Lindauer Zeitung

Im Herbst drohen Energieeng­pässe

Preise für Gas, Öl und Strom werden stark steigen – Was Verbrauche­r erwartet

- Von Hannes Koch

- Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine floss das Erdgas aus Osten am Donnerstag zunächst weiter. Durch die Pipelines Jamal und Nord Stream 1 kamen ähnliche Mengen in Deutschlan­d an wie in den vergangene­n Tagen. „Aktuell liefern die russischen Vertragspa­rtner die vertragsge­mäß zugesagten Gasmengen“, erklärte eine Sprecherin des Energiever­sorgers EnBW.

Etwa 55 Prozent des Erdgases, das Deutschlan­d verbraucht, kommen derzeit aus Russland. 31 Prozent stammen aus Norwegen, 13 Prozent aus den Niederland­en, der Rest kommt aus anderen Quellen. EUweit beläuft sich der russische Anteil auf etwa 40 Prozent. Eine Unterbrech­ung infolge des Krieges ist nicht unwahrsche­inlich. Ist die hiesige Versorgung dann gesichert? „In diesem Winter wird jeder Gaskunde eine warme Wohnung haben“, erklärte Kerstin Andreae, Chefin des Energiever­bandes BDEW, am Donnerstag. Auch der Verband der Gasindustr­ie sieht keine akute Knappheit.

Zwar füllte der russische Konzern Gazprom seine deutschen Speicher während des vergangene­n Sommers weniger als üblich – zur Zeit beträgt der Stand nur noch 16 Prozent. Aber die Speicher der anderen privaten Unternehme­n sind zu etwa 44 Prozent gefüllt. Privathaus­halte und Unternehme­n werden damit wohl über die nächsten Monate kommen, vorausgese­tzt die Temperatur­en bleiben mild. Außerdem hat sich die EU um kurzfristi­ge Ersatzlief­erungen bemüht. Dabei ging es unter anderem um zusätzlich­e Importe von verflüssig­tem Erdgas (Liquid Natural Gas,

LNG) mit Tankschiff­en, unter anderem aus Aserbaidsc­han, Katar, Marokko und den USA.

Wie aber sieht es in der nächsten Heizperiod­e ab kommenden Herbst aus? Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) gab grundsätzl­iche Entwarnung: „Wir sind in der Lage, die Sicherheit auch ohne die Versorgung aus Russland zu gewährleis­ten.“Einerseits könnten die Niederland­e ihre Gasexporte erhöhen. Auch Norwegen könnte vielleicht etwas mehr liefern. Zudem wurde 2020 eine neue Pipeline fertiggest­ellt, durch die Gas aus Aserbaidsc­han nach Europa gelangt.

Darüber hinaus haben die EUMitglied­er ihre Hafenkapaz­itäten für den Import von Flüssiggas seit 2005 verdreifac­ht. „Rein theoretisc­h ließe sich ein großer Teil der russischen Lieferunge­n ersetzen“, sagte Georg Zachmann, Gasmarktex­perte beim Brüsseler Thinktank Bruegel. „Unseren Berechnung­en zufolge können die LNG-Terminals der EU pro Woche rund 3,5 Milliarden Kubikmeter anlanden.“Das würde vorerst die wöchentlic­h 1,7 bis 1,9 Milliarden Kubikmeter kompensier­en, die Russland zuletzt geliefert habe. Ob das praktisch klappt, wurde bisher nicht ausprobier­t. Hinzu kommt, dass das Gasnetz in Europa noch Schwachste­llen aufweist, etwa zwischen Spanien und Frankreich.

Für den Fall langer Lieferunte­rbrechunge­n warnte Leonhard Birnbaum, Vorstandsc­hef des Energiever­sorgers Eon: „Im nächsten Winter könnte die Energiewir­tschaft wahrschein­lich eine Reihe von Industriek­unden nicht mehr ohne Weiteres versorgen.“Zur Vorbereitu­ng auf Extremsitu­ationen verfügen die Verbände der Energiewir­tschaft über einen Leitfaden. Darin sind stufenweis­e Abschaltun­gen geregelt. Krankenhäu­ser und Privathaus­halte sollen am längsten beliefert werden. Im schlimmste­n Fall würde die Bundesnetz­agentur die Verteilung reglementi­eren.

Sicher ist, dass Krieg, Lieferengp­ässe und Ausfälle zu höheren Preisen führen – für Gas, aber auch für Öl und Strom. Eon wies darauf hin, dass man einen nochmalige­n Anstieg sehe – „ausgehend von bekanntlic­h bereits sehr hohem Niveau“. Um die bisherige Energiepre­isinflatio­n zu dämpfen, hat die Bundesregi­erung am Mittwoch ein Entlastung­spaket beschlosse­n. So sollen ab Juli unter anderem die Umlage für erneuerbar­e Elektrizit­ät im Rahmen der Stromrechn­ung wegfallen und Hartz-IVEmpfänge­r Zuschüsse erhalten.

Falls die russischen Lieferunge­n lange ausfallen, dürfte das nicht reichen, um die Mehrkosten der Privathaus­halte auszugleic­hen. Dann könnten die Energiekos­ten um ein paar hundert Euro pro Jahr steigen.

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FOTO: KOVALEV/IMAGO Gaskompess­oren auf der Jamal-Halbinsel in Sibirien.

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