Der größte anzunehmende Ernstfall
Russlands Drohung mit Atomwaffen beschwört Schreckensszenarien in Europa herauf
- Ein Atomkrieg ist das denkbar schlimmste Szenario, zu dem der aktuelle Konflikt zwischen Russland, der Ukraine und der Nato führen kann. Was das bedeuten würde.
Wo lagern die Atomwaffen?
Die USA haben ihre Nuklearwaffen auf eigenem Territorium, aber auch weltweit verteilt. Auf dem Boden europäischer Nato-Staaten lagern seit Mitte der Fünfziger-Jahre etwa 150 US-Atomsprengköpfe. Die genaue Zahl ist geheim. Sie befinden sich auf sechs Militärbasen: Büchel (Deutschland), Kleine-Brogel (Belgien), Volkel (Niederlande), Aviano und Ghedi (beide Italien) sowie Incirlik (Türkei). Hinzu kommen die 515 Atomwaffen Frankreichs und Großbritanniens. Die Bomben von Büchel sind Deutschlands Beteiligung an der nuklearen Abschreckung der Nato. Sollten sie zum Einsatz kommen, würden Kampfjets der Bundeswehr sie zum Ziel transportieren und abwerfen. Spitzenpolitiker aller drei Koalitionsparteien haben immer wieder Mal den Abzug dieser Bomben aus Deutschland gefordert. Diese Diskussion dürfte sich mit dem von Kanzler Olaf Scholz vollzogenen Paradigmenwechsel in der Außen- und Sicherheitspolitik aber erledigt haben.
Russland hat seine Atomraketen auf dem eigenen Territorium sowie auf U-Booten stationiert. Auch im benachbarten Belarus dürften nach der erfolgreichen Volksabstimmung am Wochenende künftig russische Nuklearwaffen stationiert werden.
Welche Reichweite haben russische Atomraketen?
Russland verfügt über Raketen aller Reichweiten. Die mit Atomsprengköpfen bestückbaren Langstreckenbomber lässt Putin schon seit Jahren immer wieder um den Erdball kreisen. Die Interkontinentalraketen fliegen über 10 000 Kilometer. Die Sarmat-Interkontinentalraketen (NATO-Codename: SS-X-30 Satan 2) haben 18 000 Kilometer Reichweite. Damit kann Russland sowohl über den Nord- als auch über den Südpol angreifen und Ziele weltweit erreichen.
Welche Alarmstufen gibt es?
Die genauen Abläufe bei einer möglichen militärischen Eskalation und die Alarmstufen werden von den Regierungen streng geheim gehalten. Auch der mögliche Ablauf im
Falle eines Angriffs, ein möglicher Vergeltungsschlag, ist topsecret.
Für wie wahrscheinlich halten Experten, dass die Lage eskaliert? Putins Befehl, die Abschreckungsstreitkräfte in erhöhte Alarmbereitschaft zu versetzen, werden von Beobachtern als Einschüchterung bewertet. „Es gibt keinen Automatismus zum Atomkrieg“, erklärt Claudia Major, Forschungsgruppenleiterin Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik.
„Putin hat mit der Übung mit atomar bestückbaren Raketen in der vergangenen Woche, seiner Drohung mit ‚Konsequenzen, die Sie in Ihrer Geschichte noch nie erlebt haben‘ und der Alarmbereitschaft ein dreifaches Signal gesendet.“Es könnte interpretiert werden als: „Haltet Euch aus dem Ukraine-Konflikt raus.“
Für die Nato antwortete im Gegenzug Frankreichs Außenminister Jean-Yves le Drian: „Ich glaube, Wladimir Putin muss verstehen, dass auch die Nato ein nukleares Bündnis ist.“Die USA kündigten an, vorerst keine Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Wer darf den Abschuss einer Atomrakete auslösen?
„Es gibt nicht den einen roten Knopf, den der russische Präsident drücken könnte“, erklärt Sicherheitsexpertin Claudia Major. Bei den beiden größten Atommächten Russland und USA müssen mehrere Personen zustimmen. In den anderen beiden westlichen Atomwaffenstaaten Frankreich und Großbritannien sei das ebenso geregelt.
Was passiert bei der Detonation einer Atombombe?
Nach der Zündung dauert es etwa zehn Sekunden, bis der Atompilz seine volle Ausdehnung erreicht hat. Zunächst kommt es zu einer gigantischen Druckwelle von mehreren Hundert Stundenkilometern, die für sehr viele Menschen tödlich ist. Die nach der Detonation über Tage herabrieselnden verseuchten Partikel lösen Krebserkrankungen aus. Die Atombombe von Hiroshima 1945 hatte eine Sprengkraft von 12 500 Tonnen TNT. Heutige Bomben können eine Sprengwirkung von bis zu 100 000 Tonnen entfalten. Die Sprengkraft lässt sich auf bis zu 300 Tonnen herunterregeln.
Wie würde im Falle einer Eskalation das Szenario aussehen? Forscher der Princeton University in den USA haben 2019, beunruhigt über das Auslaufen und die Aufkündigung von Abrüstungsverträgen, aufgrund der vorliegenden Bewaffnung eine Simulation erstellt, wie ein Nuklearkrieg in den ersten Stunden ablaufen würde. Ausgangspunkt ist allerdings ein derzeit unwahrscheinliches Szenario – ein Vormarsch von NatoTruppen auf die russische Grenze.
Die Wissenschaftler spielen in der Simualation mögliche Schritte durch. Würden die Nato-Verbündeten und Russland nicht vor den Konsequenzen zurückschrecken und bis zum Äußersten gehen, könnten demnach innerhalb von weniger als fünf Stunden große Teile Europas, der USA und Russlands ein Trümmerfeld mit 34,1 Millionen Toten und 57,4 Millionen Verletzten sein, Langzeitwirkungen durch die Strahlung nicht mitgerechnet.
Informationen, Analysen und Hintergründe zum Ukraine-Krieg: www.schwäbische.de/ukraine