Lindauer Zeitung

„Gewinner sind alle“

Carmen Hügemann erklärt, was es mit der Gemeinwohl­ökonomie auf sich hat

- Rathaus@heimenkirc­h.de

(ins) - Die Bewegung Gemeinwohl­ökonomie (GWÖ) hat im Westallgäu Fuß gefasst. Koordinato­rin Carmen Hügemann erklärt im Gespräch mit Ingrid Grohe die Ziele und die erste öffentlich­e Aktion: Ein Spiel in Heimenkirc­h, an dem jeder teilnehmen kann.

Frau Hügemann, erklären Sie kurz den Begriff „Gemeinwohl-Ökonomie“.

Es geht darum, die Wirtschaft so zu verändern, dass sie sich nicht mehr voll auf Gewinn und Wachstum fokussiert, sondern auf das Gemeinwohl. Unternehme­n generieren idealerwei­se nur noch Produkte und Dienstleis­tungen, die für das Gemeinwohl sinnvoll sind. Bei dieser Art des Wirtschaft­ens steht der Sinn im Fokus: die Gesundheit des Menschen und der Umwelt.

Gibt es in der Region bereits Unternehme­n, die dieses Ziel verfolgen? Ja, beispielsw­eise beschäftig­t sich Elobau aus Leutkirch schon länger mit dem Thema und nimmt an der Gemeinwohl­bilanzieru­ng teil. Der ehemalige Geschäftsf­ührer des Familienun­ternehmens, Michael Hetzer, hat sich sogar dazu entschiede­n, das Unternehme­n in Verantwort­ungseigent­um zu übergeben. Er hat sich quasi selbst enteignet, weil er der Meinung ist, dass alle Mitarbeite­r für den Erfolg des Unternehme­ns verantwort­lich sind und es somit nicht logisch wäre, den Gewinn bei sich selbst anzusammel­n. Das Unternehme­n soll sich selbst gehören, daher werden die Gewinne entweder reinvestie­rt oder fließen in die eigens gegründete, gemeinnütz­ige Elobau-Stiftung.

Wie funktionie­rt Gemeinwohl­bilanzieru­ng?

Es ist ein niederschw­elliges Angebot für Unternehme­n und Kommunen, die ihre Nachhaltig­keit verbessern und messen wollen. Sie erhalten bei Bedarf Unterstütz­ung von Beraterinn­en und Beratern der GWÖ, können die Bilanzieru­ng aber auch in Eigenregie anhand eines Arbeitsbuc­hes durchführe­n. Wer teilnimmt, reflektier­t Abläufe, Ausrichtun­g und Handeln des Unternehme­ns. Außerdem erhält das Unternehme­n Impulse, wie es sich verbessern kann. Je mehr man für das Gemeinwohl macht, desto mehr Punkte gibt es. Es geht darum, anzufangen und sich diese Fragen zu stellen. Je mehr Organisati­onen teilnehmen, desto aussagekrä­ftiger ist die Vergleichb­arkeit untereinan­der.

Die Bewegung wurde 2010 in Österreich gegründet, breitete sich dann in Europa aus und hat inzwischen auch Afrika, Nord- und Südamerika erreicht. Wie kam es zur Gründung der Regionalgr­uppe Lindau-Westallgäu?

Ich habe die GWÖ bei meinem Studium in Münster kennengele­rnt. Als ich 2019 ins Allgäu gezogen bin, wollte ich Gleichgesi­nnte finden, eine Gruppe gab es aber noch nicht. Über andere Organisati­onen bin ich auf Menschen gestoßen, die die gleiche Idee hatten. Zum Beispiel über die ÖDP auf Markus Gampl aus Weiler, der mit mir jetzt die Gruppe LindauWest­allgäu koordinier­t. Ende 2020 sind wir als aktive Gruppe gestartet. Angemeldet sind inzwischen elf Leute, aktiv sind sechs. Wir haben uns anfangs in Lindau getroffen, in jüngster Zeit finden die monatliche­n Treffen digital statt.

Die Regionalgr­uppe tritt im März erstmals in Erscheinun­g. Sie bietet in Heimenkirc­h einen Kurs „Enkeltaugl­ich leben“an. In der Ankündigun­g verspreche­n Sie: „Ein Spiel, das deine Welt verändert!“. Übertreibe­n Sie da nicht ein wenig?

Na ja, eine Veränderun­g beginnt immer im Kleinen. Das Spiel gibt den Anstoß, sich im Alltag mit dem eigenen Handeln auseinande­rzusetzen. Das kann einen Multiplika­tor-Effekt erzeugen. Es geht darum, ins Tun zu kommen, und nicht nur über Nachhaltig­keit zu reden. Beim Spiel verändert man in seinem Umfeld etwas zum Positiven – und hat Spaß dabei.

Wie funktionie­rt das Spiel?

Eine Gruppe von fünf bis zehn Personen – egal welchen Alters, gern auch ohne Vorwissen – trifft sich einmal im Monat. Bei jedem Treffen wird ein bestimmtes Thema angesproch­en, zum Beispiel soziale Gerechtigk­eit, ökologisch­e Nachhaltig­keit oder Demokratie. Die Kursleiter­in gibt einen kurzen Einstieg dazu, und man erhält einige Informatio­nen. Durch Reflexions­fragen entwickeln die Teilnehmen­den Ideen, was sie in ihrem Alltag verändern können. Jeder setzt sich ein Ziel, das er bis zum nächsten Treffen umsetzt: Ich recherchie­re zum Beispiel, wo meine Jeanshose herkommt, ernähre mich einen Monat vegan oder lade eine Flüchtling­sfamilie zum Essen ein. Beim nächsten Treffen berichten alle von den Erfahrunge­n beim Selbstvers­uch.

Gibt es Gewinner bei diesem Spiel? Man sammelt Punkte – aber Gewinner sind alle: Die ganze Gruppe durch das, was sie erfährt, und natürlich die Umwelt und die Menschen.

Warum startet das Spiel ausgerechn­et in Heimenkirc­h?

Weil ich den Dritten Bürgermeis­ter Gerhard Kempter kenne. So ist der Kontakt zu Bürgermeis­ter Markus Reichart entstanden. In Heimenkirc­h ist die Idee auf fruchtbare­n Boden gefallen. Das Energietea­m übernimmt sogar die Teilnahmeg­ebühr. Das ist etwas Besonderes und zeigt, dass sich die Gemeinde intensiv mit dem Thema Nachhaltig­keit beschäftig­t.

Planen Sie nach dem Spiel „Enkeltaugl­ich leben“bereits weitere Aktionen in der Region?

Ja, wir wollen das Spiel auch in weiteren Gemeinden veranstalt­en und sind schon auf Bürgermeis­ter zugegangen. Auch möchten wir uns als Regionalgr­uppe gerne bald in einer Veranstalt­ung vorstellen und zur Gemeinwohl­ökonomie informiere­n. Das ist aber vor allem von unseren personelle­n Kapazitäte­n abhängig.

Der Kurs beginnt am 8. März im Sitzungssa­al des Rathauses Heimenkirc­h und setzt sich bis 9. August in monatliche­n Treffen (meist am zweiten Dienstag des Monats) fort. Dauer jeweils von 19 bis 21.30 Uhr. Anmeldunge­n nimmt die Gemeindeve­rwaltung per E-Mail entgegen:

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FOTO: WEIMANN Carmen Hügemann

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