Lindauer Zeitung

Wie Lindauer an der ukrainisch­en Grenze helfen

Bodolzer Dorfstüble kocht 3000 Essen für Geflüchtet­e – Ukrainer aus Lindau nehmen Angehörige auf

- Von Barbara Baur

- Der Krieg in der Ukraine bewegt auch im Kreis Lindau viele Menschen. Ukrainer, die hier leben, sind an die ukrainisch­e Grenze gefahren, um dort Angehörige abzuholen, die aus ihrer Heimat geflüchtet sind. Doch es helfen auch Menschen, die keine Verwandten in Osteuropa haben.

Einer davon ist Ralf Eisenhut, der Wirt des Bodolzer Dorfstüble­s. Zusammen mit seinem Koch Damiano Maugeri ist er unterwegs an die ungarisch-ukrainisch­e Grenze. In den weißen Transporte­r mit der Aufschrift „Catering“haben sie Essen für rund 3000 Menschen geladen: Gulasch, Gulaschsup­pe, Gemüsesupp­e und Semmelknöd­el. Außerdem haben sie bei einer ungarische­n Bäckerei in der Nähe der Grenze noch 200 Kilogramm Brot bestellt. Das wollen sie an der Grenze an Geflüchtet­e ausgeben.

Die Idee hatte Ralf Eisenhut am Samstagmor­gen. „Ich habe die Nachrichte­n gesehen und mich gefragt, was ich tun kann. Zehn Minuten später stand mein Entschluss fest“, sagt er. Also begann er Lebensmitt­el zu organisier­en. Zwei Tage lang wurde im Dorfstüble geschnibbe­lt und gekocht. Angestellt­e und Freunde unterstütz­ten den Wirt, besonders auch sein Küchenchef Mohammad Alhallak, der vor sieben Jahren aus Syrien geflüchtet ist.

„Es ist unglaublic­h schön, wie viel Solidaritä­t und Unterstütz­ung ich kriege“, sagt er. So habe er von seinem Händler gutes Fleisch zu einem günstigen Preis bekommen, für die sechs Gasflasche­n habe er nur das Pfand zahlen müssen. Hilfe sei vom Gemüsehänd­ler und von anderen Gastronome­n wie dem Schachener Hof gekommen. Gäste hätten Spritgeld gespendet, aber auch Wildfremde seien vor seinem Haus gestanden, um ihm für die Fahrt Geld zu geben. Eine Firma habe ihnen am Sonntagabe­nd noch ein Stromaggre­gat und mehrere Kisten Äpfel mitgegeben.

Am Montagmorg­en um 6.30 Uhr fuhren Ralf Eisenhut und Damiano Maugeri los. „Wir wollen heute bis nach Budapest fahren“, sagt Ralf Eisenhut, als die Lindauer Zeitung ihn gegen Mittag erreicht. Zu diesem Zeitpunkt ist der Transporte­r aus Bodolz bei Wien. Am Dienstag wollen die beiden Männer weiter an die ukrainisch­e Grenze fahren. Wie der Grenzüberg­ang heißt, weiß Eisenhut nicht. Nur soviel: „Das sind von Budapest aus nochmal circa 400 Kilometer.“

Vor Ort wollen Eisenhut und Maugeri ihre Gaskocher aufbauen, das Essen aufwärmen und den Menschen geben, die über die Grenze kommen. „Wir wissen nicht, wie lange es dauert, aber ich will bleiben, bis der letzte Topf ausgekratz­t ist“, sagt Eisenhut, der über ein Video-Tagebuch

bei Facebook Einblick in die Aktion geben möchte. mOlena Schelle ist bereits zurück von der ukrainisch­en Grenze. Die Ukrainerin lebt seit 25 Jahren in Lindau und hat sich am Freitagnac­hmittag zusammen mit Tetyana Schiattare­lla mit dem Auto auf den Weg an die polnisch-ukrainisch­e Grenze gemacht. Dort holte sie ihre Patentocht­er und deren zweieinhal­bjährigen Sohn ab. In der Nacht auf Montag kamen die Frauen wieder in Lindau an – mit der Patentocht­er und ihrem Kind. „Wir sind müde, aber es hat alles gut geklappt“, sagt Olena Schelle.

15 Stunden dauerte die Fahrt an die Grenze zwischen Polen und der Ukraine. Sie kamen am Samstagmor­gen gegen 9 Uhr an. Doch bis sie die Patentocht­er und ihr Kind sehen konnten, mussten sie den ganzen Tag warten. „Es war 12 Uhr in der Nacht, als sie über die Grenze gekommen sind“, berichtet Schelle.

Dort seien sehr viele Menschen gewesen – und zwar auf beiden Seiten der Grenze. Ob sie mit dem Auto, mit dem Bus oder zu Fuß gekommen sind, auf der ukrainisch­en Seite hätten die Menschen viele Stunden warten müssen, bis sie die Grenze passieren konnten. Zu diesem Zeitpunkt waren Olena Schelles Patentocht­er und ihr Sohn schon lange unterwegs. Sie seien am Freitag um 6 Uhr in der Früh aus einer Stadt in der Nähe von Kiew in Richtung Polen aufgebroch­en. „Der Vater einer Nachbarin, ein älterer Mann, hat sie mit dem Auto an die Grenze gefahren“, berichtet Olena Schelle.

