Und plötzlich herrscht Krieg
Auf Geheiß von Präsident Putin greift Russlands Armee die Ukraine an – Attacke gilt nicht nur dem Donbass, sondern dem gesamten Staatsgebiet
- Russlands Streitkräfte beschießen ukrainische Städte mit Raketen, im Osten der Ukraine wird heftig gekämpft. Präsident Wladimir Putin macht den Westen für den eigenen Militärschlag verantwortlich.
Dmitro Durnew, Journalist in Kiew, ist am Donnerstag jäh geweckt worden. „Gegen fünf Uhr gab es eine starke Explosion, in der Gegend des Flughafens Borispol, keine Ahnung, ob es eine Rakete oder ein Luftangriff war“, schreibt er am Morgen. Er will jetzt in den ostukrainischen Donbass. Dort sitzen seine Schwiegereltern in dem Frontstädtchen Wolnowacha. „Sie sagen, auf den Nachbarfeldern stünden ukrainische Raketenwerfer, die die vorrückenden Russen beschießen.“An den Ausfallstraßen Kiews hätten sich kilometerlange Staus gebildet.
Russische Streitkräfte greifen seit Donnerstagmorgen die Ukraine an. Im Donbass attackierten sie offenbar mit Unterstützung der Rebellenkämpfer auf breiter Front. Die ukrainische Seite meldete den Verlust zweier Ortschaften in der Region Lugansk. Die Russen sollen auch von der Krim in die südukrainische Region Cherson eingedrungen sein. Ebenso aus Belarus ins Gebiet Schitomir nordwestlich von Kiew. Laut ukrainischen Quellen handelte es sich dabei allerdings nur um einen örtlichen und erfolglosen Vorstoß. Starke Gefechte werden dagegen aus den Regionen Sumi und vor allem Charkow im Nordosten der Ukraine gemeldet.
Am frühen Morgen hatte Putin der Ukraine in einer Fernsehansprache den Krieg erklärt. Er antwortete damit auf eine Bitte der Rebellenrepubliken nach Militärhilfe, die in Moskau kurz vor Mitternacht veröffentlicht wurde. Das Ziel der Operation sei der Schutz der Menschen, die acht Jahre lang „Verhöhnung und Genozid“von Seiten des „Kiewer Regimes“ausgesetzt gewesen seien. „Dafür streben wir eine Demilitarisierung und Denazifizierung der Ukraine an. Außerdem, all jene den Gerichten zu übergeben, die zahlreiche Verbrechen gegen friedliche Einwohner, darunter auch Bürger der Russischen Föderation, begangen haben.“Dem widerspricht allerdings seine Versicherung, man plane keine Okkupation der ukrainischen Gebiete. „Wir werden niemanden etwas mit Gewalt aufzwingen.“
Die meisten Ukrainer glauben Putins Worten sowieso nicht. „Monatelang hat er versichert, Russland werde die Ukraine auf keinen Fall angreifen“, sagt der Kiewer Sicherheitsexperte Oleksi Melnyk. „Tatsächlich will er unser Land vernichten.“Es herrsche keine Panik, die Ukraine tue ihre Arbeit. Melnyk unterbricht sich kurz, weil durchs Fenster wieder eine Explosion zu hören ist. „Jetzt kommt es darauf an, wie lange unsere Armee Widerstand leisten kann. Aber wir hoffen vor allem auf den Westen. Darauf, dass er nicht nur über Sanktionen spricht, sondern etwas
- Der Potsdamer Militärhistoriker Sönke Neitzel analysiert im Interview die Taktik der russischen Armee und erklärt das Narrativ von Präsident Wladimir Putin. Er bediene sich an bekannten Erzählungen.
Welche militärische Strategie der Russen lässt sich erkennen?
