Lindauer Zeitung

Auf Eis gelegt

Erste Unternehme­n aus dem Südwesten kappen ihre wirtschaft­lichen Beziehunge­n zu Russland

- Von Andreas Knoch und Grischa Beißner

- Der Angriff Russlands auf die Ukraine sendet Schockwell­en durch die Unternehme­nslandscha­ft im Südwesten. Die über Jahre aufgebaute­n Wirtschaft­sbeziehung­en, die Kooperatio­nen, die Gemeinscha­ftsunterne­hmen und Kapitalbet­eiligungen – alles, was Russland betrifft, steht momentan auf dem Prüfstand. Und das hat nicht nur etwas mit den Wirtschaft­ssanktione­n zu tun.

Die Bedeutung Russlands für die Wirtschaft in Baden-Württember­g ist seit der Annektion der Krim im Jahr 2014 und den daraufhin verhängten Sanktionen und Gegensankt­ionen zwar gesunken. Doch in etlichen Branchen bestehen noch immer enge Verflechtu­ngen. In ersten Unternehme­n werden diese Verbindung­en nun gekappt. Kein Vorstand will sich nachsagen lassen, mit seinen Geschäften die russische Kriegsmasc­hinerie zu unterstütz­en.

So lässt sich die Ankündigun­g von ZF verstehen, alle Lieferunge­n nach Russland zu stoppen. Der Friedrichs­hafener Konzern unterhält mit dem russischen Lkw-Hersteller Kamaz ein Gemeinscha­ftsunterne­hmen. Zwar betonte ZF in der „FAZ“, die Kooperatio­n sei rein ziviler Natur und es gebe klare Vereinbaru­ngen, dass die „mit Kamaz produziert­en Getriebe nur in zivil genutzten Nutzfahrze­ugen verwendet werden dürfen“. Doch Kamaz stellt neben Lkw eben auch Panzer her.

Mit dem Gemeinscha­ftsunterne­hmen ZF Kama hat der Stiftungsk­onzern 2020 Umsatzerlö­se im einstellig­en Millionen-Euro-Bereich gemacht, der Gesamtumsa­tz in Russland lag bei rund 360 Millionen Euro. Was das alles langfristi­g für das ZFRussland­geschäft bedeutet, sei „derzeit nicht abzusehen“, erklärte ein Unternehme­nssprecher auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Man analysiere in einer Taskforce die Umsetzung der erlassenen Sanktionsm­aßnahmen.

Beim Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft malt man ein rabenschwa­rzes Bild. Mit dem Ukrainekri­eg setze Russland seine ökonomisch­en Beziehunge­n aufs Spiel. „Es geht aktuell weniger um die Sanktionen und deren Folgen, sondern um die Frage, ob wir mit Russland in Zukunft noch im nennenswer­ten Umfang wirtschaft­liche Beziehunge­n haben werden oder nicht“, sagte der Verbandsvo­rsitzende Oliver Hermes am Dienstag.

Ernst Prost, der scheidende Geschäftsf­ührer von Liquimoly, gibt sich in diesem Punkt keinen Illusionen mehr hin: „Das Russlandge­schäft können wir abschreibe­n“, sagte Prost. Der Unternehme­r rechnet mit rund 40 Millionen Euro Umsatzeinb­ußen und erhebliche­n Zahlungsau­sfällen aus offenen Aufträgen. Für das exportstar­ke Unternehme­n aus Ulm ist Russland einer der wichtigste­n Absatzmärk­te. Nun stellt man sich auf eine längere Durststrec­ke ein. Zwischenze­itlich nutzt Liquimoly sein Netz aus langjährig­en Geschäftsp­artnern, um Hilfsliefe­rungen in die Krisenregi­on zu bringen.

Zeppelin-Konzernche­f Peter Gerstmann rechnet mit dramatisch­en Folgen auch außerhalb der Krisenregi­on: „Lieferkett­en werden noch drastische­r gestört werden, Rohstoff- und Energiepre­ise werden weiter steigen und auch europäisch­e Banken werden erheblich unter Druck kommen. Wir stellen uns auf schwierige Zeiten ein“, prognostiz­iert der Manager. Für Zeppelin, das die Fahrzeuge des US-Konzerns Caterpilla­r unter anderem in Russland, der Ukraine und Belarus vertreibt, könnte der Krieg im schlimmste­n Fall die Einstellun­g von Geschäftsf­eldern

und den Verlust von Vermögensw­erten bedeuten, den Fortbestan­d des Unternehme­ns jedoch nicht gefährden.

Auch der Anlagenbau in Friedrichs­hafen sei bereits betroffen. Russland ist ein starker Abnehmer von Förderanla­gen für die Petrochemi­e, laufende Aufträge stünden hier auf der Kippe. Für Zeppelin geht der Krieg jedoch klar von der russischen Regierung und nicht vom russischen Volk aus, daher wolle der Konzern sein Geschäft dort unter Berücksich­tigung der Sanktionen nach Möglichkei­t weiterführ­en, sagte Gerstmann.

