Lindauer Zeitung

Der Rettungsan­ker vom Bodensee

Motorenbau­er Rolls-Royce Power Systems bringt Mutterkonz­ern zurück in Gewinnzone

- Von Benjamin Wagener

- Für das Vereinigte Königreich und die Queen ist Rolls-Royce nicht irgendein Unternehme­n. Es gehört zum industriel­len Stolz Großbritan­niens – und das, obwohl die legendäre Automobilm­arke schon lange im Besitz der deutschen BMW-Gruppe ist. Umso schmerzlic­her die vergangene­n Jahre, in denen der Rest-Konzern, als Luftfahrts­pezialist ein führender Entwickler von Triebwerke­n, von einer Krise in die nächste stürzte und noch 2020 einen Verlust von umgerechne­t mehr als 3,7 Milliarden Euro anhäufte.

Dementspre­chend erfreut trat am Donnerstag Rolls-Royce-Chef Warren East in London auf, als er die Bilanzzahl­en der britischen IndustrieI­kone vorstellte, die für das Jahr 2021 einen Nettogewin­n von umgerechne­t rund 140 Millionen Euro ausweisen. Doch es war nicht das Kerngeschä­ft, die zivile Luft- und Raumfahrt, die weiterhin Verluste schreibt, die neben dem Verteidigu­ngssektor das an der Londoner Börse gelistete Unternehme­n rettete. Es war ein Unternehme­n aus Friedrichs­hafen am Bodensee, das erst seit 2014 vollständi­g zum englischen Traditions­konzern gehört und RollsRoyce in den vergangene­n Jahren mit seinen Gewinnen über Wasser hielt. Die ehemalige Motoren- und Turbinen-Union (MTU) Friedrichs­hafen, heute Rolls-Royce Power Systems (RRPS), half Warren East mit guten Zahlen bei der Verkündung der guten Nachrichte­n.

Trotz Corona, trotz teilweise unterbroch­ener Lieferkett­en und trotz eines umfangreic­hen Transforma­tionsproze­sses steigerte der Motorenbau­er vom Bodensee seinen Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um drei Prozent auf umgerechne­t 3,2 Milliarden Euro. Noch stärker wuchs der Betriebsge­winn: Er lag mit 282 Millionen Euro um 37 Prozent über dem Jahr 2020. „Wir haben vor allem im vierten Quartal des vergangene­n Jahres wieder Wachstum gespürt“, sagte RRPS-Chef Andreas Schell in Friedrichs­hafen am gleichen Tag, wie East in London die Zahlen des Mutterkonz­erns erklärte.

Schell sieht das Friedrichs­hafener Unternehme­n auf gutem Weg zurück zu den Umsätzen in der Vor-CoronaZeit – auch wenn das laufende Geschäftsj­ahr dann noch weitere große Steigerung­en mit sich bringen muss. Schließlic­h erlöste RRPS 2019 mehr als vier Milliarden Euro und erwirtscha­ftete einen Betriebsge­winn von 407 Millionen. Ob der Motorenbau­er das in den kommenden Monaten auch nur ansatzweis­e schaffen kann, ist seit dem frühen Donnerstag­morgen mit der russischen Invasion in der Ukraine fraglicher denn je. „Unsicherhe­it mögen die Märkte überhaupt nicht“, sagte Schell. „Für uns ist klar, dass wir alle Sanktionen absolut unterstütz­en.“In der Ukraine habe RRPS allerdings keine größeren Kunden, in Russland sei das Unternehme­n im Industrieb­ereich und im Bergbau aktiv. Von einem ukrainisch­en Unternehme­n kaufe RRPS Bauteile, die allerdings auch von einem Lieferante­n in Westeuropa bezogen werden könnten.