Die russische Armee verfolgt eine Taktik, die die Amerikaner auch im Irakkrieg angewendet haben. Sie erlaubt es der Ukraine nicht, einen Verteidigungsschwerpunkt zu bilden, da der Angriff von vier verschiedenen Seiten erfolgt: im Süden von der Krim, im Osten vom Donbass, im Norden aus Belarus und im Nordosten aus Russland. Sie hoffen, dass der Widerstand der ukrainischen Armee damit schnell in sich zusammenbrechen wird.
Es gibt Meldungen, die ukrainische Luftabwehr sei bereits ausgeschaltet. Halten Sie das für plausibel? Die Achillesferse der Ukrainer sind ihre schwache Luftverteidigung und ihre schwache Luftwaffe. Die sind von russischen Waffen sicherlich relativ leicht auszuschalten, daran konnten auch die westlichen Waffenlieferungen nichts ändern. Daher gehe ich in der Tat davon aus, dass die Raketenangriffe zunächst dazu dienten, die Luftherrschaft zu gewinnen, um dann Angriffe auf Bodentruppen fliegen zu unternimmt, was Putin wirklich weh tut.“Die Ukraine brach am Donnerstag die diplomatischen Beziehungen zu Russland ab.
In der Region Charkow soll es die ersten beiden zivilen Todesopfer gegeben haben. Von dort gab es auch Videos eines fünfstöckigen Wohnhauses, das in Brand geschossen wurde. Die Umgebung Charkows ist offenbar eines der Hauptschlachtfelder des Krieges. „Sehr viele unserer Militärfahrzeuge fahren durch die Stadt Richtung Charkow“, sagt der Kleinunternehmer Ruslan Gawrjuschenko aus Kramatorsk im Donbass. Die Stadt liegt 40 Kilometer hinter der Front auf dem Territorium der Region Donezk, das die Rebellen beanspruchen. „Ganz Kramatorsk ist um fünf Uhr durch eine schwere Explosion am Flugplatz aus dem Schlaf gerissen worden. Um sechs bin ich zur Tankstelle gefahren, da stand schon eine Schlange.“Der Benzinpreis sei seit dem Morgen von 33 auf 40 Hrywnja (1,20 Euro) gestiegen, die Leute hätten in den Supermärkten das Trinkwasser aufgekauft. „Aber jetzt ist hier alles ruhig.“Gawrjuschenko nimmt den Kriegsausbruch gelassen. „Wie bei den können. So hat es die russische Luftwaffe in Syrien jahrelang geübt.
Was können die Ukrainer der russischen Armee entgegenhalten?
Die Ukraine könnte diesen Krieg relativ schnell verlieren. Zahlentechnisch ist ihre Armee der russischen zwar nicht sonderlich unterlegen, entscheidend in der modernen Kriegsführung ist allerdings die Luftwaffe. Vor allem technologische Überlegenheit kann Kriege sehr schnell entscheiden. Im ersten Irakkrieg hatten die Iraker die viertgrößte Armee der Welt. Sie ist von den Amerikanern innerhalb von 100 Stunden enthauptet worden. Auch heute ist denkbar, dass die russische Armee Kiew innerhalb weniger Tage besetzt. Gelingt den Russen das nicht, käme es also zu einem längeren Konflikt, könnte es aber auch sehr intensive Kämpfe und Tausende Tote auf beiden Seiten geben.
Lässt sich aus den Angriffen ein Ziel Putins ableiten?
Es geht darum, die Ukraine militärisch wehrlos zu machen, um dann wahrscheinlich eine Marionettenregierung zu installieren, um die Ukraine in den russischen Machtbereich einzuschließen. Die Frage ist, ob man wirklich die gesamte Ukraine besetzen will, oder ob man sich auf die wichtigsten Städte oder das Gebiet östlich des Dnepr beschränkt.
Kämpfen 2014 beginnt das Artilleriefeuer meist erst, wenn es Abend
Gibt es historische Blaupausen für solche Pläne?
