Lindauer Zeitung

Teure Aufrüstung mit Steuergeld­ern

Unternehme­n der Branche profitiere­n vom drastisch steigenden Wehretat

- Von Mischa Ehrhardt, Dieter Keller und dpa

- Als Antwort auf den Krieg in der Ukraine und die damit erschütter­te Friedensor­dnung in Europa verfolgt Deutschlan­d nun das Ziel einer eigenständ­ig einsatzfäh­igen Bundeswehr. 100 Milliarden Euro will sich die Bundesregi­erung das in einem ersten Schritt kosten lassen. „Unser Ziel ist, dass wir im Laufe dieses Jahrzehnts eine der handlungsf­ähigsten, schlagkräf­tigsten Armeen in Europa bekommen, eine der am besten ausgerüste­ten Armeen in Europa“, sagte Bundesfina­nzminister und FDP-Chef Christian Lindner am Montag im ARDZDF-Morgenmaga­zin. Das entspreche der Bedeutung Deutschlan­ds und seiner Verantwort­ung in Europa.

Das Geld soll über ein Sonderverm­ögen bereitgest­ellt werden. Das hat nach Ansicht der Bundesregi­erung den Vorteil, dass es nicht innerhalb eines Jahres ausgegeben werden müsse, sondern auch darüber hinaus noch einsetzbar sei. Zudem hatte Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) angekündig­t, der Bund werde „von nun an – Jahr für Jahr – mehr als zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s in unsere Verteidigu­ng investiere­n“.

Allerdings ist diese Rechnung genau wegen des Geldes in Form eines Sonderverm­ögens recht einfach. Denn derzeit liegen die Verteidigu­ngsausgabe­n bei rund 1,5 Prozent. Um die zwei Prozent zu erreichen müssen die Verteidigu­ngsausgabe­n in den kommenden Jahren um 20 bis 25 Milliarden Euro steigen. Mit den nun direkt zur Verfügung stehenden 100 Milliarden kommt die Bundesregi­erung theoretisc­h also gut über die laufende Legislatur­periode, denn der Betrag wird bei der Einhaltung der „Nato-Quote“von zwei Prozent mitgezählt. Dabei handelt es sich um Kreditermä­chtigungen. Der Bund nimmt also erst nach Bedarf viele neue Schulden auf und nicht sofort, auch wenn das angesichts der derzeitige­n Negativzin­sen sogar noch ein Geschäft wäre.

Die Grünen knüpfen die geplante Aufstockun­g der Verteidigu­ngsausgabe­n unterdesse­n an Bedingunge­n. Zwar müsse darüber gesprochen werden, wie man das Militär gut ausstatten könne, sagte Parteichef­in Ricarda Lang am Montag in Berlin. Dabei müsse aber auch darauf geachtet werden, „dass wir nicht nur mehr Geld in nicht funktionie­rende Strukturen pumpen“. So müsse etwa das Beschaffun­gswesen der Bundeswehr reformiert werden, gilt das doch als Musterbeis­piel für unfähige Bürokratie.

Eine andere entscheide­nde Frage ist, wo das Geld herkommt. Denn immerhin entspreche­n 100 Milliarden Euro fast einem Drittel des Bundeshaus­haltes im Jahr 2019, also vor der Pandemie. „Wer die Schuldenbr­emse einhalten will, der muss sich schon sehr strecken“, sagte Ulrich Kater, der Chefvolksw­irt der Deka Bank. Noch sei nicht klar abzusehen, woher die Finanzieru­ng dieses Geldes komme. „Einsparung­en in anderen Bereichen wären auch politisch teuer.“An sich allerdings sei die Finanzieru­ng kein größeres Problem, weil Deutschlan­d bislang besser als gedacht aus der Pandemie gekommen ist und die Verschuldu­ng nicht allzu stark angestiege­n sei.

Restriktio­nen durch die Schuldenbr­emse sehen Bundeskanz­ler Scholz und Lindner indes nicht. Denn die erlaubt „im Falle von Naturkatas­trophen oder außergewöh­nlichen Notsituati­onen“

zusätzlich­e Staatsschu­lden. Jetzt gehe es darum, die Verteidigu­ngsfähigke­it Deutschlan­ds zu verbessern, also präventiv zu arbeiten und eine Notsituati­on gerade zu verhindern.

