Wie Lindauer an der ukrainischen Grenze helfen
Bodolzer Dorfstüble kocht 3000 Essen für Geflüchtete – Ukrainer aus Lindau nehmen Angehörige auf
- Der Krieg in der Ukraine bewegt auch im Kreis Lindau viele Menschen. Ukrainer, die hier leben, sind an die ukrainische Grenze gefahren, um dort Angehörige abzuholen, die aus ihrer Heimat geflüchtet sind. Doch es helfen auch Menschen, die keine Verwandten in Osteuropa haben.
Einer davon ist Ralf Eisenhut, der Wirt des Bodolzer Dorfstübles. Zusammen mit seinem Koch Damiano Maugeri ist er unterwegs an die ungarisch-ukrainische Grenze. In den weißen Transporter mit der Aufschrift „Catering“haben sie Essen für rund 3000 Menschen geladen: Gulasch, Gulaschsuppe, Gemüsesuppe und Semmelknödel. Außerdem haben sie bei einer ungarischen Bäckerei in der Nähe der Grenze noch 200 Kilogramm Brot bestellt. Das wollen sie an der Grenze an Geflüchtete ausgeben.
Die Idee hatte Ralf Eisenhut am Samstagmorgen. „Ich habe die Nachrichten gesehen und mich gefragt, was ich tun kann. Zehn Minuten später stand mein Entschluss fest“, sagt er. Also begann er Lebensmittel zu organisieren. Zwei Tage lang wurde im Dorfstüble geschnibbelt und gekocht. Angestellte und Freunde unterstützten den Wirt, besonders auch sein Küchenchef Mohammad Alhallak, der vor sieben Jahren aus Syrien geflüchtet ist.
„Es ist unglaublich schön, wie viel Solidarität und Unterstützung ich kriege“, sagt er. So habe er von seinem Händler gutes Fleisch zu einem günstigen Preis bekommen, für die sechs Gasflaschen habe er nur das Pfand zahlen müssen. Hilfe sei vom Gemüsehändler und von anderen Gastronomen wie dem Schachener Hof gekommen. Gäste hätten Spritgeld gespendet, aber auch Wildfremde seien vor seinem Haus gestanden, um ihm für die Fahrt Geld zu geben. Eine Firma habe ihnen am Sonntagabend noch ein Stromaggregat und mehrere Kisten Äpfel mitgegeben.
Am Montagmorgen um 6.30 Uhr fuhren Ralf Eisenhut und Damiano Maugeri los. „Wir wollen heute bis nach Budapest fahren“, sagt Ralf Eisenhut, als die Lindauer Zeitung ihn gegen Mittag erreicht. Zu diesem Zeitpunkt ist der Transporter aus Bodolz bei Wien. Am Dienstag wollen die beiden Männer weiter an die ukrainische Grenze fahren. Wie der Grenzübergang heißt, weiß Eisenhut nicht. Nur soviel: „Das sind von Budapest aus nochmal circa 400 Kilometer.“
Vor Ort wollen Eisenhut und Maugeri ihre Gaskocher aufbauen, das Essen aufwärmen und den Menschen geben, die über die Grenze kommen. „Wir wissen nicht, wie lange es dauert, aber ich will bleiben, bis der letzte Topf ausgekratzt ist“, sagt Eisenhut, der über ein Video-Tagebuch
bei Facebook Einblick in die Aktion geben möchte. mOlena Schelle ist bereits zurück von der ukrainischen Grenze. Die Ukrainerin lebt seit 25 Jahren in Lindau und hat sich am Freitagnachmittag zusammen mit Tetyana Schiattarella mit dem Auto auf den Weg an die polnisch-ukrainische Grenze gemacht. Dort holte sie ihre Patentochter und deren zweieinhalbjährigen Sohn ab. In der Nacht auf Montag kamen die Frauen wieder in Lindau an – mit der Patentochter und ihrem Kind. „Wir sind müde, aber es hat alles gut geklappt“, sagt Olena Schelle.
15 Stunden dauerte die Fahrt an die Grenze zwischen Polen und der Ukraine. Sie kamen am Samstagmorgen gegen 9 Uhr an. Doch bis sie die Patentochter und ihr Kind sehen konnten, mussten sie den ganzen Tag warten. „Es war 12 Uhr in der Nacht, als sie über die Grenze gekommen sind“, berichtet Schelle.
