Teure Aufrüstung mit Steuergeldern
Unternehmen der Branche profitieren vom drastisch steigenden Wehretat
- Als Antwort auf den Krieg in der Ukraine und die damit erschütterte Friedensordnung in Europa verfolgt Deutschland nun das Ziel einer eigenständig einsatzfähigen Bundeswehr. 100 Milliarden Euro will sich die Bundesregierung das in einem ersten Schritt kosten lassen. „Unser Ziel ist, dass wir im Laufe dieses Jahrzehnts eine der handlungsfähigsten, schlagkräftigsten Armeen in Europa bekommen, eine der am besten ausgerüsteten Armeen in Europa“, sagte Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner am Montag im ARDZDF-Morgenmagazin. Das entspreche der Bedeutung Deutschlands und seiner Verantwortung in Europa.
Das Geld soll über ein Sondervermögen bereitgestellt werden. Das hat nach Ansicht der Bundesregierung den Vorteil, dass es nicht innerhalb eines Jahres ausgegeben werden müsse, sondern auch darüber hinaus noch einsetzbar sei. Zudem hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigt, der Bund werde „von nun an – Jahr für Jahr – mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren“.
Allerdings ist diese Rechnung genau wegen des Geldes in Form eines Sondervermögens recht einfach. Denn derzeit liegen die Verteidigungsausgaben bei rund 1,5 Prozent. Um die zwei Prozent zu erreichen müssen die Verteidigungsausgaben in den kommenden Jahren um 20 bis 25 Milliarden Euro steigen. Mit den nun direkt zur Verfügung stehenden 100 Milliarden kommt die Bundesregierung theoretisch also gut über die laufende Legislaturperiode, denn der Betrag wird bei der Einhaltung der „Nato-Quote“von zwei Prozent mitgezählt. Dabei handelt es sich um Kreditermächtigungen. Der Bund nimmt also erst nach Bedarf viele neue Schulden auf und nicht sofort, auch wenn das angesichts der derzeitigen Negativzinsen sogar noch ein Geschäft wäre.
Die Grünen knüpfen die geplante Aufstockung der Verteidigungsausgaben unterdessen an Bedingungen. Zwar müsse darüber gesprochen werden, wie man das Militär gut ausstatten könne, sagte Parteichefin Ricarda Lang am Montag in Berlin. Dabei müsse aber auch darauf geachtet werden, „dass wir nicht nur mehr Geld in nicht funktionierende Strukturen pumpen“. So müsse etwa das Beschaffungswesen der Bundeswehr reformiert werden, gilt das doch als Musterbeispiel für unfähige Bürokratie.
Eine andere entscheidende Frage ist, wo das Geld herkommt. Denn immerhin entsprechen 100 Milliarden Euro fast einem Drittel des Bundeshaushaltes im Jahr 2019, also vor der Pandemie. „Wer die Schuldenbremse einhalten will, der muss sich schon sehr strecken“, sagte Ulrich Kater, der Chefvolkswirt der Deka Bank. Noch sei nicht klar abzusehen, woher die Finanzierung dieses Geldes komme. „Einsparungen in anderen Bereichen wären auch politisch teuer.“An sich allerdings sei die Finanzierung kein größeres Problem, weil Deutschland bislang besser als gedacht aus der Pandemie gekommen ist und die Verschuldung nicht allzu stark angestiegen sei.
Restriktionen durch die Schuldenbremse sehen Bundeskanzler Scholz und Lindner indes nicht. Denn die erlaubt „im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen“
zusätzliche Staatsschulden. Jetzt gehe es darum, die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands zu verbessern, also präventiv zu arbeiten und eine Notsituation gerade zu verhindern.
