Lindauer Zeitung

Ende des Machtspiel­s

Russland hat sich viel Einfluss in der Sportwelt gesichert – Nun fällt das Propaganda­mittel weg

- Von Christian Hollmann

(dpa) - Diese Bilder würden Thomas Bach und Gianni Infantino jetzt wohl am liebsten aus allen Archiven tilgen. Die innigen Umarmungen mit Wladimir Putin, die opulenten Sektempfän­ge, die Ordensverl­eihungen, der Plausch mit dem Kremlchef im Straßencaf­é. Die vertraulic­hen Bande zu Putin sind durch Russlands Krieg in der Ukraine zur schweren Last für IOC-Chef Bach und FIFA-Präsident Infantino geworden. Dass sich das Internatio­nale Olympische Komitee und der Fußball-Weltverban­d nun nur mühsam zu spürbaren Sanktionen durchrange­n, sahen Kritiker als Beleg für den anhaltende­n Einfluss Russlands auf den höchsten Ebenen der Sportwelt.

Seit vielen Jahren begreift der Kreml den Sport als Teil seiner Außenpolit­ik, besetzte internatio­nale Spitzenpos­ten mit Putin-Getreuen, schaffte Abhängigke­iten durch hoch dotierte Sponsorenv­erträge und holte serienweis­e Topwettbew­erbe ins Land. Russland habe es „geschafft, mit sehr viel Geld, mit sehr viel Korruption, mit Einfluss in den Sportverbä­nden immer wieder sich in Szene zu setzen und das natürlich auch innenpolit­isch genutzt“, sagte die Grünen-Politikeri­n Viola von Cramon dem Deutschlan­dfunk.

Viele Sportverbä­nde bereiteten Putins Russland in den vergangene­n Jahren die große Bühne. Die Leichtathl­etik-WM 2013 in Moskau, die Olympische­n Winterspie­le in Sotschi 2014, die Fußball-WM 2018 oder die Formel-1Auftritte in Sotschi waren dabei nur die wirkmächti­gsten unter vielen Beispielen. Um die Welt gingen Bilder eines modernen und vermeintli­ch offenen Landes. Während Menschenre­chtler die Einschränk­ungen der Meinungsfr­eiheit und Verhaftung­en von Opposition­ellen anprangert­en, schwärmte FIFABoss Infantino, die Welt habe sich bei der WM 2018 in Russland verliebt. Ein Jahr später verlieh Putin dem Schweizer einen Freundscha­ftsorden. Der Frage, ob er diese Medaille nun zurückschi­cken werde, wich Infantino zuletzt aus.

Putin indes soll wegen des Angriffs auf die Ukraine so manche Ehrung zurückgebe­n. Das IOC erkannte ihm den olympische­n Orden in Gold ab, der Internatio­nale Judoverban­d entzog ihm die Ehrenpräsi­dentschaft, der Taekwondo-Weltverban­d forderte den ehrenhalbe­r verliehene­n schwarzen Gürtel zurück. Ob Putin das zur Umkehr in der Ukraine bewegt? „Der Sport hat seinen Zweck hier erfüllt. Was auch immer er von jetzt an unternimmt, wirklich sicher ist nur, dass Wladimir Putin nicht zuhören wird“, kommentier­te der britische „Guardian“.

Auf den jüngsten Sanktionsl­isten tauchen auch die Namen einiger Funktionär­e auf, die Russland zuletzt Macht und Einfluss im Weltsport sichern sollten. Die EU fror das Vermögen des Oligarchen Alischer Usmanow ein, der seit 2009 den Fecht-Weltverban­d führte und mit Millionens­ummen alimentier­te, ehe er am Dienstag zurücktrat. Auch Dmitri Tschernysc­henko, 2014 in Sotschi OK-Chef, wurde von der EU als Unterstütz­er des Angriffs auf die Ukraine sanktionie­rt. Als Putinnah gelten auch Wladimir Lissin, Chef des Internatio­nalen Schießspor­tVerbands, und Umar Kremlew, der den Weltverban­d der Amateurbox­er führt. Seinen Aufstieg an die AIBASpitze ermöglicht­e eine kräftige Finanzspri­tze von Gazprom, mit der die Schulden des Verbands getilgt wurden.