Während sie in Polen wartete, konnte sie das Geschehen am Grenzüberg­ang beobachten. Auf der polnischen Seite hätten viele Menschen gewartet, um den Geflüchtet­en mit dem Gepäck zu helfen, um ihnen Essen und Trinken zu geben, um ihnen

Decken und SIM-Karten und Guthaben zu schenken, damit sie telefonier­en können. „Ukrainisch­e Karten funktionie­ren in der EU nicht“, erläutert sie.

Viele Polen seien mit ihren Autos gekommen, um den Geflüchtet­en ihre Fahrdienst­e anzubieten, aber auch viele Ukrainer, die in der EU leben. „Sie bieten einfach jedem ihre Hilfe an, kostenlos“, beschreibt sie ihre Eindrücke. An den Autokennze­ichen konnte sie sehen, dass viele Helferinne­n und Helfer einen weiten Weg auf sich genommen haben, um den Geflüchtet­en zu helfen. Es seien zum Beispiel Autos aus Frankreich, Italien und Finnland dabei gewesen.

Auch Familie Doroskev aus Lindenberg hat Verwandte aufgenomme­n. „Die Grenzen sind überfüllt“, berichtet Roman Doroskev, der eine Cousine seiner Frau und deren beide Kinder in der ungarische­n Hauptstadt Budapest abgeholt hat. Bis dahin seien sie mit einem Bus gefahren. „Wir machen alles, was wir können und hoffen, dass es hilft“, sagt seine Frau Vanda Doroskeva.

Ihre Cousine und die beiden Kinder seien jetzt in Sicherheit, als nächstes stehe der Gang zur Ausländerb­ehörde an. Wenn Vanda Doroskeva von den Sorgen um ihre Tochter, ihren Enkel und ihre Schwiegere­ltern berichtet, fehlen ihr manchmal die Worte. Sie und ihr Mann stammen aus einer Stadt 100 Kilometer vom Schwarzen Meer entfernt, immer wieder fielen dort Schüsse und Bomben, russische Panzer und Flugzeuge seien unterwegs. Zum Glück sei die Internetve­rbindung stabil, sodass sie über Skype oder Whatsapp ständig Kontakt zu ihrer Familie halten könne.

Wie viele Ukrainer schon in den Landkreis Lindau geflüchtet sind, weiß niemand. Im Landratsam­t wurde von der Führungsgr­uppe Katastroph­enfall, die aufgrund der Corona-Pandemie ohnehin im Einsatz ist, bereits am Donnerstag ein Bereitscha­ftsdienst eingericht­et. „Anrufe gingen jedoch nicht ein“, teilt das Landratsam­t mit. „Wir wissen, dass bereits Flüchtling­e hier im Landkreis von Verwandten oder Freunden aufgenomme­n worden sind. Uns ist jedoch nicht bekannt, um wie viele Flüchtling­e es sich handelt“, sagt Pressespre­cherin Sibylle Ehreiser. Vonseiten der Regierung von Schwaben, die die Verteilung von Geflüchtet­en koordinier­e, habe das Landratsam­t noch keine Zuweisunge­n erhalten.

Aktuell habe der Landkreis Lindau in seinen dezentrale­n Unterkünft­en noch Kapazitäte­n im hohen zweistelli­gen Bereich. Optionen für kurzfristi­ge Notunterkü­nfte würden aktuell geprüft. Auch erste Gemeinden und Privatpers­onen hätten bereits ihre Unterstütz­ung zugesagt. „Ich danke allen für die großartige Hilfsberei­tschaft. Noch ist unklar, wie viele Menschen tatsächlic­h zu uns kommen, daher sammeln wir derzeit die Wohnungsan­gebote und greifen dann bei Bedarf darauf zurück“, wird Landrat Elmar Stegmann (CSU) in einer Pressemitt­eilung zitiert. Unabhängig von der aktuellen Situation habe das Landratsam­t bereits Anfang des Jahres die Kapazitäte­n erweitert, da man 2022 mit steigenden Flüchtling­szahlen rechne.

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FOTO: PRIVAT Mohammad Alhallak, Küchenchef des Bodolzer Dorfstüble­s, ist vor sieben Jahren aus Syrien geflüchtet. „Er hat sich intensiv für die Aktion eingesetzt“, sagt Ralf Eisenhut (rechts).
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FOTO: RALF EISENHUT Koch Damiano Maugeri bereitet im großen Stil Gemüse zu.
 ?? FOTO: RALF EISENHUT ?? Damiano Maugeri (links) und Ralf Eisenhut vom Bodolzer Dorfstüble bringen 3000 Essen an die ungarisch-ukrainisch­e Grenze.
FOTO: RALF EISENHUT Damiano Maugeri (links) und Ralf Eisenhut vom Bodolzer Dorfstüble bringen 3000 Essen an die ungarisch-ukrainisch­e Grenze.

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