Unbürokratische Lösungen für den Arbeitsmarkt
Unternehmen wollen Menschen aus der Ukraine rasch integrieren – Noch gibt es viele offene Fragen
- Das Entsetzen über den Ukraine-Krieg ist auch in der Wirtschaft groß. Viele Unternehmen engagieren sich mit Hilfsgütern, Geldspenden und der Aufnahme von Geflüchteten. Während derzeit zunächst die katastrophale humanitäre lage im kriegsgebiet im Fokus steht, stellt sich perspektivisch die Frage: Könnten Geflüchtete den Fachkräftemangel in Deutschland zumindest ein Stück weit lindern?
Noch ist nicht absehbar, wie viele Ukrainer flüchten und in Deutschland bleiben wollen. Derzeit kommen vor allem Frauen und Kinder, Männer werden zur Landesverteidigung herangezogen. Es werden in jedem Fall sicher nicht genug sein, um das Loch zu stopfen, das Pillenknick und demografische Entwicklung in den Arbeitsmarkt reißen. 400 000 Zuwanderer bräuchte Deutschland längerfristig pro Jahr, hatte der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, ausgerechnet – und zwar durch gezielte Zuwanderung von Fachkräften und nicht durch Asyl, bei dem keine Rolle spielt, wer gebraucht wird.
Bei Flüchtlingen aus der Ukraine bremst Scheele. Die Frage ihrer Integration hierzulande stelle sich erst, „wenn sich die Menschen entscheiden, zumindest für eine bestimmte Zeit in Deutschland zu bleiben. Davon sind wir weit entfernt“, betonte der BA-Chef bei der Vorstellung der Arbeitslosenzahlen. Dabei zeigte er auf, wie groß der Nachwuchsmangel aktuell bereits ist: Im Februar waren 822 000 offene Stellen bei den Arbeitsagenturen gemeldet, gut 40 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs: Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der BA schätzte schon im letzten Quartal 2021, dass es 1,69 Millionen offene Stellen gibt.
„Viele Arbeitgeber leisten ihren Beitrag zur Integration in den Arbeitsmarkt und in Ausbildung“, so Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der „Schwäbischen Zeitung“. „Es gilt nun, bestehende und bewährte Verfahren zur Aufnahme zu nutzen, damit diese unbürokratisch, aber rechtssicher organisiert und vorbereitet werden können.“Dazu sei eine enge Abstimmung aller Akteure nötig. Insbesondere die Kommunen stünden bei der Unterbringung vor einer großen Herausforderung.
Nach der Aufnahme und Unterbringung Geflüchteter dürfte es schon bald um Ausbildung und Beschäftigung
für geflüchtete Ukrainer gehen, erwartet der Deutsche Industrieund Handelskammertag (DIHK). „Deshalb ist es wichtig, dass die Bundesregierung hier jetzt schnell Erleichterungen bei Aufenthaltsregelungen und Arbeitserlaubnis schaffen will“, sagt DIHK-Präsident Peter Adrian.
Derzeit leben in Deutschland rund 330 000 Menschen mit ukrainischem Migrationshintergrund. Es gibt auch Erfahrungen mit der Anerkennung ihrer Berufsqualifikationen. Sie belegten die hohe Qualität des Bildungssystems in der Ukraine, heißt es beim DIHK.
Ukrainer, die nach Deutschland kommen, haben es wesentlich einfacher als die vielen Flüchtlinge und Migranten aus dem Jahr 2015. Denn die EU hat die Verfahren erleichtert: Als Kriegsflüchtlinge brauchen sie kein Visum, das sie mühsam beantragen müssen. Es reicht ein biometrischer Pass, und auch wenn sie diesen nicht haben, verspricht das Bundesinnenministerium einen „sehr pragmatischen Umgang“im Einzelfall. Erst einmal dürfen sie für 90 Tage bleiben, ohne Asyl zu beantragen. Letztlich dürfte die EU dies auf drei Jahre erweitern. Zudem müssen alle Mitgliedsländer Mindeststandards garantieren wie eine Arbeitserlaubnis sowie Sozialstandards wie Zugang zu Sozialhilfe, medizinischer Versorgung, Bildung für Minderjährige und unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit zur Familienzusammenführung.
Dazu will die EU erstmals die „Massenzustrom-Richtlinie“nutzen, die aufgrund der Erfahrungen der Kriege im ehemaligen Jugoslawien in den 1990er-Jahren beschlossen wurde. Damals wurden unter anderem viele Menschen gezwungen, Deutschland wieder zu verlassen, obwohl sie gut in die Unternehmen integriert waren und niemandem den Arbeitsplatz wegnahmen. Das sorgte für viel Verbitterung in den Betrieben, die sich sehr für ihre Mitarbeiter engagiert hatten. Jetzt hoffen sie, dass sich das nicht wiederholt.
Er bemühe sich, einen schnellen Arbeitsmarktzugang herzustellen, betonte BA-Chef Scheele. „Die Jobcenter und Arbeitsagenturen sind handlungsfähig und auch darauf eingestellt. Sie seien gerade dabei, die Netzwerke mit der Wirtschaft zu reaktivieren. Gleiches gilt für den DIHK und sein Netzwerk „Unternehmen integrieren Flüchtlinge“, in dem sich seit Jahren rund 2800 Unternehmen engagieren. Sie wollen ihr Know-how auch an andere Betriebe weitergeben.