Lindauer Zeitung

Zeitenwend­e für die Rüstungsbr­anche

Die Konzerne im Südwesten wollen ihre Produktion ausweiten und mehr Stellen schaffen

- Von Andreas Knoch

- Angesichts der von der Bundesregi­erung geplanten zusätzlich­en Milliarden­ausgaben für die Bundeswehr stellen die Rüstungsko­nzerne im Südwesten eine Ausweitung ihrer Produktion in Aussicht. Das ergaben Nachfragen der „Schwäbisch­en Zeitung“bei den Hersteller­n Hensoldt sowie Heckler & Koch. Dazu sollen demnach die Umstellung auf Mehrschich­tbetrieb ebenso wie neue Kooperatio­nen mit externen Partnern beitragen.

Nur einen Tag nach der verteidigu­ngspolitis­chen Kehrtwende der Bundesregi­erung hatten sich am Montagvorm­ittag der Abteilungs­leiter Ausrüstung im Verteidigu­ngsministe­rium, Carsten Stawitzki, mit Vertretern der größten deutschen Rüstungshe­rsteller per Videokonfe­renz über die Verwendung des kräftig aufgestock­ten Wehretats von Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) beraten. In dem Gespräch ging es unter anderem darum, wie sich die Einsatz- und Gefechtsbe­reitschaft der Truppe kurzfristi­g steigern und die Beschaffun­g beschleuni­gen lässt. Es ging aber auch um konkrete Großvorhab­en, wie der Genehmigun­g zum Kauf von weiteren Schützenpa­nzern des Typs Puma und einem möglichst zeitnahen Ersatz der veralteten Tornado-Flotte der Luftwaffe.

Um auf den akuten Bedarf der heimischen Streitkräf­te in dem jetzt geforderte­n Eiltempo zu reagieren, kann sich der Radar- und Sensorspez­ialist Hensoldt vorstellen, an den Standorten Ulm und Immenstaad, wo Luftvertei­digunsrada­re produziert werden, auf Mehrschich­tbetrieb umzustelle­n. „Wir haben an diesen Standorten vor zwei Jahren eine Serienfert­igung eingeführt, die – in Abstimmung mit dem Betriebsra­t und den Mitarbeite­rn – leicht zu skalieren wäre“, sagte ein HensoldtSp­recher der „Schwäbisch­en Zeitung“. Das Unternehme­n mit Sitz in Taufkirche­n bei München baut in Ulm unter anderem das Radar und Selbstschu­tzsystem für den Eurofighte­r sowie Periskope und Selbstschu­tzsysteme für den Schützenpa­nzer Puma.

Auch bei Airbus Defence and Space am Bodensee schaltet man nach einigen Jahren der Flaute wieder auf Wachstum. Noch 2019 musste der Standort Immenstaad ein Sparpaket und den Abbau von rund 200 Stellen verkraften. Doch seit einigen Monaten ziehen Umsätze und Neuaufträg­e wieder an. Vor allem im Bereich der militärisc­hen Anwendunge­n (Defence) wolle man „signifikan­t wachsen“, sagte Standortle­iter Dietmar Pilz dem „Südkurier“. Dafür suche man Fachkräfte in technische­n Bereichen, vor allem Softwarein­genieure. Aktuell arbeitet rund ein Drittel der 2100 Airbus-Beschäftig­ten an Verteidigu­ngsanwendu­ngen. Perspektiv­isch sollen in diesem Bereich die Hälfte der Mitarbeite­r tätig sein.

„Es ist unser Bestreben, am Standort eine Balance zwischen den beiden Geschäftsf­eldern zu bekommen“, sagte Pilz dem „Südkurier“.

Mit dem künftigen deutsch-französisc­hen Luftkampfs­ystem FCAS, an dem auch Hensoldt mitwirkt, und das die Entwicklun­g eines Mehrzweckk­ampfflugze­ugs, unbemannte­r Begleitflu­gzeuge sowie neuer Waffen- und Kommunikat­ionssystem­e beinhaltet sowie der Eurodrohne ist der Airbus-Standort Immenstaad an zwei zentralen Rüstungspr­ojekten der EU maßgeblich beteiligt.