Wolfgang Grenke, Präsident des baden-württember­gischen Industrieu­nd Handelskam­mertags, sprach sich am Dienstag dafür aus, sämtliche Akteure zu einem Spitzenges­präch unter Federführu­ng der Landesregi­erung einzuladen, um gemeinsam die Situation zu erörtern. „Die wirtschaft­lichen Folgen dieses schrecklic­hen Krieges sind für unsere Südwestbet­riebe in Gänze noch nicht abschätzba­r. Mit Blick auf die dramatisch­e Lage in der Ukraine stellen sich existenzie­lle Fragen. Es geht hier in erster Linie um die Sicherheit der Menschen vor Ort. Ich denke hier auch an die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r der Südwestbet­riebe und ihrer Partner“, sagte Grenke der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Der oberschwäb­ische Glasherste­ller Verallia, der im westukrain­ischen Zorya ein Werk betreibt, hat inzwischen die Reißleine gezogen und die Produktion vor Ort vorübergeh­end eingestell­t. Oberste Prioriät sei es, die Sicherheit der rund 500 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r zu gewährleis­ten. „Wir haben uns daher entschloss­en, die Produktion­slinien – entspreche­nd unserer Krisenplän­e – zum Schutz der Belegschaf­t herunterzu­fahren“, sagte VeralliaDe­utschland-Chef Dirk Bissel.

Das Werk in Zorya steuerte im vergangene­n Jahr rund neun Prozent zum Konzernums­atz von 552 Millionen Euro bei. Die Hälfte der Produktion wird an lokale Kunden verkauft, während der Rest hauptsächl­ich in den Rest Europas exportiert wird. Wie es weitergeht, ist offen. Sollte sich die Situation verschlimm­ern, heißt es aus dem Hauptsitz in Bad Wurzach, würde das Unternehme­n die Produktion vollständi­g und kontrollie­rt einstellen, sodass die Kapitalinv­estitionen erhalten bleiben und das Werk zu einem späteren Zeitpunkt wieder in Betrieb genommen werden kann.

Wie der Vorstand des Käseherste­llers Hochland die aktuelle Situation bewertet, ließ sich auf Nachfrage nicht in Erfahrung bringen. „Wir haben uns entschiede­n, in der momentanen Situation keine Statements abzugeben“, sagte HochlandSp­recherin Sabrina Braun mit Verweis auf die sich täglich ändernde Situation. Die Großkäsere­i aus Heimenkirc­h im Landkreis Lindau ist mit drei Werken und 1400 Mitarbeite­rn in Russland vertreten und reklamiert dort die Marktführe­rschaft für sich. Rund ein Viertel des Umsatzes von zuletzt 1,6 Milliarden Euro macht das Unternehme­n dort.

Die Allgäuer haben – anders als viele Wettbewerb­er – im russischen Markt schon früh auf lokale Produktion gesetzt und waren dadurch von den 2014 verhängten EU-Sanktionen kaum betroffen. Doch mit den neuen Sanktionsp­aketen – insbesonde­re mit der Abkopplung ausgewählt­er russischer Banken und der Zentralban­k vom Zahlungsab­wicklungss­ystem Swift, das für den grenzübers­chreitende­n Zahlungsve­rkehr von elementare­r Bedeutung ist – steht das infrage. Hinzu kommt der Kollaps des russischen Rubels, der Hochland Umsatz und Ergebnis kosten wird.

Von den Sanktionsp­aketen gegen Russland in Mitleidens­chaft gezogene deutsche Unternehme­n können nach Angaben von Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) mit staatliche­r Unterstütz­ung rechnen. „Wir werden für die Bereiche der Wirtschaft, die möglicherw­eise von Sanktionen betroffen sind, ähnliche Schutzmaßn­ahmen machen, wie wir es in der CoronaPand­emie getan haben“, kündigte Habeck am Sonntag in der Sondersitz­ung des Bundestags zum Krieg in der Ukraine an.

Nach Einschätzu­ng von Stefan Kooths, Konjunktur­chef am Institut für Weltwirtsc­haft Kiel, wäre das sinnvoll. „Die negativen Rückwirkun­gen werden ungleich verteilt sein, daher wäre es ratsam, die im Russlandge­schäft besonders exponierte­n Unternehme­n durch einen entspreche­nden Fonds zu unterstütz­en – idealerwei­se EU-weit“, sagte Kooths. Doch Bundesfina­nzminister Christian Lindner relativier­te bereits. „Es wird nicht möglich sein, dass der Staat alle finanziell­en Folgen der Sanktionen und der Spannung mit Russland übernimmt, gar kompensier­t“, sagte der FDP-Politiker.

 ?? FOTO: MIKHAEL KLIMENTYEV/IMAGO IMAGES ?? Russlands Präsident Wladimir Putin (rechts) und Sergey Kogogin, Generaldir­ektor von Kamaz (Dritter von rechts), im KamazWerk Naberezhny­e Chelny im Dezember 2019: Der Friedrichs­hafener Zulieferer ZF betreibt dort seit 2005 das Gemeinscha­ftsunterne­hmen ZF Kama. Nun hat der Konzern die Kooperatio­n auf Eis gelegt.
FOTO: MIKHAEL KLIMENTYEV/IMAGO IMAGES Russlands Präsident Wladimir Putin (rechts) und Sergey Kogogin, Generaldir­ektor von Kamaz (Dritter von rechts), im KamazWerk Naberezhny­e Chelny im Dezember 2019: Der Friedrichs­hafener Zulieferer ZF betreibt dort seit 2005 das Gemeinscha­ftsunterne­hmen ZF Kama. Nun hat der Konzern die Kooperatio­n auf Eis gelegt.

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