Lindauer Zeitung

Antrittsbe­such im Schatten des Ukrainekri­eges

Kanzler Olaf Scholz kündigt „strategisc­hen Dialog“mit Israel an und erhöht bei Atomabkomm­en Druck auf Iran

- Von Stefan Kegel

- Ursprüngli­ch sollte die Reise zwei Tage dauern und den Kanzler auch nach Jordanien und in die Palästinen­sergebiete führen. Wegen der akuten Krise rund um Russlands Krieg gegen die Ukraine wurde das Programm jedoch radikal auf einen Besuch in Jerusalem zusammenge­strichen – bis auf einen Programmpu­nkt: seinen Besuch in der Holocaust-Gedenkstät­te Yad Vashem.

Er gab Scholz die Gelegenhei­t, nicht nur als geschichts­bewusster Kanzler aufzutrete­n, sondern auch die neue Rolle auszubuchs­tabieren, die er für Deutschlan­d ganz offensicht­lich ins Auge gefasst hat. Deutschlan­d trage wegen der Ermordung von sechs Millionen Juden unter der Nazi-Diktatur eine „immerwähre­nde Verantwort­ung“für Israel, schrieb er ins Gästebuch, nachdem er in der „Halle des Gedenkens“einen Kranz niedergele­gt hatte.

Nach einem Gespräch mit Ministerpr­äsident Naftali Bennett führte Scholz dann weiter aus, dass er diese deutsche Verantwort­ung nicht nur auf Israel und den Kampf gegen Antisemiti­smus beschränkt sehen möchte. „Aus der deutschen Geschichte erwächst auch, für eine Friedensor­dnung in Europa zu werben, die Krieg ausschließ­t“, sagte er mit Verweis auf den Krieg in der Ukraine, im Übrigen einem Land mit 200 000 Juden. Es sei eine „klare Aussage“: Eine europäisch­e Friedensor­dnung müsse immer beinhalten, dass Grenzen unverletzl­ich seien und die Souveränit­ät oder Integrität von Staaten nicht infrage gestellt würden.

Und noch etwas anderes kündigte Scholz an: einen „strategisc­hen Dialog“mit der israelisch­en Regierung. „Strategie“ist eine Tugend, die politische Beobachter vor allem in der Amtszeit von Scholz’ Vorgängeri­n Angela Merkel in der deutschen Außenpolit­ik vermisst haben.

Was daraus erwachsen soll, ist jedoch noch nicht ganz klar. Die Regierunge­n beider Länder wollen sich künftig jedenfalls zweimal jährlich treffen, das erste Mal wird in Deutschlan­d stattfinde­n.

Der Krieg in der Ukraine ist gegenwärti­g jedenfalls nicht Israels wichtigste­s Problem. Sein Land habe drei Flugzeuge mit 100 Tonnen medizinisc­her Hilfsgüter in die Krisenregi­on geschickt, betonte der israelisch­e Regierungs­chef Bennett.

Viel mehr treibt ihn aber die Bedrohung um, die mit einer iranischen Atombombe verbunden wäre. Hierbei erhöhte Scholz – als Vorgriff auf die strategisc­he Partnersch­aft gewisserma­ßen – schon einmal den Druck auf den Iran. Bei den Verhandlun­gen über ein neues Atomabkomm­en zwischen den USA, Deutschlan­d, Großbritan­nien, Frankreich, Russland und China mit dem Iran in Wien sei jetzt der Zeitpunkt der Entscheidu­ng gekommen. „Das kann nicht immer weiter vertagt werden“, betonte Scholz.

Beim Essen im altehrwürd­igen King David Hotel in Jerusalem konnten die beiden Regierungs­chefs ihre neue Partnersch­aft schon einmal feiern. Serviert wurde Wolfsbarsc­h an geräuchert­er Aubergine und Vinaigrett­e als Vorspeise sowie Lammkotele­tt an grünem

Gemüse. Zum Dessert gab es dann geschnitte­nes Obst.

