Russland verschärft seine Angriffe
Heftige Kämpfe um die großen Städte der Ukraine – Flüchtlingszahlen steigen schnell
(dpa) - Trotz der internationalen Appelle für ein Ende des Kriegs hat Russland seine Angriffe auf die Ukraine verschärft. Aus dem Zentrum der zweitgrößten Stadt Charkiw wurde am Dienstag eine gewaltige Explosion gemeldet, auf die Hauptstadt Kiew bewegte sich ein riesiger Militärkonvoi von wohl mehr als 60 Kilometern Länge zu. Die russischen Angriffe konzentrierten sich am Tag sechs des Einmarsches weiter auf die großen Städte, die nach Darstellung des ukrainischen Außenministeriums jetzt mit Raketen beschossen werden. Das ukrainische Außenministerium veröffentlichte bei Twitter ein Video, das einen Raketeneinschlag direkt auf dem zentralen Freiheitsplatz in Charkiw zeigt. „Russland führt Krieg unter Verletzung des humanitären Völkerrechts“, twitterte das Außenministerium in Kiew. Moskau weist den Vorwurf zurück.
Das Verteidigungsministerium in Moskau teilte der Agentur Interfax zufolge mit, die Informationsinfrastruktur des ukrainischen Geheimdienstes in Kiew angreifen zu wollen. So sollten „Informationsangriffe“gegen Russland zerschlagen werden. Die Bevölkerung, die in der Nähe der genannten Einrichtungen lebe, wurde aufgerufen, ihre Häuser zu verlassen. Die ukrainische Regierung beschuldigt Russland, Zivilisten zu töten und zivile Infrastruktur zu zerstören. Charkiws Bürgermeister Ihor Terechow sagte der Agentur Ukrinform zufolge, das russische Militär sprenge Umspannwerke. Unabhängig überprüfen lassen sich die Informationen nicht.
Als sicher gilt, dass die russischen Truppen ihren Vormarsch auf Kiew fortsetzen. Satellitenbilder aus der
Nacht zum Dienstag zeigten einen gewaltigen Konvoi aus Panzern und anderen Militärfahrzeugen. US-Verteidigungskreisen zufolge will das russische Militär die Hauptstadt trotz des starken ukrainischen Widerstandes einnehmen. Experten gehen davon aus, dass mit dem Angriff auf Kiew und nach den Verlusten Russlands in den ersten Tagen in dem Krieg eine neue Stufe der Gewalt und Zerstörung erreicht wird.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verlangte in einem emotionalen Appell an das Europaparlament die Aufnahme seines Landes in die Europäische Union. „Wir kämpfen für unsere Rechte, für unsere Freiheit, für unser Leben. Und nun kämpfen wir ums Überleben“, sagte Selenskyj in einer Sondersitzung des Parlaments in einer Videobotschaft.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow warf der Ukraine eine Bedrohung der internationalen Sicherheit vor. Die Regierung in Kiew wolle eigene Atomwaffen, sagte Lawrow per Video vor der Ständigen Abrüstungskonferenz in Genf. Auf dem ukrainischen Territorium befänden sich noch sowjetische Nukleartechnologie und die Mittel, so bestückte Waffen abzuschießen, sagte Lawrow der UN-Übersetzung zufolge.
Seit dem Angriff sind nach UNAngaben bereits 677 000 Menschen geflüchtet. Die Hälfte sei in Polen angekommen, erklärte Filippo Grandi, UN-Hochkommissar für Flüchtlinge. 90 000 haben in Ungarn und Tausende in anderen Ländern wie Moldau, Slowakei und Rumänien Zuflucht gesucht. Innerhalb von 24 Stunden sei die Zahl um 150 000 gestiegen.
Auch in Deutschland treffen immer mehr Menschen aus der Ukraine ein. Bis Dienstagmorgen hat die Bundespolizei nach Angaben des Innenministeriums die Einreise von 3063 Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine festgestellt.