Seit dem Zarenreich hat das russische Militär immer wieder interveniert, wenn angrenzende Länder die russische Einflusszone verlassen wollten, im 19. Jahrhundert etwa im Kaukasus oder in Zentralasien. Nach wird.“Auch er muss das Handy kurz auflegen: Ein Kollege seiner Frau, die dem Zweiten Weltkrieg gab es 1953 in der DDR eine Intervention, 1956 in Ungarn, 1968 in der Tschechoslowakei. Beim Einmarsch 1979 in Afghanistan wollte man ebenfalls versuchen, eine moskaugenehme Regierung zu stabilisieren und das Land so in der eigenen Einflusszone zu halIch in einer Bank arbeitet, ist gekommen, um seinen Handbohrer abzuholen. Er will damit Geldbündel durchbohren, die auf Geheiß der Filialleitung für den Fall eines Rückzugs unbrauchbar gemacht werden sollen.
Ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums sprach am Donnerstagmittag in einem ersten offiziellen Briefing nur von Angriffen im Donbass. Unterstützt von russischen Truppen seien die Rebellen im Norden 1,5 Kilometer auf die Stadt Stschastje vorgestoßen, im Südwesten drei Kilometer auf Wolnowacha. Ukrainische Soldaten würden massenhaft ihre Stellungen verlassen und flüchten. „Die Streitkräfte Russland führen keinerlei Raketen-, Luft- oder Artillerieschläge gegen ukrainische Städte.“Die ukrainischen Geheimdienste dagegen wollten gefälschte Filmaufnahmen von angeblichen zivilen Todesopfern verbreiten. Es gäbe keinerlei Bedrohung für die friedliche Bevölkerung. Die russische Zensurbehörde Roskomdnadsor forderte die Massenmedien auf, bei der Berichterstattung über den Krieg nur Informationen aus „offiziellen Quellen“zu verwenden. ten. Die Einsätze in den 1990er-Jahren in Tschetschenien und 2008 in Georgien fallen in dieselbe Kategorie. Und 1980 ist man nur deswegen nicht in Polen einmarschiert, weil die polnische Regierung deutlich gemacht hat, dss man das Problem mit Solidarnosc alleine lösen würde.
Putin spricht von Genozid und Atomwaffen. Wie ordnen Sie das ein? Es ist interessant, dass selbst Putin Kriege nicht einfach beginnen kann, sondern eine Rechtfertigung vor der eigenen Bevölkerung braucht. Das ist natürlich alles Quatsch, kein Mensch glaubt, zumindest außerhalb Russlands, dass es in der Ukraine einen Genozid an Russen gibt. Putin hält dem Westen damit aber den Spiegel vor. Er sagt: Mit genau diesen Narrativen habt ihr im Kosovo und im Irak auch Kriege angefangen. Die Ironie der Geschichte ist, dass in beiden Fällen die westlichen Narrative ja ebenfalls falsch waren.
Könnte aus diesem Krieg ein größerer Flächenbrand in Europa entstehen?
Das glaube ich nicht, denn die Nato hat deutlich gemacht, dass sie nicht intervenieren wird. Ein größerer Krieg könnte nur entstehen, wenn Russland auch die baltischen Staaten angreifen würde. Und davon ist momentan nicht auszugehen.
Kann es noch eine Verhandlungslösung geben?
Aus dem Umland von Kiew, Winniza, Cherson und Odessa sowie aus anderen Regionen wurden schon am frühen Morgen Bombenangriffe und Raketenschläge hauptsächlich gegen Flughäfen und Militäreinrichtungen gemeldet, in Luzk soll der Fernsehturm zerstört worden sein. Das ukrainische Präsidialamt sprach von über 40 Gefallenen.
Russische Artillerie sollen den Stadtrand von Awdejewka im Donbass beschossen haben. Die „Volksmiliz“der „Lugansker Volksrepublik“verkündete, man habe bei dem Städtchen Stschastje zwei türkische Bayrakter-Kampfdrohnen abgeschossen. Das ukrainische Militär konterte mit Meldungen, es hätte bei Stschastje 50 Russen getötet und insgesamt sieben Flugzeuge abgeschossen.
