Lindauer wollen bis zu 50 Flüchtlinge an der Grenze abholen
Warum in Lindau vor allem private Organisationen aktiv sind – Und welche Rolle die sozialen Netzwerke dabei spielen
- Die Telefone von Aurel Sommerlad und Marco Rödel klingeln ununterbrochen. Am Freitag wollen sie sich aufmachen in Richtung polnisch-ukrainische Grenze: Spenden abgeben und Flüchtlinge einsammeln. Bis zu 50 Menschen könnten sie mit nach Lindau bringen. Professionelle Institutionen wie das Rote Kreuz beteiligen sich an solchen Aktionen nicht. Warum das so ist und welche Rolle die sozialen Medien für private Aktionen spielen.
Aurel Sommerlad ist Inhaber des Mietwerks, einer Unterkunft mit Frühstück in Lindau. Wegen Corona hat das Mietwerk derzeit geschlossen, die knapp 50 Betten stehen leer. „Wenn man hört, wie viele Menschen sich von der Ukraine aus auf den Weg machen, dann muss man helfen“, sagt er. Eigentlich wollte er nur mit einem Auto an die polnisch-ukrainische Grenze fahren. Bei Facebook startete er einen Aufruf, dass er dafür einen Bus brauche.
Mittlerweile sind es sechs Autos, darunter einige Kleinbusse mit Fahrern, die am Freitag von Lindau aus starten. Auf den Aufruf von Aurel Sommerlad hatten sich jede Menge Helfer gemeldet, darunter Mitglieder vom Treffpunkt Zech und Marco Rödel aus Wasserburg. „Da wurde einfach mein Helfer-Gen geweckt“, sagt Rödel, der bei der Wasserburger Wasserwacht ist. Fürs Spendensammeln nutzt er zwar die Räume der Wasserwacht in Wasserburg, die Hilfsaktion sei aber privat. Vom Bayerischen Roten Kreuz werden solche Aktionen nicht unterstützt.
Das bestätigt auch Kreisgeschäftsführer Roman Gaißer auf Nachfrage. Vom Lindauer BRK fahre keiner an die Grenze. Auch die Koordination von Spenden laufe ausschließlich über den Dachverband. „Wir sind in Habacht-Stellung“, sagt Gaißer. Das Lindauer BRK helfe denjenigen Flüchtlingen, die in Lindau ankommen – zum Beispiel mit Kleidung. „Wir hatten bisher eine Anfrage“, sagt Gaißer.
Aurel Sommerlad und Marco Rödel koordinieren die Spendensammlung für Freitag gemeinsam. Nachdem sie auch dafür einen Aufruf in den sozialen Medien gestartet hatten, wurden sie mit Hilfsangeboten überschüttet. „Kleidung haben wir jetzt auf jeden Fall genug“, sagt Sommerlad. Wer jetzt noch helfen wolle, solle sich am besten per Telefon melden, um abzusprechen, was jetzt noch nötig sei. Klar ist allerdings: Sommerlad, Rödel und die anderen Helferinnen und Helfer werden Unterstützung benötigen, wenn sie wieder in Lindau ankommen.
Doch wie viel Hilfe ist an der Grenze überhaupt nötig und was brauchen die Menschen dort? Auch das finden viele Helfer derzeit über die sozialen Medien heraus. Schnell haben sich dort Netzwerke gebildet. Die ehemalige Lindauerin und gebürtige Polin Agnieszka Kebłowska zum Beispiel recherchiert in polnischen Facebook-Gruppen, was derzeit an der Grenze wirklich gebraucht wird – und übersetzt dies für Deutsche, die helfen wollen.
„Ganz wichtig ist alles, was warm hält“, sagt sie. Allerdings sei tatsächlich schon einiges an Kleidung an der
Grenze angekommen. Nötig seien noch Decken, Campingbesteck, Lebensmittel, Hygieneartikel wie Zahnpasta, Zahnbürsten, Damenbinden oder Windeln und medizinische Ausrüstung wie Pflaster, Verbände, fiebersenkende Medikamente und Schmerzmittel. „Wichtig ist, dass alles vorsortiert ist“, sagt sie. Denn an der Grenze hätte keiner Zeit, die Spenden zu sortieren. Kinder freuen sich über Malsachen, und auch Tierfutter sei eine sinnvolle Spende. Viele Tiere würden einfach an Mülleimern ausgesetzt.
Wer Flüchtlinge mit nach Deutschland nehmen möchte, dem empfiehlt Agnieszka Kebłowska, sich von Ukrainern Zettel schreiben zu lassen, auf denen das erklärt wird. „Die Leute sind misstrauisch“, sagt sie. Sie habe gehört, dass an der Grenze bereits Betrüger unterwegs sind. Die würden so tun als wollten sie helfen – und von den Geflüchteten dann Geld verlangen.
Im Landkreis Lindau sind bisher nur Flüchtlinge angekommen, die privat bei Verwandten oder Freunden untergekommen sind. Das Landratsamt hat von der Regierung von Schwaben noch keine Ukrainer zugewiesen bekommen. „Ukrainer mit einem biometrischen Ausweis können sich unabhängig der aktuellen Situation sowieso 90 Tage in Deutschland aufhalten“, schreibt Landratsamtssprecherin Sibylle Ehreiser auf Anfrage der Lindauer Zeitung. „Wir würden trotzdem bitten, dass die Familien Kontakt mit uns aufnehmen, so dass wir zumindest wissen, wie viele Menschen aus der Ukraine in unserem Landkreis aufgenommen wurden.“Wer einen Asylantrag stellen möchte, müsse sich aber direkt an das Ankerzentrum in Augsburg wenden. „Ebenso, wer eine Unterkunft benötigt, da zumindest nach unserem aktuellen Kenntnisstand eine Zuteilung direkt über Augsburg erfolgt.“Noch sei völlig unklar, wie viele Flüchtlinge in Lindau ankommen werden. „Erst wenn bekannt ist, wie viele Menschen welche Hilfe benötigen, macht eine zielgerichtete Unterstützung auch Sinn“, so Ehreiser. Sie rät: „Momentan ist den Menschen bestimmt am besten über Hilfsorganisationen vor Ort geholfen, die auf Spendengelder angewiesen sind.“
Aurel Sommerlad und Marco Rödel gehen davon aus, dass sie am Dienstag zurück in Lindau sein werden. Dann werden sie wieder Hilfe von den Lindauerinnen und Lindauern brauchen.
Wer noch spenden oder die Helfer anders unterstützen möchte, kann sich bei Aurel Sommerlad melden unter 01520 /
193 77 38. Abgegeben werden können Spenden am Mietwerk am Mittwoch ab neun Uhr, an der Wasserburger Wasserwacht zwischen 13 und 16 Uhr und beim Treffpunkt Zech am Donnerstag zwischen 14.30 und 19 Uhr. Auch Teresa Deufel plant eine Fahrt mit einem Transporter an die ukrainische Grenze. Wer helfen möchte, kann sich unter 0176 / 23298167 melden. Infos zu Spenden ans BRK gibt es unter www.brk.de