Wieder rauf aufs neue Rad
Trotz angespannter Liefersituation verweisen Fahrradhändler auf ausreichenden Bestand – Große Probleme bei Ersatzteilen
- Kaum ein Fortbewegungsmittel hat in den vergangenen Jahren eine derartige Popularität erlangt wie das Fahrrad. Egal ob E-Bike, Montainbike oder das herkömmliche Rad – die Nachfrage ist in allen Bereichen besonders seit der Pandemie nochmals enorm gestiegen.
Allerdings bereiten die durch Corona stark eingeschränkten Lieferketten Fahrradhändlern und Fahrradherstellern große Sorgen. „Wir freuen uns natürlich über die große Nachfrage, aber bei speziellen Modellen haben die Kunden kaum mehr Auswahl“, sagt Fahrradhändlerin Anja Kallenbach am Donnerstag im Rahmen einer brancheninternen Pressekonferenz. „Nicht selten kommt die Ware auch verspätet an“, betont sie. Vor der Pandemie seien beim Großteil der Fahrradmodelle fünf Wochen Lieferzeit eingeplant gewesen, aktuell müssten Kunden häufig mit mindestens zwölf Wochen rechnen. In einem anderen Bereich gibt es aus Sicht von Anja Kallenbach sogar tatsächlich Versorgungsengpässe. „Bei Reparaturen haben wir aktuell ein viel größeres
Problem, weil wir auf die Verschleißteile sehr lange warten müssen oder sie gar nicht mehr herbekommen“, sagt Kallenbach. Der Ersatzteilmarkt sei komplett leer, weil nachgefragte Komponenten zuerst bei neuen Fahrrädern und E-Bikes verbaut werden.
Sandra Appel, Vorstandsmitglied beim Verbund Service und Fahrrad, stimmt ihr zu: „Die Beschaffung von Verschleißteilen ist ein großes Problem.“
Die Vielfalt der Produkte mache es fast unmöglich, alle Teile vorrätig in der Fahrradwerkstatt vor Ort zu haben. „Da kommen wir an unsere Grenzen“, sagt Appel. Sie glaubt aber, dass sich die Händler untereinander helfen können. „Das Netzwerk der Händler ist näher zusammengerückt durch die Pandemie. Man kann sich da auch gegenseitig unterstützen, wenn einzelne Teile fehlen“, erklärt sie. Mittlerweile seien aber viele Fahrradhändler dabei, sich ein eigenes Ersatzteillager aufzubauen. „Die Händler erkennen, dass sie sehr vorausschauend planen müssen in diesen Zeiten“, sagt Appel.
Dass man bei den aktuellen Lieferengpässen in dieser Saison kein neues Fahrrad bekommen könnte, schließt Appel aber entschieden aus: „Wir haben wirklich viel Ware auf dem Markt. Man kann auch in dieser Saison ein neues Fahrrad kaufen“, betont sie. Tobias Hempelmann vom Verband des Deutschen Zweiradhandels (VDZ) pflichtet ihr bei: „Die Ware ist vor Ort da. Deswegen müssen Kunden keine Angst haben, dass sie kein neues Fahrrad in diesem Jahr bekommen“, betont er. Das gelte sowohl für E-Bikes als auch für Räder ohne elektrische Unterstützung.
Allerdings gibt er zu, dass die Kunden etwas flexibler werden müssten. „Beim lokalen Händler gibt es vielleicht nicht bei jedem Modell die Konfiguration, die Farbe oder den Sattel eins zu eins so, wie man sich das vorgestellt hat“, sagt er. Es könne sein, dass es das Wunschrad nicht am Wunschort gibt, aber „es gibt genug gute Modelle im Laden vor Ort. Und es muss ja auch nicht immer das neueste Modell sein“, sagt Hempelmann. Insgesamt hätten aber 80 bis 90 Prozent der Händler in diesem Jahr mehr Räder zur Verfügung als im vergangenen Jahr, betont er.
Zwar rechnet Hempelmann damit, dass die angespannte Liefersituation noch mindestens zwei weitere Jahre so herausfordernd sein wird. Die Nachfrage nach Fahrrädern und E-Bikes stimmt die gesamte Branche allerdings positiv. Lag der Umsatz von Fahrrädern und E-Bikes 2017 laut Zahlen des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV) bei etwa 2,7 Milliarden Euro, waren es 2020 schon 6,4 Milliarden Euro. Und auch der Bestand an Fahrrädern und E-Bikes hat zugenommen: Nach Angaben des ZIV gab es 2017 in Deutschland 73,5 Millionen Räder, 2020 schon 79,1 Millionen Fahrrädern – Tendenz steigend.
Im Schnitt besitzt also fast jeder Deutsche ein Fahrrad. Deswegen wird die Branche weiterhin versuchen, den Markt, so gut es geht, zu bedienen. Und Fahrradhändler wie -hersteller hoffen, dass das Rad weiterhin so beliebt bleibt wie in den vergangenen Jahren.