Rufe nach einer neuen Dienstpflicht
Die Bundeswehr braucht nicht nur Geld, sondern auch Personal
- Zwei Sätze des Bundeskanzlers führten am Sonntag zu einem Ruck, der durch die Fraktionen ging. „Wir werden ein Sondervermögen Bundeswehr einrichten, und ich bin Bundesfinanzminister Lindner sehr dankbar für seine Unterstützung dabei“, sagte Olaf Scholz (SPD) bei der Sondersitzung des Bundestags. Darauf folgte die Aussage: „Der Bundeshaushalt 2022 wird dieses Sondervermögen einmalig mit 100 Milliarden Euro unterstützen.“
100 Milliarden Euro – eine Menge Geld. Was damit konkret verwirklicht werden soll, ist noch offen. Klar ist aber bereits: Während sich Ausrüstung und Geräte kaufen lassen, ist Personal allein mit Geld kaum zu rekrutieren. Doch die Bundeswehr braucht mehr Soldatinnen und Soldaten, wenn sie ihre Personalziele erreichen will. Das befeuert die politische Debatte über eine allgemeine Dienstpflicht in Deutschland. Politiker verschiedener Parteien haben sich für die Idee ausgesprochen, junge Menschen nach der Schule für ein „Gesellschaftsjahr“zu verpflichten.
Die Zahlen machen den Personalmangel deutlich: Nach den Plänen der früheren Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sollten der Bundeswehr im Jahr 2025 mehr als 203 000 Soldaten dienen – im Oktober 2019 waren es nach eigenen Angaben 182 000 Soldaten – Reservedienstleistende und freiwillige Wehrdienstleistende inklusive. Seit dem Ende des Kalten Krieges waren die deutschen Truppen stetig verkleinert worden, bis zu einem Tiefpunkt im Jahr 2016.
In einer Welt des scheinbaren Friedens schienen kostspielige Investitionen in die Verteidigungsfähigkeit des Landes obsolet zu sein, zumal sich Deutschland ausreichend als Teil der Nato geschützt fühlte – und das Geld infolge der Finanzkrise ohnehin knapp war. 2011 folgte dann der größte Einschnitt in der Geschichte der Bundeswehr seit 1956, als unter dem damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) die Wehrpflicht abgeschafft wurde. Kommt jetzt die Rolle rückwärts?
Von einer Wehrpflicht im engeren Sinne ist auch in der aktuellen Debatte nicht die Rede – vielmehr geht es um einen verpflichtenden Dienst, den junge Menschen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen absolvieren könnten. „Ein solcher Dienst würde sich nicht auf die Bundeswehr beschränken, sondern auch den Pflege- und Sozialbereich sowie THW, Feuerwehr oder Vereine berücksichtigen“, sagte der stellvertretende CDU-Vorsitzende Carsten Linnemann der „Bild“-Zeitung. Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Johann Wadephul sekundierte in der „Welt“seinem Parteikollegen. Wenn diese Dienste finanziell attraktiv gemacht würden und konkrete Vorteile beispielsweise bei der Rente brächten, „haben wir die Chance, sehr viel mehr Personal anzuwerben“, sagte der CDU-Politiker.
Dass die Union ein Faible für eine allgemeine Dienstpflicht hat, ist nicht neu. Auch die frühere Verteidigungsministerin und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte 2019 für die Idee geworben, junge Menschen nach ihrer Schulzeit zu einem einjährigen Einsatz in gemeinnützigen Bereichen zu verpflichten. Ihr Vorstoß war – auch in den eigenen Reihen – auf Vorbehalte gestoßen, zumal es dafür wohl eine Grundgesetzänderung und somit eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag
bräuchte. Knapp ein Jahr später sagte die noch neue Wehrbeauftragte, die SPD-Politikerin Eva Högl, die Aussetzung der Wehrpflicht sei ein Fehler gewesen, bekam dafür aber ebenfalls wenig Rückendeckung aus der eigenen Partei und vom CDU-geführten Verteidigungsministerium.
Inzwischen haben sich die Machtverhältnisse geändert – und mit Blick auf den Russland-Ukraine-Krieg auch scheinbar zementierte Positionen in der Außen- und Verteidigungspolitik. Doch bei der Wehrpflicht bleiben die Sozialdemokraten bei ihrer Haltung. „Ich glaube nicht, dass die Wehrpflicht uns gerade in der aktuellen Diskussion jetzt wirklich weiterhilft“, sagte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) in der ARD. Auch Högl sprach in der „Welt“von einer „theoretischen Diskussion“. Es gebe im politischen Berlin zurzeit keine Chance, das zurückzuholen.
Doch wie reagieren diejenigen darauf, die von einer allgemeinen Dienstpflicht profitieren könnten?
Der Deutsche Bundeswehrverband und das Technische Hilfswerk (THW) ließen die Anfrage danach unbeantwortet. Vertreter der Pflegeberufe beziehen hingegen klar Position. „Wir halten nichts von diesem Vorschlag“, sagt Günter Isemeyer, Sprecher im Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. In der Pflege fehlten 100 000 Pflegefachkräfte, „um eine bedarfsgerechte Versorgung der Patienten sicherzustellen“. Junge Menschen, die mit Zwang zum Dienst verpflichtet würden, seien keine Lösung für diese Probleme, so Isemeyer.
Auch der Deutsche Bundesverband für Pflegeberufe lehnt die Idee ab. „Aus unserer Sicht spricht vor allem dagegen, dass dies ein weiterer Versuch wäre, ,unqualifizierte Hände‘ in die Pflege zu bringen“, teilt Bernadette Klapper, Bundesgeschäftsführerin des Verbands, mit. Solche Ansätze lenkten nur davon ab, „zielführende Maßnahmen zu ergreifen, die Pflegeberufe attraktiver zu machen“.