Dort seien sehr viele Menschen gewesen – und zwar auf beiden Seiten der Grenze. Ob sie mit dem Auto, mit dem Bus oder zu Fuß gekommen sind, auf der ukrainischen Seite hätten die Menschen viele Stunden warten müssen, bis sie die Grenze passieren konnten. Zu diesem Zeitpunkt waren Olena Schelles Patentochter und ihr Sohn schon lange unterwegs. Sie seien am Freitag um 6 Uhr in der Früh aus einer Stadt in der Nähe von Kiew in Richtung Polen aufgebrochen. „Der Vater einer Nachbarin, ein älterer Mann, hat sie mit dem Auto an die Grenze gefahren“, berichtet Olena Schelle.
Während sie in Polen wartete, konnte sie das Geschehen am Grenzübergang beobachten. Auf der polnischen Seite hätten viele Menschen gewartet, um den Geflüchteten mit dem Gepäck zu helfen, um ihnen Essen und Trinken zu geben, um ihnen
Decken und SIM-Karten und Guthaben zu schenken, damit sie telefonieren können. „Ukrainische Karten funktionieren in der EU nicht“, erläutert sie.
Viele Polen seien mit ihren Autos gekommen, um den Geflüchteten ihre Fahrdienste anzubieten, aber auch viele Ukrainer, die in der EU leben. „Sie bieten einfach jedem ihre Hilfe an, kostenlos“, beschreibt sie ihre Eindrücke. An den Autokennzeichen konnte sie sehen, dass viele Helferinnen und Helfer einen weiten Weg auf sich genommen haben, um den Geflüchteten zu helfen. Es seien zum Beispiel Autos aus Frankreich, Italien und Finnland dabei gewesen.
Auch Familie Doroskev aus Lindenberg hat Verwandte aufgenommen. „Die Grenzen sind überfüllt“, berichtet Roman Doroskev, der eine Cousine seiner Frau und deren beide Kinder in der ungarischen Hauptstadt Budapest abgeholt hat. Bis dahin seien sie mit einem Bus gefahren. „Wir machen alles, was wir können und hoffen, dass es hilft“, sagt seine Frau Vanda Doroskeva.
Ihre Cousine und die beiden Kinder seien jetzt in Sicherheit, als nächstes stehe der Gang zur Ausländerbehörde an. Wenn Vanda Doroskeva von den Sorgen um ihre Tochter, ihren Enkel und ihre Schwiegereltern berichtet, fehlen ihr manchmal die Worte. Sie und ihr Mann stammen aus einer Stadt 100 Kilometer vom Schwarzen Meer entfernt, immer wieder fielen dort Schüsse und Bomben, russische Panzer und Flugzeuge seien unterwegs. Zum Glück sei die Internetverbindung stabil, sodass sie über Skype oder Whatsapp ständig Kontakt zu ihrer Familie halten könne.
Wie viele Ukrainer schon in den Landkreis Lindau geflüchtet sind, weiß niemand. Im Landratsamt wurde von der Führungsgruppe Katastrophenfall, die aufgrund der Corona-Pandemie ohnehin im Einsatz ist, bereits am Donnerstag ein Bereitschaftsdienst eingerichtet. „Anrufe gingen jedoch nicht ein“, teilt das Landratsamt mit. „Wir wissen, dass bereits Flüchtlinge hier im Landkreis von Verwandten oder Freunden aufgenommen worden sind. Uns ist jedoch nicht bekannt, um wie viele Flüchtlinge es sich handelt“, sagt Pressesprecherin Sibylle Ehreiser. Vonseiten der Regierung von Schwaben, die die Verteilung von Geflüchteten koordiniere, habe das Landratsamt noch keine Zuweisungen erhalten.
Aktuell habe der Landkreis Lindau in seinen dezentralen Unterkünften noch Kapazitäten im hohen zweistelligen Bereich. Optionen für kurzfristige Notunterkünfte würden aktuell geprüft. Auch erste Gemeinden und Privatpersonen hätten bereits ihre Unterstützung zugesagt. „Ich danke allen für die großartige Hilfsbereitschaft. Noch ist unklar, wie viele Menschen tatsächlich zu uns kommen, daher sammeln wir derzeit die Wohnungsangebote und greifen dann bei Bedarf darauf zurück“, wird Landrat Elmar Stegmann (CSU) in einer Pressemitteilung zitiert. Unabhängig von der aktuellen Situation habe das Landratsamt bereits Anfang des Jahres die Kapazitäten erweitert, da man 2022 mit steigenden Flüchtlingszahlen rechne.