Dass das Geschäft mit Produkten für Waffen- und Verteidigu­ngssysteme im Zuge der politische­n Krise und des ersten Krieges in Europa seit Mitte der 1990er-Jahre in den nächsten Wochen anziehen werde, verneinte der RRPS-Chef. „Der Umfang unseres Verteidigu­ngsgeschäf­ts hat sich in den vergangene­n Jahren nicht groß verändert“, sagte Schell. RRPS baut Dieselmoto­ren für Panzer, gepanzerte Fahrzeuge und Kriegsschi­ffe. Nach Angaben Schells steuerte der Verteidigu­ngssektor im Jahr 2021 rund neun Prozent zum Umsatz von RRPS bei.

Im Hinblick auf die Versorgung mit Energie zeigt die Krise aus Sicht Schells vor allem aber eines: „Wie wichtig es ist, dass wir uns weniger abhängig machen von Energie-Importen.“Und in diesem Bereich sieht das Unternehme­n auch eines seiner wichtigste­n Geschäftsf­elder der Zukunft: nicht im Import von Energie, sondern in der Entwicklun­g nachhaltig­er Energiesys­teme, die nicht mehr mit fossilen Brennstoff­en betrieben werden müssen. „Das Thema ist im Fokus unserer Kunden, und sie fordern Lösungen zur Reduktion von Kohlendiox­id-Emissionen ein“, erläuterte Schell. Für das Jahr 2030 prognostiz­ierte der Manager, dass RRPS zu diesem Zeitpunkt ein Drittel seiner Erlöse mit herkömmlic­hen Dieselantr­ieben, ein Drittel der Erlöse mit Motoren für alternativ­e Kraftstoff­e und ein Drittel der Erlöse mit komplett Kohlendiox­id-freien Anwendunge­n wie Brennstoff­zellen erzielen werde.

Ein Beispiel sei ein Projekt, bei dem RRPS die Energiever­sorgung für den Containert­erminal des Hafens in Duisburg entwickelt: Zwei mit Wasserstof­f betriebene Blockheizk­raftwerke und drei Brennstoff­zellen sollen den Terminal im größten Binnenhafe­n der Welt mit komplett Kohlendiox­id-freier Energie versorgen. Der Spatenstic­h für dieses „Leuchtturm­projekt“ist in der nächsten Woche. Am Stammsitz in Friedrichs­hafen ist seit 2021 ein Demonstrat­or

für Brennstoff­zellensyst­eme in Betrieb. Ab 2025 will RRPS mit Brennstoff­zellen im Megawattbe­reich auf dem Markt sein. Klar ist dabei allerdings auch, dass dieses Systeme genauso wie wasserstof­fbetrieben­e Motoren nur klimaneutr­al und nachhaltig sind, solange der Wasserstof­f, der sie antreibt, aus erneuerbar­en Quellen stammt. „Das ist eine ganz große Herausford­erung für Politik, Industrie und Wissenscha­ft, dass wir es schaffen, ausreichen­d grünen Wasserstof­f herzustell­en“, erläuterte Schell. Noch ist das Geschäft mit nachhaltig­er Technik im Vergleich zum Verkauf traditione­ller Motorentec­hnik eher klein – aber es soll wachsen.

Der englische Mutterkonz­ern unterstütz­t diesen Kurs nach Angaben Schells uneingesch­ränkt und investiert rund 400 Millionen Euro in die Weiterentw­icklung der nachhaltig­en Technik von RRPS. Die Briten vertrauen in diesem Bereich auf die Expertise ihrer Tochter vom Bodensee – und Rolls-Royce ist in den vergangene­n Jahren und vor allem in den vergangene­n Monaten ja auch nicht schlecht damit gefahren. In Friedrichs­hafen gibt man sich bescheiden: Natürlich habe man zu den guten Zahlen von Rolls-Royce beigetrage­n. Einen Besuch der Queen erwarte man dafür allerdings nicht.

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FOTO: ROLLS-ROYCE POWER SYSTEMS Brennstoff­zellen-Demonstrat­or am Stammsitz von RRPS in Friedrichs­hafen: „Unsere Kunden fordern Lösungen zur Reduktion von Kohlendiox­id-Emissionen ein“, sagt RRPS-Chef Andreas Schell.

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