In Reaktion auf den Krieg in der Ukraine und die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland hatte zudem auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gefordert, Deutschland müsse unabhängiger werden von russischem Öl und Gas. Spätestens ab 2035 solle der Energiebedarf Deutschlands zum allergrößten Teil aus erneuerbaren Energien gedeckt sein. Doch auch das wird Geld kosten. „Die Mittel sind da, doch ich bezweifle, dass das innerhalb der Leitplanken der Schuldenbremse möglich sein wird.“
Noch direkter formuliert das der Chefvolkswirt der ING, Carsten Brzeski. „Ich gehe davon aus, dass wir durch die Zeitenwende in der Sicherheitspolitik
auch eine Zeitenwende in der Finanzpolitik bekommen werden“, sagte Brzeski der „Schwäbischen Zeitung“. „Die Schuldenbremse steht in den kommenden Jahren erst einmal nicht an, sie gehört der Vergangenheit an“. Denn mit den Sonderausgaben für die Bundeswehr sei der Finanzierungsbedarf im Zusammenhang mit den Russland-Sanktionen wahrscheinlich nicht zu Ende. Haushalte könnten vermehrt Hilfsgelder aufgrund der steigenden Energiepreise benötigen, Unternehmen Hilfen, um die Folgen der wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland halbwegs unbeschadet zu überstehen.
Allerdings werden die Gelder auch einen Schub geben – vor allem in der Rüstungsindustrie. So hat die Aussicht auf eine Aufrüstung des Westens, allen voran Deutschlands, heimischen Waffenproduzenten zu
Rekord-Kurssprüngen an der Börse verholfen. Die Rheinmetall-Aktie hat am Montag einen Rekord-Kurssprung von in der Spitze 49 Prozent gemacht. Mit 160 Euro notierten die Aktien des Herstellers des „Leopard 2“-Panzers so hoch wie noch nie. Auch Aktien des Rüstungselektronik-Anbieters Hensoldt kletterten zeitweise um 89 Prozent, ihr Wert hat sich aufgrund der Planungen also fast verdoppelt.
Spannend wird jedoch, wie schnell und effektiv das Verteidigungsministerium seine Beschaffung hochfahren kann. Das ist unter anderem eine Frage der Lieferfähigkeit der Hersteller. RheinmetallChef Armin Papperger hat der Bundesregierung schon einmal eine umfassende Lieferung von Rüstungsgütern angeboten. Das Paket, sagte Papperger dem „Handelsblatt“, könnte unter anderem Munition, Hubschrauber sowie Ketten- und Radpanzer umfassen und habe ein Volumen von 42 Milliarden Euro.
An der Lieferfähigkeit ließ der Manager keine Zweifel aufkommen. „In vielen Werken arbeiten wir im Einschichtbetrieb, wir können auch rund um die Uhr arbeiten“, sagte Papperger. Engpässe in den Lieferketten erwartet er auch bei einem steigenden Auftragsvolumen nicht. Sein Unternehmen habe sich vorbereitet und bereits Materialien und auch Halbleiter angeschafft. Allerdings erwartet der Rheinmetall-Chef nach eigenen Angaben nicht nur Aufträge von der Bundeswehr, sondern auch von anderen Ländern. Er habe bereits Anfragen aus einer Reihe von Nato-Ländern vor allem aus Osteuropa erhalten, sagte Papperger.
Russlands Invasion in die Ukraine habe das Marktumfeld für den europäischen Verteidigungssektor grundlegend verändert, schrieb JPMorgan-Analyst David Perry am Montag. So dürften die europäischen Verteidigungsausgaben in Zukunft viel höher ausfallen als bisher erwartet. Auch hinsichtlich der Nachhaltigkeitskriterien dürften jetzt mehr Investoren akzeptieren, dass „Verteidigung“notwendig sei, um Frieden und Demokratie zu bewahren.
Angesichts der geplanten zusätzlichen Ausgaben könnte Deutschland mit geschätzten 33,5 Milliarden Euro pro Jahr rund viermal so viel in die Ausrüstung der Bundeswehr stecken als bisher, rechnen die Analysten vom Investmenthaus Stifel vor. Da Rheinmetall der größte Lieferant der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr sei, dürften sich die Düsseldorfer einen bedeutenden Anteil der Summe sichern können.