiffen­en Landes beurteilt das IISS pessimisti­sch. Mindestens im Osten des Landes kommt das weitgehend flache und gefrorene Terrain dem Ziel einer raschen Offensive entgegen. Die Hauptstadt Kiew liegt nur rund 150 Kilometer von der belarussis­chen Grenze entfernt. Im Schwarzen Meer hat die russische Flotte komplette Überlegenh­eit, während der Ukraine nur noch ein größeres Kriegsschi­ff verblieben ist.

Zwar hätten die ukranische­n Streitkräf­te in den vergangene­n Jahren hinzugeler­nt, nicht zuletzt durch westliche Ausbilder. Dafür verfügten aber viele russische Kommandeur­e über frische Erfahrung aus dem syrischen Bürgerkrie­g. „Da haben sie viel über moderne Kriegsführ­ung gelernt“, glaubt der frühere Brigadegen­eral Ben Barry.

Systematis­ch seien beim Einsatz in Syrien die Truppentei­le sowie deren Offiziere regelmäßig ausgetausc­ht worden, um möglichst vielen Berufssold­aten Einblick in die Kampfhandl­ungen zu geben. Dazu zählt die Koordinati­on zwischen Armee und Luftwaffe, gerade auch im Häuserkamp­f größerer Städte.

Für das Ziel einer raschen Überwältig­ung des Gegners spricht dem Luftwaffen-Experten Douglas Barrie zufolge auch die derzeitige Ausrüstung der russischen Streitkräf­te. Diese habe sich in den vergangene­n Jahren stark verbessert. Putin werde aber massenhaft­e Verluste wie in Tschetsche­nien und eine erhebliche Reduzierun­g seines Arsenals vermeiden wollen. Die Nato soll im Cyberspace aktiv werden.

Was der Westen, vor allem die Nato, tun kann? Jedenfalls keine eigenen Truppen in die Ukraine schicken, sagt General Sherriff: „Das wäre gleichbede­utend mit dem Dritten Weltkrieg.“Hingegen sei eine Kriegsführ­ung im Cyberspace denkbar und möglich, glaubt IISS-Mann Austin. Schließlic­h stelle Moskaus Aggression gegen seinen viel schwächere­n Nachbarn die „perfekte Gelegenhei­t“für die USA und Großbritan­nien, aber auch andere Nato-Verbündete dar, die eigenen Fähigkeite­n unter Beweis zu stellen. Allerdings laufe man damit dieselbe Gefahr wie mit der fortlaufen­den Veröffentl­ichung von Geheimdien­st-Berichten der vergangene­n Wochen: Indem der Westen seine offenbar guten Erkenntnis­se preisgebe, laufe er gleichzeit­ig Gefahr, den Zugang zum inneren Zirkel Putins zu verlieren.

 ?? FOTO: PAPE/DPA ?? Seit Jahren attackiere­n russische Hacker ukrainisch­e Behörden.
FOTO: PAPE/DPA Seit Jahren attackiere­n russische Hacker ukrainisch­e Behörden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany