„Es ist in Ordnung, Angst zu haben“
Psychotherapeutin über Furcht in Kriegszeiten und was man dagegen tun kann
- Krieg in der Ukraine, Sorge vor einem Atomschlag – das macht vielen Menschen Angst. Wie die Furcht entsteht und was man dagegen tun kann, erläutert die Berliner Professorin für Psychotherapie, Ulrike Lüken (Foto: R. Klauß).
Der Krieg macht Menschen hierzulande Angst. Warum ist das so? Angst ist ein grundlegendes Gefühl, was die Aufgabe hat, uns vor Gefahren zu warnen. Die Angstreaktion ist normal, denn wir haben es mit einer Bedrohungssituation zu tun. Man könnte auch umgekehrt sagen: Wenn wir uns nicht fürchten würden, hätten wir in der Evolution nicht überlebt. Angst ist also ein überlebensrelevantes Gefühl. Das, was viele Personen nun erleben, hat Ähnlichkeiten zum Frühjahr 2020, als Corona zum ersten Mal aufkam. Da haben auch viele Menschen Angstgefühle entwickelt, weil eine Bedrohung von nicht bekanntem Ausmaß auf der Bildfläche erschienen ist.
Wie zeigt sich Angst?
Sie zeigt sich in drei Dimensionen. Erstens sind das die Gedanken und Gefühle. Viele denken jetzt, ich muss jetzt weg hier, oder machen sich viele Sorgen um die Zukunft. Zweitens gibt es die physiologische Komponente, also dass man Herzrasen bekommt, schlechter schlafen kann oder viel schwitzt. Das macht Sinn, denn unser Körper will uns sagen, dass wir flüchten müssen. Das Dritte ist das Verhalten: Man vermeidet, mit bestimmten Auslösern konfrontiert zu werden, oder sucht sich andererseits viele Informationen. Um sich zu beruhigen, halten die Menschen sich auf dem Laufenden und jagen sogar den neuesten Schlagzeilen nach. Das führt aber in einen Teufelskreis. Denn meistens sind Schlagzeilen so aufgebaut, dass sie das Katastrophale hervorheben und eben nicht beruhigen.
Wir können tagtäglich Kriege rund um die Welt verfolgen. Warum ist gerade dieser Krieg so angsteinflößend?
Zum einen ist es sehr unerwartet gekommen. Man dachte, dass es ein diplomatischer Konflikt ist und dass dieser diplomatisch gelöst wird. Dann gab es aber eine starke Erwartungsverletzung, denn es ist in einem kriegerischen Handeln gemündet. Wenn etwas passiert, was wir anders erwarten, erregt es unsere Aufmerksamkeit in besonderem Maße. Zum Zweiten liegt die Ukraine kulturell und räumlich vor unserer Haustür. Je näher die Bedrohung rückt, umso imminenter wird die Furchtreaktion.
Was empfehlen Sie Menschen, die Angst vor dem Krieg haben?
Man sollte sich eingestehen, dass man Angst hat. Dass es in Ordnung ist, Angst zu haben. Meine zweite Empfehlung ist, dass man weiter nach Plan handelt und nicht nach Gefühl. Eine Kollegin sagte mir, dass sie sich nun frage, ob sie am Wochenende denn nach Italien reisen könne und solle. Ich würde immer empfehlen: Halten Sie an dem Alltag fest. Denn der Alltag erdet Sie. Es gibt eigentlich keinen Grund, weshalb man nicht nach Italien reisen sollte. Das Dritte ist, den Medienkonsum zu regulieren und nicht ständig im Netz zu sein. Man sollte sich feste Zeiten geben, sich zu informieren, etwa morgens und abends. So verhindert man, in einen Erregungsteufelskreis einzusteigen.
Wenn man nur noch gezielt Nachrichten verfolgt, kann es dann nicht auch Schuldgefühle verursachen?
Die Frage ist doch: Ist es nötig, dass ich mich im Minutentakt update? Oder ist es nicht genauso sinnvoll, wenn ich mich zwei- oder dreimal informiere? Wie schnell verändern sich denn die Informationen? Zum anderen muss man auch bedenken: Was ändert sich denn, wenn ich mich so häufig informiere? Man muss das planvolle Handeln vom Gefühl trennen. Nur weil wir den ganzen Tag rumsurfen, heißt es nicht, dass sich der Verlauf der Dinge verändert. Man muss kein schlechtes Gewissen haben, wenn man versucht, stabil zu sein. Jeder Mensch hat die Freiheit, darüber zu bestimmen, wie viele Informationen er einholen und wann er eine Pause haben möchte.
Hilft es, demonstrieren zu gehen? Hier gibt es verschiedene Dimensionen. Es ist wichtig, auf politischer Ebene ein Signal zu senden. Zugleich erleben wir ein Gefühl der Hilflosigkeit. Demonstrieren zu gehen oder sich ehrenamtlich zu engagieren, gibt einem das subjektive Gefühl zurück, Kontrolle zu haben. Das nennt sich Selbstwirksamkeit, also: Ich kann etwas tun. Deswegen ist es nicht nur für die Menschen, denen wir Solidarität gegenüber zeigen, sinnvoll, auf die Straße zu gehen. Man hat auch selbst etwas davon. Das ist ein gutes Gegengift gegen Angst.
Ulrike Lüken ist Professorin für Psychotherapie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte beeinhalten biopsychologische und neurowissenschaftliche Grundlagen von Angststörungen. Sie forscht zu neuroplastischen Veränderungen durch die Psychotherapie. Über Stationen als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Dresden und Professorin für Experimentelle und Klinische Psychotherapieforschung und Leitende Psychologin an der TU Würzburg ist sie seit 2018 Professorin an der Humboldt-Universität.