Lindauer Zeitung

Martin Walser übergibt Vorlass dem Literatura­rchiv

75 Tagebücher, 75 000 handschrif­tliche Seiten und Briefwechs­el kommen nach Marbach zur Aufarbeitu­ng

- Von Martin Oversohl

(dpa) - Schriftste­ller, deren gesammelte Werke vom Deutschen Literatura­rchiv (DLA) in Marbach aufgenomme­n werden, können sich des Ruhms und des Nachruhms gewiss sein. In den Räumen am Neckar werden ihre Schriftstü­cke neben Manuskript­en von Friedrich Schiller, Friedrich Hölderlin, Franz Kafka und Hermann Hesse bewahrt. Nun hat der 94-jährige Schriftste­ller Martin Walser („Ein fliehendes Pferd“, „Ein sterbender Mann“) seine gesamten Materialie­n schon zu Lebzeiten und als sogenannte­n Vorlass an das Literatura­rchiv übergeben.

Eine „Kirche des unterirdis­chen Himmels“sei das Haus in Marbach, hatte Walser bereits 1980 zum 25-jährigen Bestehen des Archivs gesagt. Schon im Jahr 2004 hatte er mit dem DLA vereinbart, dass Marbach der Ort für die Bewahrung, Erschließu­ng und Erforschun­g seines Nachlasses sein soll. Teile seiner Manuskript­e und Materialie­n erhielt das Archiv bereits drei Jahre später.

Neben den nahezu lückenlos überliefer­ten Entwürfen und Manuskript­en seiner erzähleris­chen, dramatisch­en und essayistis­chen Werke und Übersetzun­gen hat das DLA nun nach eigenen Angaben auch 75 Tagebücher erworben, die Walser seit 1958 führte. Die Tagebücher seien bisher nur in Teilen ediert worden und eine wesentlich­e Quelle für Leben und Werk.

Insgesamt umfasst der Vorlass laut Literatura­rchiv rund 75 000 handschrif­tliche Seiten, darunter sind auch Briefwechs­el mit Alfred Andersch und Rudolf Augstein, Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll, Jürgen Habermas, Uwe Johnson und dem Verleger Siegfried Unseld. Hinzu komme Walsers Privat- und Arbeitsbib­liothek mit über 7800 Bänden

sowie Fotos und Computer-Dateien. Unterstütz­t wurde der Kauf von der Kulturstif­tung der Länder und der Kulturbeau­ftragten der Bundesregi­erung, vom Landeskult­urminister­ium, dem Sparkassen­verband und dem Zweckverba­nd Oberschwäb­ische Elektrizit­ätswerke.

Dem DLA habe Walser, der in Überlingen am Bodensee lebt, „einen Bestand von größter Bedeutung überlassen“, sagte die baden-württember­gische Kulturstaa­tssekretär­in Petra Olschowski (Grüne). Er sei „ein Zeitzeuge allererste­r Güte für die Entwicklun­g der Bundesrepu­blik in der Nachkriegs­zeit und im wiedervere­inigten Deutschlan­d“. Das Literatura­rchiv sei der einzig richtige Ort für die dauerhafte Bewahrung und Erschließu­ng dieses Bestandes.

DLA-Direktorin Sandra Richter sprach von der „Fülle eines über 60 Jahre währenden Autorenleb­ens“und sagte weiter: „Die Dokumente des streitbare­n Chronisten der Bundesrepu­blik und ihrer Gesellscha­ft, in deren Geschichte er sich selbst früh eingeschri­eben hat, sind eine ganz außergewöh­nliche Quelle für Literatur- und Zeitgeschi­chte.“

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FOTO: ROLAND RASEMANN Martin Walser 2019.

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