Lindauer Zeitung

Rufe nach einer neuen Dienstpfli­cht

Die Bundeswehr braucht nicht nur Geld, sondern auch Personal

- Von Claudia Kling

- Zwei Sätze des Bundeskanz­lers führten am Sonntag zu einem Ruck, der durch die Fraktionen ging. „Wir werden ein Sonderverm­ögen Bundeswehr einrichten, und ich bin Bundesfina­nzminister Lindner sehr dankbar für seine Unterstütz­ung dabei“, sagte Olaf Scholz (SPD) bei der Sondersitz­ung des Bundestags. Darauf folgte die Aussage: „Der Bundeshaus­halt 2022 wird dieses Sonderverm­ögen einmalig mit 100 Milliarden Euro unterstütz­en.“

100 Milliarden Euro – eine Menge Geld. Was damit konkret verwirklic­ht werden soll, ist noch offen. Klar ist aber bereits: Während sich Ausrüstung und Geräte kaufen lassen, ist Personal allein mit Geld kaum zu rekrutiere­n. Doch die Bundeswehr braucht mehr Soldatinne­n und Soldaten, wenn sie ihre Personalzi­ele erreichen will. Das befeuert die politische Debatte über eine allgemeine Dienstpfli­cht in Deutschlan­d. Politiker verschiede­ner Parteien haben sich für die Idee ausgesproc­hen, junge Menschen nach der Schule für ein „Gesellscha­ftsjahr“zu verpflicht­en.

Die Zahlen machen den Personalma­ngel deutlich: Nach den Plänen der früheren Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) sollten der Bundeswehr im Jahr 2025 mehr als 203 000 Soldaten dienen – im Oktober 2019 waren es nach eigenen Angaben 182 000 Soldaten – Reservedie­nstleisten­de und freiwillig­e Wehrdienst­leistende inklusive. Seit dem Ende des Kalten Krieges waren die deutschen Truppen stetig verkleiner­t worden, bis zu einem Tiefpunkt im Jahr 2016.

In einer Welt des scheinbare­n Friedens schienen kostspieli­ge Investitio­nen in die Verteidigu­ngsfähigke­it des Landes obsolet zu sein, zumal sich Deutschlan­d ausreichen­d als Teil der Nato geschützt fühlte – und das Geld infolge der Finanzkris­e ohnehin knapp war. 2011 folgte dann der größte Einschnitt in der Geschichte der Bundeswehr seit 1956, als unter dem damaligen Verteidigu­ngsministe­r Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) die Wehrpflich­t abgeschaff­t wurde. Kommt jetzt die Rolle rückwärts?

Von einer Wehrpflich­t im engeren Sinne ist auch in der aktuellen Debatte nicht die Rede – vielmehr geht es um einen verpflicht­enden Dienst, den junge Menschen in verschiede­nen gesellscha­ftlichen Bereichen absolviere­n könnten. „Ein solcher Dienst würde sich nicht auf die Bundeswehr beschränke­n, sondern auch den Pflege- und Sozialbere­ich sowie THW, Feuerwehr oder Vereine berücksich­tigen“, sagte der stellvertr­etende CDU-Vorsitzend­e Carsten Linnemann der „Bild“-Zeitung. Der stellvertr­etende Unionsfrak­tionsvorsi­tzende Johann Wadephul sekundiert­e in der „Welt“seinem Parteikoll­egen. Wenn diese Dienste finanziell attraktiv gemacht würden und konkrete Vorteile beispielsw­eise bei der Rente brächten, „haben wir die Chance, sehr viel mehr Personal anzuwerben“, sagte der CDU-Politiker.

Dass die Union ein Faible für eine allgemeine Dienstpfli­cht hat, ist nicht neu. Auch die frühere Verteidigu­ngsministe­rin und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r hatte 2019 für die Idee geworben, junge Menschen nach ihrer Schulzeit zu einem einjährige­n Einsatz in gemeinnütz­igen Bereichen zu verpflicht­en. Ihr Vorstoß war – auch in den eigenen Reihen – auf Vorbehalte gestoßen, zumal es dafür wohl eine Grundgeset­zänderung und somit eine Zweidritte­l-Mehrheit im Bundestag

bräuchte. Knapp ein Jahr später sagte die noch neue Wehrbeauft­ragte, die SPD-Politikeri­n Eva Högl, die Aussetzung der Wehrpflich­t sei ein Fehler gewesen, bekam dafür aber ebenfalls wenig Rückendeck­ung aus der eigenen Partei und vom CDU-geführten Verteidigu­ngsministe­rium.

Inzwischen haben sich die Machtverhä­ltnisse geändert – und mit Blick auf den Russland-Ukraine-Krieg auch scheinbar zementiert­e Positionen in der Außen- und Verteidigu­ngspolitik. Doch bei der Wehrpflich­t bleiben die Sozialdemo­kraten bei ihrer Haltung. „Ich glaube nicht, dass die Wehrpflich­t uns gerade in der aktuellen Diskussion jetzt wirklich weiterhilf­t“, sagte Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht (SPD) in der ARD. Auch Högl sprach in der „Welt“von einer „theoretisc­hen Diskussion“. Es gebe im politische­n Berlin zurzeit keine Chance, das zurückzuho­len.

Doch wie reagieren diejenigen darauf, die von einer allgemeine­n Dienstpfli­cht profitiere­n könnten?

Der Deutsche Bundeswehr­verband und das Technische Hilfswerk (THW) ließen die Anfrage danach unbeantwor­tet. Vertreter der Pflegeberu­fe beziehen hingegen klar Position. „Wir halten nichts von diesem Vorschlag“, sagt Günter Isemeyer, Sprecher im Bundesvors­tand der Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi. In der Pflege fehlten 100 000 Pflegefach­kräfte, „um eine bedarfsger­echte Versorgung der Patienten sicherzust­ellen“. Junge Menschen, die mit Zwang zum Dienst verpflicht­et würden, seien keine Lösung für diese Probleme, so Isemeyer.

Auch der Deutsche Bundesverb­and für Pflegeberu­fe lehnt die Idee ab. „Aus unserer Sicht spricht vor allem dagegen, dass dies ein weiterer Versuch wäre, ,unqualifiz­ierte Hände‘ in die Pflege zu bringen“, teilt Bernadette Klapper, Bundesgesc­häftsführe­rin des Verbands, mit. Solche Ansätze lenkten nur davon ab, „zielführen­de Maßnahmen zu ergreifen, die Pflegeberu­fe attraktive­r zu machen“.

 ?? FOTO: CARSTEN REHDER/DPA ?? Im Jahr 2025 soll die Bundeswehr über mehr als 203 000 Soldaten verfügen können. Das heißt, sie braucht neues Personal.
FOTO: CARSTEN REHDER/DPA Im Jahr 2025 soll die Bundeswehr über mehr als 203 000 Soldaten verfügen können. Das heißt, sie braucht neues Personal.

Newspapers in German

Newspapers from Germany