Auf Eis gelegt
Erste Unternehmen aus dem Südwesten kappen ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland
- Der Angriff Russlands auf die Ukraine sendet Schockwellen durch die Unternehmenslandschaft im Südwesten. Die über Jahre aufgebauten Wirtschaftsbeziehungen, die Kooperationen, die Gemeinschaftsunternehmen und Kapitalbeteiligungen – alles, was Russland betrifft, steht momentan auf dem Prüfstand. Und das hat nicht nur etwas mit den Wirtschaftssanktionen zu tun.
Die Bedeutung Russlands für die Wirtschaft in Baden-Württemberg ist seit der Annektion der Krim im Jahr 2014 und den daraufhin verhängten Sanktionen und Gegensanktionen zwar gesunken. Doch in etlichen Branchen bestehen noch immer enge Verflechtungen. In ersten Unternehmen werden diese Verbindungen nun gekappt. Kein Vorstand will sich nachsagen lassen, mit seinen Geschäften die russische Kriegsmaschinerie zu unterstützen.
So lässt sich die Ankündigung von ZF verstehen, alle Lieferungen nach Russland zu stoppen. Der Friedrichshafener Konzern unterhält mit dem russischen Lkw-Hersteller Kamaz ein Gemeinschaftsunternehmen. Zwar betonte ZF in der „FAZ“, die Kooperation sei rein ziviler Natur und es gebe klare Vereinbarungen, dass die „mit Kamaz produzierten Getriebe nur in zivil genutzten Nutzfahrzeugen verwendet werden dürfen“. Doch Kamaz stellt neben Lkw eben auch Panzer her.
Mit dem Gemeinschaftsunternehmen ZF Kama hat der Stiftungskonzern 2020 Umsatzerlöse im einstelligen Millionen-Euro-Bereich gemacht, der Gesamtumsatz in Russland lag bei rund 360 Millionen Euro. Was das alles langfristig für das ZFRusslandgeschäft bedeutet, sei „derzeit nicht abzusehen“, erklärte ein Unternehmenssprecher auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Man analysiere in einer Taskforce die Umsetzung der erlassenen Sanktionsmaßnahmen.
Beim Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft malt man ein rabenschwarzes Bild. Mit dem Ukrainekrieg setze Russland seine ökonomischen Beziehungen aufs Spiel. „Es geht aktuell weniger um die Sanktionen und deren Folgen, sondern um die Frage, ob wir mit Russland in Zukunft noch im nennenswerten Umfang wirtschaftliche Beziehungen haben werden oder nicht“, sagte der Verbandsvorsitzende Oliver Hermes am Dienstag.
Ernst Prost, der scheidende Geschäftsführer von Liquimoly, gibt sich in diesem Punkt keinen Illusionen mehr hin: „Das Russlandgeschäft können wir abschreiben“, sagte Prost. Der Unternehmer rechnet mit rund 40 Millionen Euro Umsatzeinbußen und erheblichen Zahlungsausfällen aus offenen Aufträgen. Für das exportstarke Unternehmen aus Ulm ist Russland einer der wichtigsten Absatzmärkte. Nun stellt man sich auf eine längere Durststrecke ein. Zwischenzeitlich nutzt Liquimoly sein Netz aus langjährigen Geschäftspartnern, um Hilfslieferungen in die Krisenregion zu bringen.
Zeppelin-Konzernchef Peter Gerstmann rechnet mit dramatischen Folgen auch außerhalb der Krisenregion: „Lieferketten werden noch drastischer gestört werden, Rohstoff- und Energiepreise werden weiter steigen und auch europäische Banken werden erheblich unter Druck kommen. Wir stellen uns auf schwierige Zeiten ein“, prognostiziert der Manager. Für Zeppelin, das die Fahrzeuge des US-Konzerns Caterpillar unter anderem in Russland, der Ukraine und Belarus vertreibt, könnte der Krieg im schlimmsten Fall die Einstellung von Geschäftsfeldern
und den Verlust von Vermögenswerten bedeuten, den Fortbestand des Unternehmens jedoch nicht gefährden.
Auch der Anlagenbau in Friedrichshafen sei bereits betroffen. Russland ist ein starker Abnehmer von Förderanlagen für die Petrochemie, laufende Aufträge stünden hier auf der Kippe. Für Zeppelin geht der Krieg jedoch klar von der russischen Regierung und nicht vom russischen Volk aus, daher wolle der Konzern sein Geschäft dort unter Berücksichtigung der Sanktionen nach Möglichkeit weiterführen, sagte Gerstmann.
