Antrittsbesuch im Schatten des Ukrainekrieges
Kanzler Olaf Scholz kündigt „strategischen Dialog“mit Israel an und erhöht bei Atomabkommen Druck auf Iran
- Ursprünglich sollte die Reise zwei Tage dauern und den Kanzler auch nach Jordanien und in die Palästinensergebiete führen. Wegen der akuten Krise rund um Russlands Krieg gegen die Ukraine wurde das Programm jedoch radikal auf einen Besuch in Jerusalem zusammengestrichen – bis auf einen Programmpunkt: seinen Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem.
Er gab Scholz die Gelegenheit, nicht nur als geschichtsbewusster Kanzler aufzutreten, sondern auch die neue Rolle auszubuchstabieren, die er für Deutschland ganz offensichtlich ins Auge gefasst hat. Deutschland trage wegen der Ermordung von sechs Millionen Juden unter der Nazi-Diktatur eine „immerwährende Verantwortung“für Israel, schrieb er ins Gästebuch, nachdem er in der „Halle des Gedenkens“einen Kranz niedergelegt hatte.
Nach einem Gespräch mit Ministerpräsident Naftali Bennett führte Scholz dann weiter aus, dass er diese deutsche Verantwortung nicht nur auf Israel und den Kampf gegen Antisemitismus beschränkt sehen möchte. „Aus der deutschen Geschichte erwächst auch, für eine Friedensordnung in Europa zu werben, die Krieg ausschließt“, sagte er mit Verweis auf den Krieg in der Ukraine, im Übrigen einem Land mit 200 000 Juden. Es sei eine „klare Aussage“: Eine europäische Friedensordnung müsse immer beinhalten, dass Grenzen unverletzlich seien und die Souveränität oder Integrität von Staaten nicht infrage gestellt würden.
Und noch etwas anderes kündigte Scholz an: einen „strategischen Dialog“mit der israelischen Regierung. „Strategie“ist eine Tugend, die politische Beobachter vor allem in der Amtszeit von Scholz’ Vorgängerin Angela Merkel in der deutschen Außenpolitik vermisst haben.
Was daraus erwachsen soll, ist jedoch noch nicht ganz klar. Die Regierungen beider Länder wollen sich künftig jedenfalls zweimal jährlich treffen, das erste Mal wird in Deutschland stattfinden.
Der Krieg in der Ukraine ist gegenwärtig jedenfalls nicht Israels wichtigstes Problem. Sein Land habe drei Flugzeuge mit 100 Tonnen medizinischer Hilfsgüter in die Krisenregion geschickt, betonte der israelische Regierungschef Bennett.
Viel mehr treibt ihn aber die Bedrohung um, die mit einer iranischen Atombombe verbunden wäre. Hierbei erhöhte Scholz – als Vorgriff auf die strategische Partnerschaft gewissermaßen – schon einmal den Druck auf den Iran. Bei den Verhandlungen über ein neues Atomabkommen zwischen den USA, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Russland und China mit dem Iran in Wien sei jetzt der Zeitpunkt der Entscheidung gekommen. „Das kann nicht immer weiter vertagt werden“, betonte Scholz.
Beim Essen im altehrwürdigen King David Hotel in Jerusalem konnten die beiden Regierungschefs ihre neue Partnerschaft schon einmal feiern. Serviert wurde Wolfsbarsch an geräucherter Aubergine und Vinaigrette als Vorspeise sowie Lammkotelett an grünem
Gemüse. Zum Dessert gab es dann geschnittenes Obst.
Ob es beim Tischgespräch auch um die von der Ampel-Koalition bereits angekündigte Anschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr ging, die Israel produziert, drang nicht hinter den verschlossenen Türen hervor.
Gleichwohl war aber auch hier die Ukraine-Krise das überwölbende Thema. Die Gefahren dieses Konflikts seien in ihrer Dimension „nicht zu überschätzen“, betonte der Kanzler. Immerhin greife das größte Land der Welt, „eine Supermacht“, das zweitgrößte Land Europas an. Deutschlands Linie bleibe aber klar: „Wir werden nicht militärisch eingreifen.“Dies gelte auch für die Nato. Eine Auseinandersetzung zwischen der Atommacht Russland und dem westlichen Verteidigungsbündnis sähe nicht nur das Kanzleramt als größtmögliche Katastrophe an.
Wichtiger seien andere Instrumente. Scholz erinnert an die verhängten Sanktionen, die Russland vom internationalen Finanzstrom weitgehend abschneiden. Diese hätten schon massive Wirkung gezeigt. „Das zeigt genau, dass wir das Richtige
Die Gedenkstätte Yad Vashem (hebr. für „Denkmal und Name“) erinnert an die von den Nationalsozialisten ermordeten Juden.
Sie wurde nach einem Beschluss des israelischen Parlaments von 1953 eingerichtet. Juden und Nichtjuden gedenken in der am Westrand Jerusalems gelegenen Anlage der rund sechs Millionen Toten der Schoah.
Jährlich kommen in normalen Jahren rund eine Million Besucher. Neben der Erforschung und Dokumentation des Holocaust sowie seines Gedenkens engagiert sie sich in der Erziehungsund Bildungsarbeit. Im Zentrum der weitläufigen Anlage steht die fensterlose Halle der Erinnerung, in der eine ewige Flamme brennt. Im Boden sind die Namen der 22 größten Vernichtungslager eingeschrieben.
Das Kinder-Memorial erinnert an die rund 1,5 Millionen ermordeten Jungen und Mädchen. Daneben gibt es weitere Bereiche. Im Tal der Gemeinden gedenkt man etwa der rund 5000 von den Nationalsozialisten zerstörten jüdischen Gemeinden in Europa. (KNA)
entschieden haben.“Eine andere Entscheidung wird den Bundeskanzler auch nach dem Israel-Besuch weiter verfolgen: seine weitgehend einsame Entscheidung, einen 100Milliarden-Euro-Fonds zum Ausbau der Bundeswehr aufzulegen.
Auch das hatte er am Sonntag im Bundestag mit der gestiegenen Verantwortung der Bundesrepublik und der angeschlagenen Verteidigungsfähigkeit des Landes erklärt. Über die konkrete Summe wussten aber weder der Koalitionspartner der Grünen noch Scholz‘ eigene Fraktion Bescheid.