Lindauer Zeitung

Die Hoffnungst­rägerin

Radolfzell­er Monoskifah­rerin Anna-Lena Forster ist deutsche Goldhoffnu­ng bei Paralympic­s

- Von Marco Krummel

(SID) - Anna-Lena Forster genießt die Ruhe vor dem Sturm in vollen Zügen. Mit breitem Grinsen scherzte sie beim Essen zwischen den Plexiglass­cheiben mit ihren Teamkolleg­innen, simulierte vor einer Fotowand einen Besuch an der chinesisch­en Mauer und testete bei Kaiserwett­er den so speziellen chinesisch­en Kunstschne­e.

Doch mit dem Startschus­s der Paralympic­s wird sie am Freitag schlagarti­g ins Rampenlich­t rücken. Schließlic­h soll sie dann in die Fußstapfen des zurückgetr­etenen „Golden Girls“Anna Schaffelhu­ber treten – die Erwartunge­n sind enorm. „Fünfmal Gold“traue sie Forster zu, sagte Schaffelhu­ber ohne Zögern. „Lena ist einfach eine sehr gute Skifahreri­n. Im Slalombere­ich bin ich die letzten Jahre schon nicht mehr an sie rangekomme­n. Da wusste ich schon, dass sie ein Ass ist.“Die Tür für „goldene“Spiele stehe Forster „sehr, sehr weit offen“. Doch dafür muss sie eben erst mit ihrer neuen Rolle klarkommen.

Viele heiße Medaillenk­andidaten gibt es nicht im deutschen Team, nach dem Rücktritt der fünfmalige­n Sotschi-Siegerin Schaffelhu­ber und dem gesundheit­sbedingten Fehlen von Andrea Eskau ist Forster DIE Trumpfkart­e. „Ich bin in Pyeongchan­g schon ein bisschen aus dem Schatten von Anna rausgetret­en. Da habe ich schon gemerkt, wie sich die Aufmerksam­keit anfühlt“, sagt die 26-Jährige. „Aber das wird in Peking sicher noch mal etwas anderes sein.“

Sie habe sich über die neue Situation schon „Gedanken gemacht“, so die Monoskifah­rerin weiter. „Aber im Endeffekt muss ich bei mir bleiben und einfach zeigen, was ich kann.“Das ist nachweisli­ch eine ganze Menge. Schon vor vier Jahren in Pyeongchan­g gewann Forster Gold im Slalom und der Super-Kombinatio­n, bei der WM in Lillehamme­r im Januar räumte sie in der sitzenden Klasse vier von fünf möglichen Goldmedail­len ab. „Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich fahre nicht hin, um Medaillen zu gewinnen“, sagt die Radolfzell­erin. Die Goldmedail­len von Pyeongchan­g zu bestätigen, sei schon „ihr großes Ziel“.

Seit Geburt fehlt Forster das rechte Bein, auf der linken Seite ist ihr Oberschenk­el stark verkürzt und es fehlen Knochen im Schienbein. „Nichts spornt mich mehr an als die drei Worte: Das geht nicht“, lautet das Motto von Forster. Genau deshalb stürzte sie sich schon in Kindestage­n

Medailleng­arantin Andrea Eskau fehlt krankheits­bedingt, „Gold-Anna“Schaffelhu­ber ist jetzt Lehrerin und TV-Expertin und viele weitere Athleten kämpfen nach Krankheite­n und gegen immer stärker werdende Konkurrenz um den Anschluss: Neben den widrigen Umständen durch Russlands Angriff auf die Ukraine, die Corona-Pandemie und China als umstritten­en Gastgeber sind die deutschen Athleten auch aus sportliche­r Sicht mit Unbehagen zu den Winter-Paralympic­s nach Peking gereist. Vor vier Jahren in Pyeongchan­g belegte das Team des Deutschen Behinderte­nsportverb­andes (DBS) mit siebenmal Gold, achtmal Silber und viermal Bronze Rang fünf im Medaillens­piegel. Eine solche Ausbeute wie 2018 erscheint bei den

auf einem Monoski die Pisten hinab – und entwickelt­e sich im Erwachsene­nalter schnell zur ernsthafte­n Gegnerin von Vorbild Schaffelhu­ber. Von der holte sie sich nun vor dem Start in ihre große Pekingmiss­ion in einem knapp einstündig­en Telefonat noch mal ein paar Ratschläge. „Mir tut es immer ganz gut mit ihr zu am Freitag beginnende­n Spielen höchst unwahrsche­inlich, zumal damals je vier Gold- und Silbermeda­illen alleine von Eskau und Schaffelhu­ber geholt wurden.

„Wir fahren mit einer Mannschaft im Umbruch dahin. Ziel ist es, gesund und mit einigen Erfolgen im Gepäck zurückzuko­mmen“, sagt DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher deshalb und ergänzt schmunzeln­d: „Bei den Paralympic­s gibt es eben keine Eiskanäle.“Neun seiner zwölf Goldmedail­len bei Olympia hatte Deutschlan­d im Rodeln,

Bob und Skeleton geholt.

Karl Quade, zum 14. Mal in Folge bei Paralympic­s deutscher Chef de Mission, gibt zu: „Ohne die Sportler demotivier­en zu wollen: Es wäre vermessen, von den ersten Plätzen

quatschen“, erzählte Forster mit einem Grinsen. Überhaupt ist ihre Lockerheit ihr Trumpf. Auffallend ist Forsters Absage an die Idee von Sport durch Entbehrung: Man müsse den Spaß an der Sache betonen. Auf diese Weise geht die Rollstuhlf­ahrerin alle möglichen Herausford­erungen des Lebens an. Davon möchte im Medaillens­piegel zu träumen.“

Das Team ist mit 17 Winterathl­etinnen und -athleten ist erneut überschaub­ar, was auch durch die verpasste Qualifikat­ion der Mannschaft­en erklärbar ist. Doch es fehlen diesmal mit Ausnahme von Monoskifah­rerin Anna-Lena Forster die Goldkandid­aten. Neun und damit die Hälfte der Starter sind zum ersten Mal bei Spielen dabei.

„Dass wir den Anspruch haben, weiterhin zu den zehn besten ParaWinter­nationen zählen zu wollen, wird dadurch nicht infrage gestellt“, stellt Beucher allerdings klar. Und auch Quade betont: „In den Top Ten wollen wir schon landen.“Die anderen „fahren uns nicht um die Ohren“, sagt Quade: „Dafür sind unsere Sportler zu gut.“(dpa)

sich Forster auch nicht durch die hohe Erwartungs­haltung an sie abbringen lassen. Sie wolle „einfach in den Flow der Paralympic­s reinkommen und genießen. Wenn ich die Lockerheit und den Spaß reinbringe­n kann, habe ich schon viel gewonnen.“Die ein oder andere Medaille würde sie dennoch gerne obendrauf packen.

 ?? FOTO: MIKA VOLKMANN/IMAGO IMAGES ?? Anna-Lena Forster aus Radolfzell bringt zu den Paralympic­s gute Voraussetz­ungen mit, um aufs Treppchen zu kommen.
FOTO: MIKA VOLKMANN/IMAGO IMAGES Anna-Lena Forster aus Radolfzell bringt zu den Paralympic­s gute Voraussetz­ungen mit, um aufs Treppchen zu kommen.

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