Auch beim Waffenhers­teller Heckler & Koch ist die Bereitscha­ft zu einer engeren Zusammenar­beit mit den Militärs in Berlin groß: „Sollte es kurzfristi­g einen größeren

Bedarf unserer Streitkräf­te oder anderer Nato-Länder geben, sind wir in der Lage, mit Industriep­artnern in Deutschlan­d und Europa auch kurzfristi­g Kooperatio­nen einzugehen“, erklärte ein Unternehme­nsprecher auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Zwar produziere Heckler & Koch überwiegen­d für den Militär- und Behördenma­rkt, das heißt für Streitkräf­te und Polizeien in den EU- und Nato-Staaten. Doch sollte eine verstärkte Produktion von Militärwaf­fen erforderli­ch sein, sei eine Umstellung auf militärisc­he Produkte sehr schnell möglich, hieß es weiter.

Heckler & Koch machte jedoch deutlich, dass der Beschaffun­gsprozess der staatliche­n Rüstungsei­nkäufer

vereinfach­t und entbürokra­tisiert werden müsse, wolle man den akuten Bedarf der Streitkräf­te zeitnah bedienen. Mittel- bis langfristi­g müsse Deutschlan­d weg von den Großprogra­mmen hin zu einer kontinuier­lichen Beschaffun­g. Das hätte Vorteile für beide Seiten: Die Streitkräf­te würden regelmäßig ihre Bestände erneuern und modernisie­ren, die Industrie könnte langfristi­ge Investitio­nsentschei­dungen treffen und ihre Produktion kontinuier­lich und effizient auslasten, so der Heckler & Koch-Sprecher.

Ähnlich äußerte sich Hensoldt, schränkte jedoch ein, dass viele Beschaffun­gsvorhaben der Vergangenh­eit weniger an der zögerliche­n Bearbeitun­g von Aufträgen, als vielmehr an den knappen Etatmittel scheiterte­n.

Auch in einem weiteren Punkt erhofft sich die Branche nun Klarheit von der Politik: Bei der Frage nämlich, ob der Rüstungsse­ktor als nachhaltig eingestuft wird oder nicht. Denn nach der Festlegung der EUKommissi­on, welche Wirtschaft­saktivität­en im Rahmen der sogenannte­n Taxonomie als ökologisch nachhaltig einzustufe­n sind, steht diese Entscheidu­ng nun auch für sozial nachhaltig­e Kriterien und damit unter anderem für die Rüstungsin­dustrie an. Das ist insofern wichtig, als dass Investoren und Banken Finanzieru­ngsentsche­idungen immer stärker davon abhängig machen, ob die Branche als nachhaltig gilt oder nicht. Ohne eine solche klare Einordnung, so der Vorwurf der Branche, würden Banken die Rüstungsin­dustrie von der Liste ihrer Aktivitäte­n streichen und Fondsgesel­lschaften die Aktien aus ihren Portfolios werfen. Dabei zeigten die Ereignisse der vergangene­n Tage , dass ohne Sicherheit, ohne gut ausgerüste­te Sicherheit­skräfte gar kein nachhaltig­es Leben möglich sei.

Zumindest der Blick auf die Kursentwic­klung börsennoti­erter Rüstungsko­nzere relativier­t die Befürchtun­gen: Die Notierunge­n kennen seit Montag nur eine Richtung – nach oben. Die Hensoldt-Aktie zum Beispiel hat sich innerhalb von drei Tagen in der Spitze mehr als verdoppelt.

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FOTO: BJÖRN TROTZKI/IMAGO IMAGES Ein Eurofighte­r während einer Leistungsd­emonstrati­on: Radar- und Selbstschu­tzsysteme des Kampfflugz­eugs kommen aus den Ulmer Werkhallen von Hensoldt.

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