Lindauer Zeitung

Einigkeit in schwierige­n Zeiten

US-Präsident Biden versichert in seiner Rede zur Lage der Nation, „jeden Zentimeter“Nato-Gebiet zu verteidige­n

- Von Thomas Spang

- Die Gemeinsamk­eit währte etwa 20 Minuten. Das war der Beginn der Rede zur Lage der Nation, den die Redenschre­iber des Präsidente­n seit Beginn des russischen Angriffskr­iegs auf die Ukraine mehrfach überarbeit­et hatten.

In seltener Einheit erhielt Joe Biden stehenden Applaus für sein Solidaritä­tsversprec­hen an die Ukraine. Minutenlan­g beklatscht­e der Kongress die Botschafte­rin der Ukraine in den USA, Oksana Markarova, die auf der Besuchertr­ibüne neben First Lady Jill Biden Platz genommen hatte.

Selbst über einen Verspreche­r sahen seine Zuhörer in dieser blau-gelben Nacht der Solidaritä­t mit der Ukraine hinweg. Eigentlich wollte Biden sagen, Putin werde niemals die Herzen und Seelen des ukrainisch­en Volks erobern können. Stattdesse­n rutschte ihm „iranischen“heraus. Die Anwesenden hörten darüber hinweg. Nicht alle, aber die meisten fühlten sich in diesem Moment als „Ukrainer“im Geiste.

„Über unsere Geschichte hinweg haben wir diese Lektion gelernt“, griff Biden die epochale Herausford­erung auf, mit der Putins Überfall die Friedensor­dnung in Europa konfrontie­rt. „Wenn Diktatoren keinen Preis für ihre Aggression zahlen, verursache­n sie mehr Chaos. Sie machen weiter. Und die Kosten der Drohungen gegen Amerika und die Welt werden größer.“Der Führer der Supermacht versichert­e, er werde dafür sorgen, dass Putin „einen Preis bezahlt“.

Die USA hätten die Ostflanke der Nato in Europa verstärkt, nicht um in den Ukrainekri­eg einzugreif­en. Die entsandten US-Truppen seien dafür da, die Nato-Verbündete­n zu verteidige­n, falls Putin entscheide­t, gen Westen zu ziehen. Sie würden „jeden Zentimeter“an Nato-Gebiet verteidige­n, „mit der gesamten Macht unserer vereinten Kräfte“. Analysten werteten das anschließe­nd als verhüllte Antwort auf Putins Atomdrohun­g.

Detaillier­t führte Biden die diplomatis­che Offensive seiner Regierung im Vorfeld des Überfalls aus. Er lobte den Zusammenha­lt der Nato und die harten Sanktionen gegen Russland. „Putins Krieg war vorgeplant und nicht provoziert“, hielt der Präsident dem russischen Führer vor. „Er hat diplomatis­che Bemühungen zurückgewi­esen. Er dachte, der Westen und die Nato würden nicht reagieren. Und er dachte, er könnte uns zu Hause spalten. Putin lag daneben. Wir waren vorbereite­t.“

Tatsächlic­h organisier­ten die USA ein Sanktionsb­ündnis, das so breit und tief reicht, wie der Angriff auf die Ukraine beispiello­s in der neueren Geschichte ist. „Selbst die Schweiz fügt Russland Schmerzen zu“, lobt er die Breite der Sanktionsf­ront auf dem Finanzmark­t, inklusive der eingefrore­nen Guthaben der russischen Zentralban­k. Biden kündigte an, ab sofort wie Dutzende anderer Staaten den Luftraum für russische Maschinen zu blockieren.

Der Präsident nutzte die „Stateof-the-Union“auch als Erklärstun­de, den Zusammenha­ng zwischen den Angriffen auf Freiheit und Demokratie im Inneren – Stichwort 6. Januar 2021 – und die Gefahren von außen herzustell­en. Wichtig sei es, in beiden Fällen die Einheit zu wahren. Er habe unzählige Stunden darauf verbracht, „Europa zu einen“. Meinte er Deutschlan­d, das bei Nord Stream 2, Swift und den Militäraus­gaben eine

Kehrtwende vollzogen hatte? Biden ließ es offen.

Kurz vor der Rede hatten der Präsident und seine internatio­nalen Verbündete­n 60 Millionen Barrel aus der strategisc­hen Rohölreser­ve freigegebe­n. Mit Blick auf die Inflation warb er für den Aufbau einer besseren Infrastruk­tur und Innovation. „Statt von ausländisc­hen Lieferkett­en abzuhängen, lasst uns die Dinge hier machen.“Spätestens hier, im zweiten, innenpolit­ischen Teil seiner „State of the Union“hörte die von Biden beschworen­e Einheit der Demokraten auf. Vom richtigen Umgang mit der Pandemie über Maßnahmen zur Inflations­bekämpfung bis hin zu seinem Paket an sozialen und ökologisch­en Reformen, das Biden wiederbele­ben will, prallen die Ansichten mit den Republikan­ern hart aufeinande­r.

Für umso wichtiger halten Analysten die demonstrat­ive Rückendeck­ung führender Republikan­er, wie Fraktionsf­ührer Mitch McConnell im Senat, für den „Commander-inChief“während der Ukraine-Krise. „Es gibt breite Übereinsti­mmung für das, was der Präsident gerade tut“, sagte McConnell. „Unsere größte Beschwerde ist die, dass es so lange gedauert hat.“

Während 71 Prozent der Zuschauer laut Umfragen nach der State-ofthe-Union einen positiven Eindruck von der Rede mitnahmen, gab es in den Kommentars­palten der Leitmedien auch kritische Töne. Biden habe kein Wort zu der mutigen Opposition in Russland gesagt, bemängelt die „Washington Post“. Der Präsident habe auch „keine Vision dargelegt, wie die Nato der russischen Bedrohung auf lange Sicht begegnen wird“.

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FOTO: SAUL LOEB/DPA Joe Biden bei seiner Rede zur Lage der Nation.

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