„Am absoluten Limit“über die Landstraße
Motorradstreife muss bei Verfolgungsjagd im Oberallgäu auf mehr als 200 Kilometer pro Stunde beschleunigen
- „Ausflugsfahrt ohne jeden Zeitdruck.“So beschreiben Biker vor dem Kemptener Amtsgericht ihre Tour Ende Mai 2021. Motorradpolizisten erlebten nach ihrer Schilderung etwas ganz anderes: „Am absoluten Limit“hätten sie zwei Fahrer der Gruppe über Oberallgäuer Landstraßen verfolgen müssen, um sie nach massiven Tempoverstößen zu stellen. In der Verhandlung vor dem Kemptener Amtsgericht geht es um die Frage, ob es sich bei dem wilden Ritt der Beschuldigten um ein „verbotenes Kfz-Rennen“gehandelt hat.
Den entsprechenden Paragrafen 315 d hat der Gesetzgeber nach einem tödlichen Unfall auf dem Berliner Ku’damm ins Strafrecht aufgenommen. 2016 war ein unbeteiligter 69Jähriger bei einem Kräftemessen zwischen zwei Autorasern ums Leben gekommen.
Wie die Angeklagten aus dem Augsburger Raum da auf ihrer Bank sitzen, würde man nicht auf Verkehrsrowdys tippen. Jahrgang 1969 ist einer, der alterstypische Bauchansatz könnte auf eine gemütlichere Lebensweise schließen lassen. Drahtiger ist sein Nebenmann, aber mit Mitte 40 auch der gröbsten Sturmund Drang-Phase entwachsen. Ihre damaligen Begleiter, die als Zeugen geladen sind, gehen samt und sonders als biedere Zeitgenossen durch, der älteste ist 60.
Einmal im Sattel des Motorrads ist es nach eigenen Aussagen nicht so weit her mit schwäbischer Gemütlichkeit. Übereinstimmend, teilweise im Wortlaut, berichten die Biker von einer „normalen Reisegeschwindigkeit“zwischen 120 und 130 im Bereich zwischen Osterhofen bei Weitnau und Buchenberg. Wie Richter Sebastian Kühn anhand von Fotos und Videoaufnahmen belegt, handelt es sich um eine teils unübersichtliche Strecke mit Waldstücken,
Kuppen, Einmündungen, Wanderparkplätzen und kreuzendem Radverkehr. Unterbrochen wird das allgemeine Tempolimit von 100 km/h auf Landstraßen durch 60er- und 70er-Passagen in Weilern und an Gefahrenstellen.
„Strich 60“seien die Motorradpolizisten in Zivil am Ortsausgang von Osterhofen gefahren, sagen die Beamten aus: „Plötzlich sind zwei Motorradfahrer vorbeigebrochen, sicher mit der doppelten Geschwindigkeit.“Der Vordermann der Streife nimmt die Verfolgung auf.
Wie die Maschinen der Angeklagten leistet sein Dienstmotorrad 160 PS. Der Polizist berichtet von 20 Jahren Erfahrung mit schnellen Motorrädern
– auch auf Rennstrecken unter Begleitung professioneller Instruktoren und aus dienstlichen Lehrgängen. Zudem kennt er die Gegebenheiten auf der kurvigen Verbindung. Trotz einiger Vollgas-Phasen etwa durch Schwarzerd sei es ihm nicht gelungen, zu den Verfolgten aufzuschließen. „In der Senke vor dem Ortseingang von Buchenberg zeigte mein Tacho 210.“Das genügte letztlich, sich an einer Verkehrsinsel im Ort vor das Duo zu setzen und mit dem Blaulicht zum Anhalten zu bringen.
Der Strafrahmen des Paragrafen 315 d ahndet Rennen vergleichsweise scharf im Vergleich zu anderen Verkehrsdelikten. Einer der Berliner
Verurteilten sitzt 13 Jahre wegen Mordes ab. Die Strategie der Verteidiger beider Motorradfahrer zielt folglich darauf ab, Geschwindigkeitsübertretungen einzuräumen, aber lediglich im Bereich von Ordnungswidrigkeiten.
Ein Rechtsgespräch unter den Juristen bleibt ohne Ergebnis. Die Verteidiger wollen vor allem einen weiteren Führerscheinentzug für ihre Mandanten abwenden. Von grob verkehrswidrigem Verhalten und höchstmöglicher Geschwindigkeit könne keine Rede sein. Freispruch fordern die Rechtsanwälte deshalb.
Der Vorsitzende folgt dagegen der Argumentation der Staatsanwältin. Ein „verbotenes Einzelrennen“ liege nach dem Gesetz auch vor, wenn es nicht um ein Duell gehe, sondern darum, ohne Rücksicht alles aus einem Gefährt herauszuholen. Dabei tue auch nichts zur Sache, dass es dem verfolgenden Beamten nicht gelungen war, während der Verfolgung gerichtsverwertbare VideoAufnahmen oder Geschwindigkeitsmessungen zu sichern.
Auf 80 Tagessätze legt der Richter die Geldstrafe fest, macht für die Angeklagten 2800 beziehungsweise 5200 Euro. Die Fahrerlaubnis bleibt beiden auf weitere drei Monate entzogen. Seit Juli müssen sie bereits auf motorisierte Untersätze verzichten.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.