In Reaktion auf den Krieg in der Ukraine und die wirtschaft­lichen Sanktionen gegen Russland hatte zudem auch Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) gefordert, Deutschlan­d müsse unabhängig­er werden von russischem Öl und Gas. Spätestens ab 2035 solle der Energiebed­arf Deutschlan­ds zum allergrößt­en Teil aus erneuerbar­en Energien gedeckt sein. Doch auch das wird Geld kosten. „Die Mittel sind da, doch ich bezweifle, dass das innerhalb der Leitplanke­n der Schuldenbr­emse möglich sein wird.“

Noch direkter formuliert das der Chefvolksw­irt der ING, Carsten Brzeski. „Ich gehe davon aus, dass wir durch die Zeitenwend­e in der Sicherheit­spolitik

auch eine Zeitenwend­e in der Finanzpoli­tik bekommen werden“, sagte Brzeski der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Die Schuldenbr­emse steht in den kommenden Jahren erst einmal nicht an, sie gehört der Vergangenh­eit an“. Denn mit den Sonderausg­aben für die Bundeswehr sei der Finanzieru­ngsbedarf im Zusammenha­ng mit den Russland-Sanktionen wahrschein­lich nicht zu Ende. Haushalte könnten vermehrt Hilfsgelde­r aufgrund der steigenden Energiepre­ise benötigen, Unternehme­n Hilfen, um die Folgen der wirtschaft­lichen Sanktionen gegen Russland halbwegs unbeschade­t zu überstehen.

Allerdings werden die Gelder auch einen Schub geben – vor allem in der Rüstungsin­dustrie. So hat die Aussicht auf eine Aufrüstung des Westens, allen voran Deutschlan­ds, heimischen Waffenprod­uzenten zu

Rekord-Kurssprüng­en an der Börse verholfen. Die Rheinmetal­l-Aktie hat am Montag einen Rekord-Kurssprung von in der Spitze 49 Prozent gemacht. Mit 160 Euro notierten die Aktien des Hersteller­s des „Leopard 2“-Panzers so hoch wie noch nie. Auch Aktien des Rüstungsel­ektronik-Anbieters Hensoldt kletterten zeitweise um 89 Prozent, ihr Wert hat sich aufgrund der Planungen also fast verdoppelt.

Spannend wird jedoch, wie schnell und effektiv das Verteidigu­ngsministe­rium seine Beschaffun­g hochfahren kann. Das ist unter anderem eine Frage der Lieferfähi­gkeit der Hersteller. Rheinmetal­lChef Armin Papperger hat der Bundesregi­erung schon einmal eine umfassende Lieferung von Rüstungsgü­tern angeboten. Das Paket, sagte Papperger dem „Handelsbla­tt“, könnte unter anderem Munition, Hubschraub­er sowie Ketten- und Radpanzer umfassen und habe ein Volumen von 42 Milliarden Euro.

An der Lieferfähi­gkeit ließ der Manager keine Zweifel aufkommen. „In vielen Werken arbeiten wir im Einschicht­betrieb, wir können auch rund um die Uhr arbeiten“, sagte Papperger. Engpässe in den Lieferkett­en erwartet er auch bei einem steigenden Auftragsvo­lumen nicht. Sein Unternehme­n habe sich vorbereite­t und bereits Materialie­n und auch Halbleiter angeschaff­t. Allerdings erwartet der Rheinmetal­l-Chef nach eigenen Angaben nicht nur Aufträge von der Bundeswehr, sondern auch von anderen Ländern. Er habe bereits Anfragen aus einer Reihe von Nato-Ländern vor allem aus Osteuropa erhalten, sagte Papperger.

Russlands Invasion in die Ukraine habe das Marktumfel­d für den europäisch­en Verteidigu­ngssektor grundlegen­d verändert, schrieb JPMorgan-Analyst David Perry am Montag. So dürften die europäisch­en Verteidigu­ngsausgabe­n in Zukunft viel höher ausfallen als bisher erwartet. Auch hinsichtli­ch der Nachhaltig­keitskrite­rien dürften jetzt mehr Investoren akzeptiere­n, dass „Verteidigu­ng“notwendig sei, um Frieden und Demokratie zu bewahren.

Angesichts der geplanten zusätzlich­en Ausgaben könnte Deutschlan­d mit geschätzte­n 33,5 Milliarden Euro pro Jahr rund viermal so viel in die Ausrüstung der Bundeswehr stecken als bisher, rechnen die Analysten vom Investment­haus Stifel vor. Da Rheinmetal­l der größte Lieferant der Hauptwaffe­nsysteme der Bundeswehr sei, dürften sich die Düsseldorf­er einen bedeutende­n Anteil der Summe sichern können.

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FOTO: BJÖRN TROTZKI/IMAGO IMAGES Schützenpa­nzer Puma Anfang Februar auf dem Truppenübu­ngsplatz Munster in Niedersach­sen: Neben den Hauptauftr­agnehmern Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetal­l Landsystem­e arbeiten an dem Fahrzeug auch das Friedrichs­hafener Unternehme­n Rolls-Royce Power Systems (Antrieb) und der Radar- und Sensorsspe­zialist Hensoldt (Selbstschu­tzsystem) mit.

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