Die Nachrichtenlage ist unübersichtlich. Die Ukrainer gaben auch bekannt, beim Absturz eines Transportflugzeugs der Armee nahe Kiew seien 14 Insassen umgekommen. Später meldete das russische Verteidigungsministerium den Verlust eines eigenen Su-25-Kampfbombers.
In Moskau und vielen anderen russischen Städten protestierten vor allem am Abend hunderte Kriegsgegner mit Antikriegsplakaten. Sie wurden zum großen Teil festgenommen. Über 180 russische Wissenschaftler und Wissenschaftsjournalisten verlangten in einem Brief, die Kampfhandlungen einzustellen. Auch Prominente wie der Starmoderator Iwan Urgant, die Schlagersänger Sergej Lasarew und Waleri Meladse oder der Fußballnationalspieler Fjodor Smolow kritisierten in den sozialen Medien den Krieg
„Ich weiß nicht, wie wir Russen jetzt damit leben sollen“, schrieb die Schriftstellerin Lisa AlexandrovaZorina auf Facebook und fügte hinzu: „Übrigens werden wir mit dem wahnsinnigen Putin, der der Welt mit einem Atomkrieg droht, vielleicht nicht lange damit leben. Wir alle.“
Putins Kriegserklärung am Morgen hatte fast eine halbe Stunde gedauert. Einen Großteil seiner Rede widmete er dem Westen, beschuldigte ihn erneut militärischer Aggressionen gegen Belgrad, den Irak, Libyen und Syrien, außerdem der Unterstützung ukrainischer Neonazis, die im Donbass einen „Genozid“veranstalteten.
Am Nachmittag überraschte Putins Sprecher Dmitri Peskow mit der Mitteilung, der Kreml sehe keine Hindernisse zu direkten Verhandlungen zwischen Putin und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Dafür müsse die ukrainische Seite aber bereit sein, russische Sicherheitsforderungen wie einen neutralen Status für die Ukraine und den Verzicht auf bestimmte Waffensysteme in Betracht zu ziehen. Ein Verhandlungsangebot, das vermuten lässt, dass die russische „Spezialoperation zur Demilitarisierung der Ukraine“nicht ganz so glatt läuft wie im Kreml erwartet. sehe nicht, wie man die Interessen Russlands und der Nato zusammenbringen könnte, ohne dass eine Seite ihre Grundprinzipien aufgibt. Die Nato ist natürlich nicht bereit, alle US-Truppen aus dem Baltikum abzuziehen und die osteuropäischen Staaten zur neutralen Zone und somit zu Mitgliedern zweiter Klasse zu machen. Dass die Nato nach Osteuropa ausgedehnt werden konnte, lag natürlich an der Schwäche Russlands in den 1990ern, und es ist verständlich, dass Putin das nicht gefällt. Aber es ist de facto unumkehrbar. Deshalb denke ich, dass es auf eine weitere Konfrontation zulaufen wird. Es sieht nicht aus, als könnte diese Krise in absehbarer Zeit diplomatisch gelöst werden.
Versucht Russland, den Weltmachtstatus wiederzuerlangen? Die Frage ist, ob es zukünftig eine tripolare oder eine bipolare Weltordnung geben wird. Russland hat gegenüber China und den USA relativ schlechte Karten, weil es sich wirtschaftlich nicht auf Augenhöhe mit diesen beiden Supermächten befindet. Die letzte Trumpfkarte, die Putin hat, ist die Qualität seines Militärs. Langfristig wird er damit aber nicht weit kommen. Denn das einzige, das Russland wirtschaftlich aufbieten kann, ist der Export von Rohstoffen. Und selbst für deren Erschließung ist es von westlichem Know-how abhängig.