Wolfgang Grenke, Präsident des baden-württembergischen Industrieund Handelskammertags, sprach sich am Dienstag dafür aus, sämtliche Akteure zu einem Spitzengespräch unter Federführung der Landesregierung einzuladen, um gemeinsam die Situation zu erörtern. „Die wirtschaftlichen Folgen dieses schrecklichen Krieges sind für unsere Südwestbetriebe in Gänze noch nicht abschätzbar. Mit Blick auf die dramatische Lage in der Ukraine stellen sich existenzielle Fragen. Es geht hier in erster Linie um die Sicherheit der Menschen vor Ort. Ich denke hier auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Südwestbetriebe und ihrer Partner“, sagte Grenke der „Schwäbischen Zeitung“.
Der oberschwäbische Glashersteller Verallia, der im westukrainischen Zorya ein Werk betreibt, hat inzwischen die Reißleine gezogen und die Produktion vor Ort vorübergehend eingestellt. Oberste Prioriät sei es, die Sicherheit der rund 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewährleisten. „Wir haben uns daher entschlossen, die Produktionslinien – entsprechend unserer Krisenpläne – zum Schutz der Belegschaft herunterzufahren“, sagte VeralliaDeutschland-Chef Dirk Bissel.
Das Werk in Zorya steuerte im vergangenen Jahr rund neun Prozent zum Konzernumsatz von 552 Millionen Euro bei. Die Hälfte der Produktion wird an lokale Kunden verkauft, während der Rest hauptsächlich in den Rest Europas exportiert wird. Wie es weitergeht, ist offen. Sollte sich die Situation verschlimmern, heißt es aus dem Hauptsitz in Bad Wurzach, würde das Unternehmen die Produktion vollständig und kontrolliert einstellen, sodass die Kapitalinvestitionen erhalten bleiben und das Werk zu einem späteren Zeitpunkt wieder in Betrieb genommen werden kann.
Wie der Vorstand des Käseherstellers Hochland die aktuelle Situation bewertet, ließ sich auf Nachfrage nicht in Erfahrung bringen. „Wir haben uns entschieden, in der momentanen Situation keine Statements abzugeben“, sagte HochlandSprecherin Sabrina Braun mit Verweis auf die sich täglich ändernde Situation. Die Großkäserei aus Heimenkirch im Landkreis Lindau ist mit drei Werken und 1400 Mitarbeitern in Russland vertreten und reklamiert dort die Marktführerschaft für sich. Rund ein Viertel des Umsatzes von zuletzt 1,6 Milliarden Euro macht das Unternehmen dort.
Die Allgäuer haben – anders als viele Wettbewerber – im russischen Markt schon früh auf lokale Produktion gesetzt und waren dadurch von den 2014 verhängten EU-Sanktionen kaum betroffen. Doch mit den neuen Sanktionspaketen – insbesondere mit der Abkopplung ausgewählter russischer Banken und der Zentralbank vom Zahlungsabwicklungssystem Swift, das für den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr von elementarer Bedeutung ist – steht das infrage. Hinzu kommt der Kollaps des russischen Rubels, der Hochland Umsatz und Ergebnis kosten wird.
Von den Sanktionspaketen gegen Russland in Mitleidenschaft gezogene deutsche Unternehmen können nach Angaben von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) mit staatlicher Unterstützung rechnen. „Wir werden für die Bereiche der Wirtschaft, die möglicherweise von Sanktionen betroffen sind, ähnliche Schutzmaßnahmen machen, wie wir es in der CoronaPandemie getan haben“, kündigte Habeck am Sonntag in der Sondersitzung des Bundestags zum Krieg in der Ukraine an.
Nach Einschätzung von Stefan Kooths, Konjunkturchef am Institut für Weltwirtschaft Kiel, wäre das sinnvoll. „Die negativen Rückwirkungen werden ungleich verteilt sein, daher wäre es ratsam, die im Russlandgeschäft besonders exponierten Unternehmen durch einen entsprechenden Fonds zu unterstützen – idealerweise EU-weit“, sagte Kooths. Doch Bundesfinanzminister Christian Lindner relativierte bereits. „Es wird nicht möglich sein, dass der Staat alle finanziellen Folgen der Sanktionen und der Spannung mit Russland übernimmt, gar kompensiert“, sagte der FDP-Politiker.