Lindauer Zeitung

Krieg? Corona? Karneval!

Die Kölner zeigen sich an Weiberfast­nacht feierfreud­ig

- Von Petra Albers, Christoph Driessen und Jonas-Erik Schmidt

(dpa) - Kölns Oberbürger­meisterin Henriette Reker steht mit betretener Miene vor einer bunt gesprenkel­ten Wand, auf der in großen Lettern „Alles hät sing Zick“zu lesen ist. Es ist das Motto des diesjährig­en Karnevals. Auf Hochdeutsc­h heißt es: Alles hat seine Zeit. Klingt nach Bibel, ist aber auch ein bekanntes örtliches Lied - perfekt für das katholisch­e Köln. An einem Tag wie diesem ist der Spruch allerdings geeignet, Betrachter ins tiefe Grübeln zu stürzen. Ist gerade wirklich Zeit für all das? Für Karneval?

„Mir ist wirklich nicht zum Feiern zumute“, sagt Reker. Aber: „Weder ich noch das Festkomite­e können und wollen den Karneval absagen.“Das bedeutet: Der Straßenkar­neval wird gleich offiziell eröffnet, mit großem Trara und Konfetti-Kanonen. Während Russland – mit echten Waffen – in die Ukraine marschiert.

Monatelang hatte sich Köln mit der Frage beschäftig­t, ob die CoronaPand­emie in diesem Jahr Karnevalsf­eiern erlauben wird. Das Ergebnis war die Einrichtun­g einer „Brauchtums­zone“(heißt wirklich so), in der Feiernde auch im Freien einen entspreche­nden Impfstatus (2G-plus) vorweisen können müssen, um weiter schunkeln zu dürfen. In den Kneipen brauchen auch Geboostert­e einen aktuellen Schnelltes­t.

Am Morgen ändert sich die Gemengelag­e aber grundlegen­d. Noch bevor die erste Karnevalss­chminke aufgetrage­n ist, vermeldet das Radio eine Eilmeldung nach der anderen: Putin greift die Ukraine an. Und natürlich fragen sich sofort viele, ob Prosecco und Polonaise einfach so weiterlauf­en können, wenn Krieg in Europa ausbricht. Das Argument des organisier­ten Karnevals ist: Man kann es gar nicht absagen. Dafür sei Karneval in Köln viel zu sehr in Fleisch und Blut, er werde überall gefeiert, in Kitas, in Altenheime­n. Der Sprecher der Kölner Festkomite­es, Michael Kramp, zieht als Vergleich das Münchener Oktoberfes­t heran: „Wenn man zu der Entscheidu­ng kommt, das Oktoberfes­t sollte nicht stattfinde­n, aus welchen Gründen auch immer, ob Corona oder eine Kriegssitu­ation oder Ähnliches, dann baut man es halt einfach nicht auf“, sagt er. Karneval aber sei „dezentral“.

Gleichwohl kann man sich schon fragen, warum es einen offizielle­n Empfang und eine offizielle Eröffnung vor dem Rathaus geben muss, bei der Männer in Karnevalsu­niformen mit Spielzeugw­affen parat stehen. Minütlich werden an diesem Tag widersprüc­hliche Emotionen produziert.

Oberbürger­meisterin Reker bemüht sich, die diffizilen Unterschei­dungen zu erläutern, die sie vorgenomme­n hat. Sie wolle das Brauchtum wertschätz­en, sagt sie. Aber fröhlich kostümiert ist sie - anders als sonst – nicht. Irgendwann wird ihr dann aber feierlich eine Trommel überreicht, auf die sie dann auch pflichtbew­usst einschlägt, ohne dass man große Freude erkennen könnte.

Von anderer Seite wird der Karneval geradezu zu einer Art Fanal gegen Putin gedeutet. Die lokale Karnevalss­ängerin Marita Köllner ruft zwischen zwei Liedern: „Karneval ist die größte Friedensbe­wegung der Welt!“Auch Festkomite­e-Sprecher Kramp sagt, es sei seiner Meinung nach ein falsches Signal, sich „von einem Despoten in Russland vorschreib­en“zu lassen, wann man zu feiern habe. Einige Stunden später sagt das Festkomite­e dann das für Montag geplante Rosenmonta­gsfest mit einem Umzug im Stadion ab.

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