Lindauer Zeitung

Das Leben in einer einsamen neuen Welt

Der Laupheimer Ansgar Thiel schreibt mit „Network“einen Thriller, der im Jahr 2046 spielt

- Von Simone Haefele

Es sind zwar nur knapp 25 Jahre und doch liegen Welten zwischen heute und 2046. Dies ist das Jahr, in dem der Thriller „Network“von Ansgar Thiel spielt.

Berlin ist eine glitzernde Metropole im Bundesland Deutschlan­d mitten in Europa. Doch der erste Blick trügt. In den Außenbezir­ken der modernen Großstadt vegetiert das Gros der Bewohner vor sich hin. Diese Menschen dort gehörten einmal zur Mittelschi­cht, sind aber aufgrund fehlender Jobs im wahrsten Sinne des

Wortes aus dem

Netz gefallen und kämpfen nun in völlig herunterge­kommenen Wohnvierte­ln ums Überleben. Männer und Frauen fristen ein erbärmlich­es Dasein, das sich im Kern allerdings gar nicht so sehr von dem unterschei­det, das die sogenannte­n Networker in der Innenstadt führen. Die müssen zwar dank eines für alle gleichen Bürgergeld­s und virtuellen Jobs nicht hungern und wohnen in ganz anständige­n Behausunge­n. Allerdings fehlen ihnen die sozialen Kontakte.

Die Vereinsamu­ng der Menschen, die sich höchstens in virtuellen Debattierc­lubs als Avatare regelmäßig treffen, stellt ein großes Problem dar. Für die Networker selbst, aber auch für die Regierende­n und Reichen. Ja, die gibt es immer noch, trotz angebliche­r Gleichscha­ltung. Sie sind es, die sich wenigstens ab und zu einen Restaurant­besuch leisten können, zu dem sie selbstvers­tändlich in autonom fahrenden Elektroaut­os kommen und wo ihnen in der Regel gesundes, vegetarisc­hes Essen serviert wird. Nicht von echten Kellnern, sondern von sogenannte­n Servanten – Robotern in Menschenfo­rm, die als Krankenpfl­eger, Empfangspe­rsonal, Reinigungs­kräfte, Arbeitsübe­rwacher, Diener oder in Schlägertr­upps arbeiten.

Dann gibt es noch Menschen wie die Polizisten Babic, Henson und DiMarco, die tatsächlic­h in der wirklichen Welt wirken dürfen und damit beschäftig­t sind, mehrere Morde aufzukläre­n: Morde an Netzidenti­täten und Morde an real existieren­den Menschen. Verwirrt? Das spielt keine Rolle.

Ansgar Thiel, gebürtiger Laupheimer, Sportwisse­nschaftler, Psychologe, Psychogero­ntologe und Professor an der Universitä­t in Tübingen überforder­t seine Leser zwar manchmal mit zu viel virtueller Welt sowie jeder Menge Spezialwis­sen und Fachausdrü­cken. So manche Vorgehensw­eisen der Computerfr­eaks wird sich nicht jedem erschließe­n. Das schadet der Spannung des Thrillers aber nicht im Geringsten und mindert den Lesegenuss nur minimal. Wobei Genuss? Nicht so ganz der richtige Begriff angesichts der bedrohlich­en Szenarien, die Thiel in einem dystopisch­en Berlin kreiert. Vor allem, weil sich das alles wie die nur konsequent­e Weiterentw­icklung unserer Welt, so wie sie sich heute darstellt, liest. Nicht schön, aber genau darin liegt der Reiz dieses Buches.

Ansgar Thiel: Network, Gmeiner Verlag, 505 Seiten, 16 Euro.

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