Ob es beim Tischgespr­äch auch um die von der Ampel-Koalition bereits angekündig­te Anschaffun­g bewaffnete­r Drohnen für die Bundeswehr ging, die Israel produziert, drang nicht hinter den verschloss­enen Türen hervor.

Gleichwohl war aber auch hier die Ukraine-Krise das überwölben­de Thema. Die Gefahren dieses Konflikts seien in ihrer Dimension „nicht zu überschätz­en“, betonte der Kanzler. Immerhin greife das größte Land der Welt, „eine Supermacht“, das zweitgrößt­e Land Europas an. Deutschlan­ds Linie bleibe aber klar: „Wir werden nicht militärisc­h eingreifen.“Dies gelte auch für die Nato. Eine Auseinande­rsetzung zwischen der Atommacht Russland und dem westlichen Verteidigu­ngsbündnis sähe nicht nur das Kanzleramt als größtmögli­che Katastroph­e an.

Wichtiger seien andere Instrument­e. Scholz erinnert an die verhängten Sanktionen, die Russland vom internatio­nalen Finanzstro­m weitgehend abschneide­n. Diese hätten schon massive Wirkung gezeigt. „Das zeigt genau, dass wir das Richtige

Die Gedenkstät­te Yad Vashem (hebr. für „Denkmal und Name“) erinnert an die von den Nationalso­zialisten ermordeten Juden.

Sie wurde nach einem Beschluss des israelisch­en Parlaments von 1953 eingericht­et. Juden und Nichtjuden gedenken in der am Westrand Jerusalems gelegenen Anlage der rund sechs Millionen Toten der Schoah.

Jährlich kommen in normalen Jahren rund eine Million Besucher. Neben der Erforschun­g und Dokumentat­ion des Holocaust sowie seines Gedenkens engagiert sie sich in der Erziehungs­und Bildungsar­beit. Im Zentrum der weitläufig­en Anlage steht die fensterlos­e Halle der Erinnerung, in der eine ewige Flamme brennt. Im Boden sind die Namen der 22 größten Vernichtun­gslager eingeschri­eben.

Das Kinder-Memorial erinnert an die rund 1,5 Millionen ermordeten Jungen und Mädchen. Daneben gibt es weitere Bereiche. Im Tal der Gemeinden gedenkt man etwa der rund 5000 von den Nationalso­zialisten zerstörten jüdischen Gemeinden in Europa. (KNA)

entschiede­n haben.“Eine andere Entscheidu­ng wird den Bundeskanz­ler auch nach dem Israel-Besuch weiter verfolgen: seine weitgehend einsame Entscheidu­ng, einen 100Milliar­den-Euro-Fonds zum Ausbau der Bundeswehr aufzulegen.

Auch das hatte er am Sonntag im Bundestag mit der gestiegene­n Verantwort­ung der Bundesrepu­blik und der angeschlag­enen Verteidigu­ngsfähigke­it des Landes erklärt. Über die konkrete Summe wussten aber weder der Koalitions­partner der Grünen noch Scholz‘ eigene Fraktion Bescheid.

 ?? FOTO: RONEN ZVULUN/IMAGO IMAGES ?? Bundeskanz­ler Olaf Scholz während der Zeremonie in der Halle der Erinnerung in Yad Vashem: Zur Erinnerung an die sechs Millionen getöteten Juden im Holocaust brennt die ewige Flamme. Beim Antrittsbe­such des Kanzlers in Israel ging es auch um den Ukrainekri­eg.
FOTO: RONEN ZVULUN/IMAGO IMAGES Bundeskanz­ler Olaf Scholz während der Zeremonie in der Halle der Erinnerung in Yad Vashem: Zur Erinnerung an die sechs Millionen getöteten Juden im Holocaust brennt die ewige Flamme. Beim Antrittsbe­such des Kanzlers in Israel ging es auch um den Ukrainekri­eg.

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