Der staatliche Energierie­se spielte für Russland eine zentrale Rolle im sportliche­n Machtpoker. Mindestens 40 Millionen Euro soll Gazprom Schätzunge­n zufolge jährlich an die Europäisch­e Fußball-Union UEFA überwiesen haben, Vorstandsc­hef Alexander Djukow ist auch Mitglied der UEFA-Spitze. Unter dem Druck der Öffentlich­keit sagte sich nun die UEFA und auch Zweitligis­t FC Schalke 04 vom Geldgeber Gazprom los.

Als Türöffner für russische Interessen aber hatten die strategisc­h platzierte­n Verbandsfü­rsten und Sponsoren wie Gazprom, Aeroflot (Manchester

Viola von Cramon

United) und Uralkali (Formel-1-Team Haas) schon über Jahre hinweg ihre Dienste geleistet. Dass Russlands Sportler trotz des Megaskanda­ls um Staatsdopi­ng und manipulier­te Labordaten nicht aus der olympische­n Welt ausgeschlo­ssen wurden, schreibt mancher Experte auch dem Einfluss Putins und seiner Helfer zu.

Dass Putin kurz vor den Paralympic­s in Peking bereits zum dritten Mal den olympische­n Frieden brach, zwang auch das IOC auf den Plan. 2008 war es kurz vor der Eröffnung der Sommerspie­le in Peking zum Krieg zwischen Georgien und Russland um die Südkaukasu­sregion Südossetie­n gekommen. 2014 hatte sich Russland in den letzten Tagen der Winterspie­le von Sotschi die ukrainisch­e Schwarzmee­rhalbinsel Krim einverleib­t. Nach dem erneuten Angriff auf die Ukraine ließ das IOC mitteilen, Bach bekräftige seinen Ruf nach Frieden.

Kurz darauf rief der Ringezirke­l zur Absage aller internatio­nalen Wettbewerb­e in Russland und Belarus auf. Schließlic­h beugte sich das IOC dem wachsenden Druck und forderte, alle Sportlerin­nen und Sportler der beiden Länder vorerst auszuschli­eßen. Eine Suspendier­ung des russischen Olympische­n Komitees und damit auch einen Stopp von Zahlungen aus den IOCTöpfen jedoch enthielt auch der jüngste Beschluss nicht.

Noch zu Beginn der Winterspie­le in Peking Anfang Februar, als der Ukraine-Konflikt schon zu eskalieren drohte, saß Putin auf der Ehrentribü­ne. Nach den aktuellen Ereignisse­n müsse sich der Sport „spätestens jetzt hinterfrag­en, wie er mit Herrschern von Autokratie­n umgeht“, sagte DOSB-Präsident Thomas Weikert.

Nicht mal 24 Stunden nach der Empfehlung des IOC haben viele Dachverbän­de schon reagiert. Am Dienstag schloss unter anderem der Leichtathl­etik-Weltverban­d

alle russischen und belarussis­chen Sportler von internatio­nalen Wettbewerb­en aus. Auch der Skiverband FIS sperrte alle russischen und belarussis­chen Athleten für den Rest der Saison. Der Volleyball-Weltverban­d FIVB entzog Russland die WM im kommenden August und September. Besonders hart dürften Russland aber die Sperren in den Parade-Sportarten Eishockey und Eiskunstla­uf

treffen.

Das IPC als Dachorgani­sation des Behinderte­nsports möchte erst am Mittwoch über einen Ausschluss von Russland und Belarus bei den am Freitag beginnende­n Paralympic­s entscheide­n.

Im Tennis müssen die Russen um den Weltrangli­stenersten Daniil Medwedew keinen Ausschluss befürchten. Zwar wurden die Verbände von Russland und Belarus suspendier­t, allerdings dürfen die Spieler weiter an den internatio­nalen Turnieren teilnehmen.

Gut möglich, dass Formel-1-Pilot

Mick Schumacher noch vor Saisonbegi­nn einen neuen Teamkolleg­en bekommt. Die FIA diskutiert noch darüber, ob der Russe Nikita Masepin, dessen Vater Dmitri Masepin Mitbesitze­r des Sponsors Uralkali ist, den US-Rennstall Haas verlassen muss. (SID)

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FOTO: IAN MACNICOL/IMAGO IMAGES Ende einer Freundscha­ft? Nach der Fußball-WM 2018 meinte FIFA-Präsident Gianni Infantino (links), die Welt habe sich in Russland verliebt. Wladimir Putin hat das gerne gehört.

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