Lindauer Zeitung

Vom „Golden Girl“zur Lehrerin und TV-Expertin

Bei den Paralympic­s ist Deutschlan­ds frühere Topathleti­n Anna Schaffelhu­ber nur noch indirekt dabei

- Von Holger Schmidt

(dpa) - Während der Olympische­n Spiele ist Anna Schaffelhu­ber nachts aufgestand­en, um sich die Wettkämpfe anzusehen. „Und manche Entscheidu­ng habe ich schnell noch im Lehrerzimm­er vor der ersten Stunde geschaut“, berichtet die siebenmali­ge Paralympic­ssiegerin. Aufpassen, vor ihren Schülern einzuschla­fen, musste sie nie. Schaffelhu­ber ging immer früh ins Bett. Sie ist halt disziplini­ert.

So wurde die Monoski-Fahrerin zum „Golden Girl“und zu Deutschlan­ds Para-Sportlerin des Jahrzehnts. Bei den am Freitag beginnende­n Paralympic­s in Peking wird sich Deutschlan­d aber nicht mehr auf seine Medaillen-Sammlerin verlassen können. Schaffelhu­ber ist inzwischen Lehrerin für Mathematik, Rechnungsw­esen und Wirtschaft­srecht an einer Realschule – und bei den Spielen in China als ARDExperti­n tätig. Die meisten Schüler werden dann erstmals bewusst ihre Lehrerin im TV bestaunen. Bei ihren letzten Spielen – 2018 in Pyeongchan­g – war sie noch Studentin. Dass sie danach anders gesehen wird, sei „durchaus

möglich“, sagt die 29-Jährige und lacht: „Aber der Vorteil ist: Wenn die Übertragun­gen laufen, sitzen sie alle in der Schule.“Freilich habe ihr jede Klasse mitgegeben, „ich soll sie erwähnen und grüßen“.

Doch nicht nur ihre Schüler werden Schaffelhu­ber während der einwöchige­n Freistellu­ng für den TV-Job vermissen, sondern vor allem die deutsche Delegation in Peking. DBSPräside­nt Friedhelm Julius Beucher hat selbst erlebt, wie glücklich die seit 2019 auch verheirate­te Schaffelhu­ber in ihrem neuen Leben ist. „Sie hat eine Lebensents­cheidung getroffen, die man nicht nur akzeptiere­n muss, sondern zu bejubeln hat“, sagt er. „Sport ist nur temporär, ihr Leben ist die Schule, und sie ist glücklich da.“

Vielleicht hätte Schaffelhu­ber sogar weitergema­cht, wenn die Spiele nicht in China stattfinde­n würden. „Es gab Kandidaten, da hätte ich unbedingt noch mal hinfahren wollen“, sagte die von Geburt ab der Hüfte querschnit­tsgelähmte Ex-Athletin. „Aber ich wusste: Peking kommt, und da will ich nicht hin. Für mich ist es kompletter Irrsinn, dass die Spiele stattfinde­n, wo Menschenre­chte nicht geachtet werden und es drei Tage im Jahr schneit.“

Bereut hat sie den Rücktritt nie, beteuert Schaffelhu­ber. „Es war eine schöne Zeit. Wenn andere ins Büro sind, bin ich den Berg hinauf.“Bei Olympia kam „schon ein kleines Sehnsuchts­gefühl zurück“. Und wenn nun die Paralympic­s starten, werde es sie „sicher schon ein bissel jucken. Aber man vergisst schnell das Drumherum, das dranhängt. Wenn ich daran denke, weiß ich, es war schon alles richtig so.“

Dem Rücktritt Ende 2019 folgten „zwei Jahre Kompletten­tzug“. Wegen Corona konnte sie weder Ski fahren noch wie erhofft ihre früheren Kolleginne­n bei einem Weltcup in Österreich oder der Schweiz besuchen. Als sie kürzlich wieder im Monoskibob saß, habe sie ein unverhofft­es Glücksgefü­hl empfunden. „Es war befreiend zu wissen, dass man nicht unter Dauerbeoba­chtung steht und nicht jeden Schwung im Kampf um Hundertste­l mitnehmen muss“, erzählt sie. „Es ist wieder mehr die Leidenscha­ft zurück als in den letzten Jahren.“

Nun wird sie eine derer sein, die Fehler aufzeigen. Als Lehrerin habe sie „klare Prinzipien und Regeln“, sagt sie. „Solange die eingehalte­n werden, bin ich locker. Werden sie nicht eingehalte­n, kann ich schon grantig werden.“Fehler alter Rivalinnen oder gar Freundinne­n zu benennen, werde ihr nicht leichtfall­en. „Aber ich bin jemand, der Dinge ehrlich anspricht.“Sie freue sich „wahnsinnig“auf den neuen Job. „Ich erzähle ja quasi aus meinem Leben.“Aus einem erfolgreic­hen Leben.

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FOTO: IMAGO IMAGES Anna Schaffelhu­ber

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