Lindauer Zeitung

„Es ist in Ordnung, Angst zu haben“

Psychother­apeutin über Furcht in Kriegszeit­en und was man dagegen tun kann

- Von Dorothee Torebko

- Krieg in der Ukraine, Sorge vor einem Atomschlag – das macht vielen Menschen Angst. Wie die Furcht entsteht und was man dagegen tun kann, erläutert die Berliner Professori­n für Psychother­apie, Ulrike Lüken (Foto: R. Klauß).

Der Krieg macht Menschen hierzuland­e Angst. Warum ist das so? Angst ist ein grundlegen­des Gefühl, was die Aufgabe hat, uns vor Gefahren zu warnen. Die Angstreakt­ion ist normal, denn wir haben es mit einer Bedrohungs­situation zu tun. Man könnte auch umgekehrt sagen: Wenn wir uns nicht fürchten würden, hätten wir in der Evolution nicht überlebt. Angst ist also ein überlebens­relevantes Gefühl. Das, was viele Personen nun erleben, hat Ähnlichkei­ten zum Frühjahr 2020, als Corona zum ersten Mal aufkam. Da haben auch viele Menschen Angstgefüh­le entwickelt, weil eine Bedrohung von nicht bekanntem Ausmaß auf der Bildfläche erschienen ist.

Wie zeigt sich Angst?

Sie zeigt sich in drei Dimensione­n. Erstens sind das die Gedanken und Gefühle. Viele denken jetzt, ich muss jetzt weg hier, oder machen sich viele Sorgen um die Zukunft. Zweitens gibt es die physiologi­sche Komponente, also dass man Herzrasen bekommt, schlechter schlafen kann oder viel schwitzt. Das macht Sinn, denn unser Körper will uns sagen, dass wir flüchten müssen. Das Dritte ist das Verhalten: Man vermeidet, mit bestimmten Auslösern konfrontie­rt zu werden, oder sucht sich anderersei­ts viele Informatio­nen. Um sich zu beruhigen, halten die Menschen sich auf dem Laufenden und jagen sogar den neuesten Schlagzeil­en nach. Das führt aber in einen Teufelskre­is. Denn meistens sind Schlagzeil­en so aufgebaut, dass sie das Katastroph­ale hervorhebe­n und eben nicht beruhigen.

Wir können tagtäglich Kriege rund um die Welt verfolgen. Warum ist gerade dieser Krieg so angsteinfl­ößend?

Zum einen ist es sehr unerwartet gekommen. Man dachte, dass es ein diplomatis­cher Konflikt ist und dass dieser diplomatis­ch gelöst wird. Dann gab es aber eine starke Erwartungs­verletzung, denn es ist in einem kriegerisc­hen Handeln gemündet. Wenn etwas passiert, was wir anders erwarten, erregt es unsere Aufmerksam­keit in besonderem Maße. Zum Zweiten liegt die Ukraine kulturell und räumlich vor unserer Haustür. Je näher die Bedrohung rückt, umso imminenter wird die Furchtreak­tion.

Was empfehlen Sie Menschen, die Angst vor dem Krieg haben?

Man sollte sich eingestehe­n, dass man Angst hat. Dass es in Ordnung ist, Angst zu haben. Meine zweite Empfehlung ist, dass man weiter nach Plan handelt und nicht nach Gefühl. Eine Kollegin sagte mir, dass sie sich nun frage, ob sie am Wochenende denn nach Italien reisen könne und solle. Ich würde immer empfehlen: Halten Sie an dem Alltag fest. Denn der Alltag erdet Sie. Es gibt eigentlich keinen Grund, weshalb man nicht nach Italien reisen sollte. Das Dritte ist, den Medienkons­um zu regulieren und nicht ständig im Netz zu sein. Man sollte sich feste Zeiten geben, sich zu informiere­n, etwa morgens und abends. So verhindert man, in einen Erregungst­eufelskrei­s einzusteig­en.

Wenn man nur noch gezielt Nachrichte­n verfolgt, kann es dann nicht auch Schuldgefü­hle verursache­n?

Die Frage ist doch: Ist es nötig, dass ich mich im Minutentak­t update? Oder ist es nicht genauso sinnvoll, wenn ich mich zwei- oder dreimal informiere? Wie schnell verändern sich denn die Informatio­nen? Zum anderen muss man auch bedenken: Was ändert sich denn, wenn ich mich so häufig informiere? Man muss das planvolle Handeln vom Gefühl trennen. Nur weil wir den ganzen Tag rumsurfen, heißt es nicht, dass sich der Verlauf der Dinge verändert. Man muss kein schlechtes Gewissen haben, wenn man versucht, stabil zu sein. Jeder Mensch hat die Freiheit, darüber zu bestimmen, wie viele Informatio­nen er einholen und wann er eine Pause haben möchte.

Hilft es, demonstrie­ren zu gehen? Hier gibt es verschiede­ne Dimensione­n. Es ist wichtig, auf politische­r Ebene ein Signal zu senden. Zugleich erleben wir ein Gefühl der Hilflosigk­eit. Demonstrie­ren zu gehen oder sich ehrenamtli­ch zu engagieren, gibt einem das subjektive Gefühl zurück, Kontrolle zu haben. Das nennt sich Selbstwirk­samkeit, also: Ich kann etwas tun. Deswegen ist es nicht nur für die Menschen, denen wir Solidaritä­t gegenüber zeigen, sinnvoll, auf die Straße zu gehen. Man hat auch selbst etwas davon. Das ist ein gutes Gegengift gegen Angst.

Ulrike Lüken ist Professori­n für Psychother­apie an der Humboldt-Universitä­t zu Berlin. Ihre Forschungs­schwerpunk­te beeinhalte­n biopsychol­ogische und neurowisse­nschaftlic­he Grundlagen von Angststöru­ngen. Sie forscht zu neuroplast­ischen Veränderun­gen durch die Psychother­apie. Über Stationen als wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin an der TU Dresden und Professori­n für Experiment­elle und Klinische Psychother­apieforsch­ung und Leitende Psychologi­n an der TU Würzburg ist sie seit 2018 Professori­n an der Humboldt-Universitä­t.

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FOTO: DAVID WEYAND/IMAGO IMAGES Die Friedensde­mo zum Ukrainekri­eg vom vergangene­n Sonntag in Berlin: Sich auf Demonstrat­ionen zu engagieren, kann Ängste vor dem Krieg mildern, sagt eine Expertin.
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